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Ukrainekrieg und Abzug der französischen Truppen erschüttern die instabile Sahelzone

Konflikte toben seit 2012 in der Sahelzone, doch die Spannungen nehmen zu. Mit dem französischen Truppenabzug aus Mali und den Auswirkungen des Ukrainekriegs verändert sich die Dynamik. Wie nutzen das Aufständische, um ihre Position zu festigen?

Am 17. Februar 2022 kündigte Frankreich zusammen mit seinen europäischen Verbündeten den Abzug seiner Truppen aus Mali an. Nach neun Jahre dauernden Kämpfen gegen einen dschihadistischen Aufstand war es in den Beziehungen zur regierenden Junta zum Bruch gekommen. Der Schritt ist das Ergebnis wachsender antifranzösischer Stimmungen, die seit Jahren unter der Oberfläche brodeln und immer wieder in Kundgebungen zum Ausdruck kommen – mit Rückhalt der Junta.

Präsident Emmanuel Macron hob hervor, die Streitkräfte würden weiterhin vom benachbarten Niger aus operieren, um bei der Bekämpfung des dschihadistischen Aufstands zu helfen. Nur eine Woche später kündigte der russische Präsident Wladimir Putin die Invasion der Ukraine an. Nachdem sich russische Truppen monatelang an der Grenze zur Ukraine formiert hatten, befahl er den gleichzeitigen Angriff zu Lande und aus der Luft. Beide Ereignisse fanden Widerhall in ganz Afrika, besonders jedoch in der konfliktgeplagten Sahelzone, einer halbtrockenen Region, die die Sahara im Norden von den tropischen Savannen im Süden trennt. Andere Gebiete überdenken derzeit ihr Verhältnis zu Frankreich. Zwar hat Niger die Verlegung von Truppen auf sein Territorium begrüßt, jedoch gibt es Befürchtungen, dass Burkina Faso und Guinea ebenfalls in Erwägung ziehen könnten, sich vom französischen Einfluss zu befreien.

Die Nachricht vom russischen Angriff auf sein Nachbarland hat sich auf Weizen- und Gaspreise ebenso ausgewirkt wie auf die regelmäßigen Importe afrikanischer Länder, was sich wiederum in mindestens einem Dutzend Volkswirtschaften auf dem Kontinent, einschließlich der Sahelzone, bemerkbar macht.

Dies trägt zu den Spannungen bei, die sich seit 2012, als in Mali ein Aufstand ausbrach, in der Sahelzone aufstauen. Bedeutende terroristische Netzwerke und militante Gruppen haben, trotz der Bemühungen, sie durch Anti-Terror-Kräfte und international unterstützte Militäroperationen einzudämmen, Fuß gefasst. Insgesamt sind durch die Aufstände ungefähr eine halbe Million Menschen vertrieben und Hunderte getötet worden.

Bewaffnete Gruppen schworen entweder Al-Qaida oder dem Islamischen Staat die Treue, und so breitete sich der Konflikt über die Sahelzone aus. Unter dem ehemaligen Präsidenten François Hollande entsandte Frankreich erstmals 2013 Truppen nach Mali, um seinen Einfluss in der überwiegend frankophonen Region zu festigen. Die Eindämmung der Unruhen gelang jedoch nicht.

Internationale Kräfte konnten den Konflikt nicht aufhalten

Obwohl das militärische Eingreifen den Vormarsch der Aufständischen zunächst erfolgreich zurückdrängen konnte und wichtige Städte wie Timbuktu wieder unter die Kontrolle der Regierung gelangten, gruppierten sich die Extremisten schnell neu und fassten in anderen Gebieten Fuß. Am 5. Juni 2021 töteten Bewaffnete in der Stadt Solhan im Norden von Burkina Faso rund 160 Menschen. Nach einer Analyse des Projekts Armed Conflict Location & Event Data verlagerte sich das Epizentrum des Konflikts von Mali nach Burkina Faso.

Verglichen mit Januar 2019 ist die Zahl der Vertriebenen in Burkina Faso, nach Angaben des Norwegischen Flüchtlingsrats, Ärzte der Welt und Oxfam, um 2.000 Prozent gestiegen. Über 1,7 Millionen Menschen mussten ihre Heimat verlassen. Mehr als zwei von drei Vertriebenen sind Kinder.

Politische Instabilität verstärkt den Druck auf die Region: Seit 2019 gab es in der Sahelzone vier erfolgreiche Militärputsche in Burkina Faso, Tschad, Guinea und Mali sowie zwei erfolglose in Guinea-Bissau und Niger.

Frustriert von der Qualität der Regierungsführung und dem mangelndem Erfolg bei der Unterdrückung bewaffneter Gruppen unterstützten viele Bürger die Putschversuche. Sie hofften darauf, dass das Militär politische Maßnahmen umsetzen und für mehr Sicherheit sorgen würde. Der Mali-Länderbericht 2022 im Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung (BTI) unterstreicht die Rückschritte, die das Land in diesem Kontext machte: Sein Governance-Index misst, wie entschlossen und konsequent die politischen Eliten das Ziel einer rechtsstaatlichen und marktwirtschaftlichen Demokratie verfolgen. In Mali sank er von 5,19 im Berichtsjahr 2020 auf nur noch 4,66 von 10 möglichen Punkten in diesem Jahr. „Die heutige politische und sicherheitspolitische Situation unterscheidet sich kaum von der im Jahr 2012“, stellt der Bericht fest. „Zwei Drittel des Territoriums des Landes befinden sich trotz der seit 2013 andauernden Intervention der internationalen Gemeinschaft immer noch außerhalb staatlicher Kontrolle.“

Regionale Spannungen nehmen zu

Ein ähnliches Muster zeigt sich in der gesamten Region, beispielsweise im benachbarten Burkina Faso. Dem Land sind Machtübernahmen durch das Militär nicht fremd, doch der jüngste Putsch erscheint in anderem Licht, „weil er zu einer Zeit stattfindet, in der es verstärkt zu Terroranschlägen kommt“, meint Mvemba Phezo Dizolele, Direktor des Afrika-Programms des in Washington ansässigen Zentrums für internationale und strategische Studien.

Einen Grund für die Häufung von Staatsstreichen in der gesamten Region sehen einige Beobachter im Nachahmereffekt. Laut Paul Melly, Afrika-Analyst des Londoner Chatham House, entstehe so „ein breiteres Gefühl der Destabilisierung. Soldaten, die Putschversuche in Erwägung ziehen, könnten sich zunehmend in der Lage fühlen, diese in die Tat umzusetzen.“

Ermutigt durch die Unterstützung der Massen drängte die Junta in Mali auf den Rückzug der Franzosen. Die Verschlechterung der diplomatischen Beziehungen zwischen Bamako und Paris verhalf ihr schließlich zum Erfolg.

Der Abzug der französischer Truppen aus dem Einsatz im Rahmen der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) fällt zusammen mit dem Vordringen der aus Russen bestehenden Söldnertruppe Wagner in West- und Zentralafrika sowie am Horn von Afrika. Auch die Wagner-Gruppe, eine mit dem Kreml in Verbindung stehende paramilitärische Einheit, kämpft um Einfluss in der Region. Ihre Präsenz ist in der Zentralafrikanischen Republik und im Tschad belegt. Auch aus Mali mehren sich Berichte über Wagner-Söldner, die in Teilen des Landes gesichtet wurden.

In vielen afrikanischen Ländern gilt Russland, vor allem aufgrund historischer Verbindungen, als perfekte Alternative zum Westen. Als die CIA während des Kalten Krieges Staatsstreiche in Teilen Afrikas unterstützte, bot sich die ehemalige UdSSR als treuer Verbündeter an, der antikoloniale Befreiungsbewegungen unterstützte. Beispielsweise finanzierte die Sowjetunion den Anti-Apartheid-Kampf in Südafrika und half Unabhängigkeitsbewegungen von Angola bis Ghana.

17 der 35 Länder, die sich bei der Abstimmung in der UN-Generalversammlung zur Verurteilung des Vorgehens Russlands der Stimme enthielten, waren afrikanische Nationen – praktisch ein Drittel des Kontinents. Angesichts der Relikte russischer Soft Power auf dem Kontinent, einer zunehmend anti-französischen Stimmung, der allgemeinen Zurückhaltung des Westens sowie eines größer werdenden Misstrauens gegenüber China war es nur natürlich, dass die Sahel-Länder sich Richtung Moskau orientierten.

Ebenezer Obdare, Senior Fellow der Denkfabrik Council on Foreign Relations, erklärt die Entscheidung afrikanischer Länder, sich angesichts der russischen Invasion in der Ukraine neutral zu verhalten, folgendermaßen: „Möglicherweise wägen die afrikanischen Staats- und Regierungschefs ihre moralische Verpflichtung gegenüber den Prinzipien der Souveränität und territorialen Integrität ab gegen die konkrete materielle und militärische Unterstützung eines Staatschefs, dessen Absichten ihnen zwar nicht geheuer sind, doch dessen bedingungslose Hilfe gelegen kam.“

Während konkurrierende Mächte um Einfluss kämpfen bleibt die Zeit nicht stehen. Die Sahelzone bleibt weiterhin unberechenbar, nur eines scheint sicher: Die Aufständischen lauern auf Chancen.

Übersetzt aus dem Englischen von Karola Klatt.

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