Nigeria: Gewalt überschattet die bevorstehenden Wahlen
In Nigeria werden Präsident und Parlament neu gewählt, doch es steht zu befürchten, dass die zunehmende Gewalt viele Wähler daran hindert, ihre Stimme abzugeben. Wie wahrscheinlich ist es, dass der Wahlsieger für die dringend benötigte Stabilität sorgen kann?
Vier Kandidaten der größten nigerianischen Parteien treten an, um bei den Präsidentschaftswahlen am 25. Februar 2023 Nachfolger von Präsident Muhammadu Buhari zu werden. Wichtigste Themen sind die sich verschlechternde Wirtschaftslage und die zunehmende Gesetzlosigkeit. Die Sicherheitskrise trifft viele Teile des Landes, bedroht Menschenleben und Existenzgrundlagen und gefährdet womöglich bei vielen auch die Teilnahme an den Wahlen. Dennoch hält die Regierung an ihren Plänen fest, den Urnengang durchzuführen. Der Leiter der Wahlkommission Mahmood Yakubu erklärte, man „denke nicht daran, geschweige denn plane, die Parlamentswahlen 2023 zu verschieben.“
Der derzeitige Präsident Buhari wurde erstmals 2015 gewählt, da war die Sicherheitssituation im Nordosten des Landes schon außer Kontrolle geraten. Es ist ihm seither nicht gelungen, Strategien zur Aufstandsbekämpfung umzusetzen, stattdessen nimmt die Gewalt immer weiter zu. Im jüngsten Nigeria-Bericht lasten die Experten der Bertelsmann Transformation Index (BTI) dem Präsidenten und der Regierung politisches Versagen im Umgang mit der Bedrohung an: „Das schwache Abschneiden der ersten Amtszeit von Präsident Buhari setzte sich fort, verschlechterte sich sogar noch aufgrund der Pandemie und seiner Unfähigkeit, das Militär in seinem Feldzug gegen den islamistischen Aufstand zu professionalisieren. (…) Es bleibt unklar, wie die Zentralregierung und die regionalen Regierungen mittelfristig erfolgreich gegen den islamistischen Terror, Banden und Piraterie vorgehen wollen.“
Vielfache Gewaltandrohungen erschweren den Zugang zu den Wahlurnen
Die Gewalt stellt die Wahlkommission im ganzen Land vor Herausforderungen. Im Norden des Landes kann die Bedrohung durch dschihadistische Aufständische und andere bewaffnete Gruppen, insbesondere Banditen, dazu führen, dass Straßen für Beobachter und Offizielle nicht passierbar und Gemeinden nicht erreichbar sind. Darüber hinaus hat die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat Provinz Westafrika im vergangenen Jahr ihre Angriffe auf Orte im südlichen und zentralen Nigeria ausgeweitet, darunter auch auf die Hauptstadt Abuja. In den Unruheregionen wird die Durchführung der Wahlen erschwert und erfordert wahrscheinlich die Stimmabgabe in gesicherten Garnisonsstädten. Zudem werden viele Einheimische gar nicht wählen können, weil sie in andere Teile des Landes oder ins Ausland geflohen sind.
Nicht nur der lokale Ableger des Islamischen Staates bedroht die Wahlen, sondern auch die mit Al-Qaida verbundene Terrororganisation Jama’atu Ansaril Muslimina fi Biladis Sudan (Ansaru), die nach langem Stillhalten in den letzten Jahren wieder aktiver geworden ist. Die Ansaru hat sich teilweise neu aufgestellt und predigt gegen demokratische Systeme, politische Aktivitäten und die Teilnahme an Wahlen.
Bewaffneten Banditengruppen, die Gemeinden überfallen und Menschen entführen, um Lösegeld zu erpressen, bedrohen zudem die Sicherheit in einigen Regionen im Nordwesten und im Zentrum des Landes. Gewalt und Vertreibung von über einer Million Menschen werden in diesen Regionen mit Wahlbevölkerungen von 22,25 Millionen respektive 15,36 Millionen Menschen die Chancen auf einen fairen Urnengang beeinträchtigen.
Im Süden geht die größte Gefahr für die Wahlen von militanten und separatistischen Gruppen aus. Mehrere Einrichtungen der nigerianischen Wahlkommission sind seit 2019 wiederholt angegriffen worden. Am aggressivsten tritt in diesem Zusammenhang die Bewegung Unabhängiges Volk von Biafra auf, die einen abtrünnigen Staat anstrebt. In Anambra führte die brutale Einschüchterung von Wählern durch die Gruppe zu einer niedrigen Wahlbeteiligung bei den Gouverneurswahlen 2021. Ähnliche separatistische Bestrebungen und Angriffe gibt es auch im Südwesten. Diese Sicherheitsprobleme zusammen mit der traditionellen Militanz im ölreichen Nigerdelta schüren Ängste, ob die Wahlen wie geplant stattfinden können.
Fragwürdige Reaktionen der Kandidaten auf die zunehmende Unsicherheit
Ihre Sorge über die zunehmende Gewalt äußerten inzwischen auch die Präsidentschaftskandidaten. So sprach Bola Tinubu, Kandidat der Regierungspartei All Progressives Congress, Ende Dezember über die „Sicherung von Wahlzetteln und die Gewalt bei den Wahlen“ sowie über den Trend zu Angriffen auf das Personal und die Einrichtungen der Wahlkommission. Er sagte, es sei notwendig, die Kapazitäten der Streitkräfte des Landes zu stärken. Unter jungen Menschen sorgte Tinubu für Aufregung, als er vorschlug, 50 Millionen Jugendliche sollten zum Militär eingezogen werden.
Atiku Abubakar, Kandidat der oppositionellen People’s Democratic Party, griff die Regierungspartei wegen ihres Versagens bei der Bewältigung der Sicherheitskrise hart an. Er versprach, im Falle seiner Wahl die Sicherheitsarchitektur der Nation zu verändern, ohne jedoch über die geplanten Reformen weiter ins Detail zu gehen.
Die politischen Ideen von Rabiu Musa Kwankwaso, Kandidat der New Nigeria Peoples Party, beinhalten ebenfalls Pläne zur Verstärkung der Sicherheitskräfte. Und Peter Gregory Obi von der Labour Party, der hofft, besonders junge Wähler – eine bedeutende Wählergruppe – zu überzeugen, versprach, ihre missliche Lage verbessern zu wollen und gleichzeitig die Sicherheitsstrukturen zu reformieren.
Bisher haben die Politiker es jedoch versäumt, konkrete Einzelheiten preiszugeben, wie sie die zunehmenden Aufstände bekämpfen wollen. Bei den Wählern ruft das Skepsis hervor, ob sie in der Lage sein werden, die zunehmende Gewalt zu unterdrücken. Regierung und Wahlbehörde bereiten Maßnahmen zur Sicherung der Wahlen vor und der nationale Sicherheitsberater des Landes, Babagana Monguno, wird nicht müde zu versichern, dass sie reibungslos ablaufen werden. Angesichts des Ausmaßes an Bedrohungen und der begrenzten Kapazitäten der Sicherheitskräfte ist jedoch damit zu rechnen, dass der Zugang zu den Wahllokalen eingeschränkt sein wird. Je näher der Wahltermin rückt, desto mehr schwindet bei den Nigerianern die Hoffnung, dass eine neue Regierung die Sicherheit der Menschen verbessern und die Gewalt eindämmen wird.