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Krieg in der Ukraine: Zentralasiens pragmatischer Umgang mit Russland

Auf den Einmarsch Russlands in die Ukraine vor einem Jahr haben die fünf zentralasiatischen Staaten zwar unterschiedlich, doch allesamt pragmatisch reagiert: Kasachstan, Kirgisistan, Turkmenistan, Tadschikistan und Usbekistan konzentrierten sich darauf, sich vor künftigen fremdverursachten Krisen zu schützen – ganz gleich, ob diese von Russland, China oder dem Westen ausgehen.

Im Januar wurde in der vom Krieg gezeichneten ukrainischen Stadt Bucha eine „Jurte der Unbesiegbarkeit“ errichtet. Das traditionelle kasachische Zelt symbolisiert Sicherheit und Wärme, die ukrainischen Einwohner können sich an diesem beheizten Ort stärken und bekommen Strom. Auch in Kiew und Charkiw gibt es inzwischen Jurten.

Moskau kritisierte diese Aktion umgehend als „schädlich für die strategische Partnerschaft zwischen Russland und Kasachstan.“ Aibek Smadiyarov, kasachischer Sprecher des Außenministeriums, blieb jedoch standhaft und erklärte, dass er nichts zu erklären habe. Diese Berichte offenbaren, was westlichen Analysen der Beziehungen zwischen Zentralasien und Russland oft fehlt: ein genaueres Hinsehen auf eine Region, die aus europäischer Perspektive nur allzu gerne über einen Kamm geschoren wird.

Die zentralasiatischen Staaten sind bekannt für ihre historisch engen Beziehungen zu Russland, aus dem nach wie vor die meisten Einfuhren kommen. Nur in Kirgisistan steht Russland bei den Importen nach Angaben der OECD erst an zweiter Stelle hinter China. Je länger die Sanktionen andauern, umso stärker könnten Handelsstrukturen darunter leiden; Entwicklungen an den Finanzmärkten könnten sich auf die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen auswirken und die Erträge aus der Arbeitsmigration könnten sinken.

In Kasachstan, Kirgisistan, Turkmenistan, Tadschikistan und Usbekistan haben jedoch innenpolitische Angelegenheiten Vorrang. Regimestabilität ist für jeden autokratischen Staat wesentlich. Mit Ausnahme von Kirgisistan befinden sich diese Länder in einer Phase des innenpolitischen Übergangs beziehungsweise der Stabilisierung der bestehenden Regime, deshalb wollen sie nicht durch größere regionale Instabilität und wirtschaftliche Turbulenzen beeinträchtigt werden. Seit der Auflösung der Sowjetunion streben diese Staaten nach Absicherung durch eine Diversifizierung ihrer wirtschaftlichen und politischen Partnerschaften, zum Beispiel mit China, der Türkei, den Golfstaaten und dem Westen. Sie beteiligen sich zudem an Initiativen jenseits Russlands, wie der Organisation der Turkstaaten und dem chinesischen Seidenstraßen-Projekt.

Auch die EU und die Vereinigten Staaten schenken Zentralasien inzwischen mehr Aufmerksamkeit. Gemeinsame Interessen, von Anbindung über Sicherheit bis hin zum Klima, werden schon seit einiger Zeit ausgelotet, doch die russische Invasion gab ihnen entscheidende Impulse.

Nach der Invasion im Rampenlicht: Kasachstan

Kasachstan, das einzige der fünf Länder, das direkt an Russland grenzt, ist nach der Invasion im Februar letzten Jahres ins internationale Rampenlicht gerückt. Das nach Fläche größte und nach BIP reichste der zentralasiatischen Länder ist eng mit der russischen Wirtschaft verflochten. Das wichtigste kasachische Exportgut Öl fließt größtenteils durch Pipelines auf russischem Gebiet (betrieben vom Caspian Pipeline Consortium, an dem die russische Transneft, die kasachische KazMunayGas und Chevron beteiligt sind). Nur einen Monat vor der Invasion intervenierten die von Moskau geführten Streitkräfte der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit in Kasachstan. Sie kamen Präsident Qassym-Schomart Toqajew während der blutigen landesweiten Unruhen zur Hilfe, die durch eine lange wirtschaftliche Stagnation, insbesondere in den westlichen Landesteilen, weit verbreitete Korruption und allgemeine Unzufriedenheit mit dem vormaligen Präsidenten Nursultan Nasarbajew nach drei Jahrzehnten im Amt verursacht wurden.

Schon länger verfolgt Kasachstan die Politik, ein breites Netz von Beziehungen in der Region und darüber hinaus zu spannen. Im Länderbericht 2022 des Bertelsmann Transformation Index (BTI) für Kasachstan heißt es dazu: „Kasachstan setzt sich seit langem für enge diplomatische, handelspolitische, kulturelle, wissenschaftliche und sicherheitspolitische Beziehungen zwischen den zentralasiatischen Ländern ein. Eine breit gefächerte Außenpolitik kennzeichnet die Beziehungen Kasachstans zu seinen russischen und chinesischen Nachbarn sowie zu entfernten Partnern in Europa, Nordamerika, dem Nahen und Mittleren Osten und Südostasien.“

Sein Nachbar, Usbekistan, ist das bevölkerungsreichste Land der Region. Die Folgen des Krieges in der Ukraine trafen das Regime inmitten von Reformen und wirtschaftlichem Wiederaufbau nach der langen isolationistischen Herrschaft des ersten Präsidenten Islom Karimov. Präsident Schawkat Mirsijojew versucht, ausländische Investoren anzuziehen und die Anbindung an die Region zu verbessern, beides leidet unter den wirtschaftlichen und politischen Erschütterungen, die durch den Krieg verursacht werden. Er befindet sich damit in einer ähnlichen Position wie sein kasachischer Amtskollege.

Kirgisistan und Tadschikistan sind ärmer und kleiner als die vorgenannten und beide stark von der Arbeitsmigration nach Russland abhängig, die etwa ein Drittel ihres BIP ausmacht. Zusätzlich geschwächt werden beide Staaten durch ihren langwierigen Konflikt um nicht festgelegte Grenzen.

Turkmenistan, schließlich, ist eine ausgesprochen abgeschottete Autokratie. Seit Ausbruch des Krieges bemühte sich Moskau diplomatisch außergewöhnlich starkt um das Land und verschaffte so Putin die Gelegenheit, seine derzeitige diplomatische Isolation demonstrativ zu durchbrechen und sich in das turkmenische Erdgasgeschäft einzumischen.

In Zentralasien sah man keinen Grund, Russlands militärisches Abenteuer zu unterstützen, es gefährdet die Entwicklung und regionale Stabilität. Trotz offizieller Zurückhaltung half keine der Nationen bei der Annexion der Krim oder der jüngsten Entwicklung in der Ostukraine, stattdessen verwiesen sie auf das Völkerrecht und die Prinzipien der Vereinten Nationen. Auf diese Weise versucht Astana, gemeinsam mit anderen regionalen Hauptstädten, den Druck von außen mit begrenzten wirtschaftlichen Optionen unter einen Hut zu bringen. Angesichts der Binnenlage bedeutet der Verlust eines benachbarten Partners den Verlust von Transitrouten und birgt das Risiko einer umfassenderen Destabilisierung. Daher setzen die Länder alles daran, sich niemals formell für eine Seite entscheiden zu müssen.

Eine Zukunft mit Moskau und dem Westen

Es wird viel davon abhängen, wann und wie der Krieg in der Ukraine endet. Immer noch ist Russland ein wirtschaftlicher, politischer und sicherheitspolitischer Akteur, der zu groß und zu nah ist, um ihn zu ignorieren. Der lettische Premierminister Krisjanis Karins kritisierte kürzlich öffentlich Kasachstan, Armenien und die Türkei dafür, dass sie die Sanktionen nicht einhielten und Privatunternehmen erlaubten, sanktionierte Waren nach Russland zu senden. Pragmatismus steht in diesen Ländern jedoch an erster Stelle. Zwar suchen diese Staaten nach Alternativen, trennen ihre Verbindungen aber nur dort, wo es unbedingt erforderlich ist. Die Nutzung des sogenannten Mittleren Korridors, einer alternativen Transportroute unter Umgehung Russlands durch Zentralasien und das Kaspische Meer nach Westen, bedeutet beispielsweise nicht das Kappen der Routen durch das russische Territorium. Wenn der Krieg vorbei ist und die Sanktionen aufgehoben sind, werden auch diese Achsen wieder befahren werden.

Russlands Wandel vom verlässlichen Sicherheitspartner zur unberechenbaren Sicherheitsbedrohung wird die zentralasiatischen Präsidenten wahrscheinlich dazu veranlassen, mehr in die eigene innere Sicherheit zu investieren. Obwohl der gemeinsame Kampf mit Moskau gegen einige externe radikale bewaffnete Gruppen (z. B. den Ableger des Islamischen Staats der Provinz Khorasan) fortgesetzt wird, werden die Präsidenten Russland kaum um Hilfe bei der Bewältigung von Protesten im Inland oder anderen Herausforderungen bitten.

Kasachstan und Usbekistan (wie auch andere zentralasiatische Staaten) nutzen die Gunst der Stunde, um die Autonomie ihrer Regime zu stärken und die Kontrolle über die interne Entscheidungsfindung zu behalten. Dadurch ist der Raum für jegliche Einflussnahme von außen, sei es durch die inländische Opposition oder eine ausländische Entität, sehr eingeschränkt. Wenn die europäischen Akteure diese Logik und ihre Einschränkungen verstehen und respektieren, können sie eine solide Grundlage für stabile und erfolgreiche Beziehungen schaffen.

Übersetzt aus dem Englischen von Karola Klatt.

Zuerst veröffentlicht auf Euractiv

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