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A uniformed woman directing traffic at a busy intersection, Picasa, Adedotun Ajibade / Wikimedia Commons – Public Domain, https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/

Nigeria zwischen Hoffnung und Krise: Tinubus Wirtschaftsreformen und ihre Folgen

Nigeria kämpft mit der schlimmsten Lebenskostenkrise seit fast 30 Jahren und Präsident Bola Tinubu, der noch im vergangenen Jahr als neuer politischer Hoffnungsträger galt, ist dafür maßgeblich mitverantwortlich. Angesichts steigender Armut, zunehmender Frustration mit der Regierung und immer heftigeren Protesten befindet sich das Land wieder einmal an einer kritischen Weggabelung. Die wirtschaftliche Misere wird sich nur mit einer drastischen politischen Wende überwinden lassen.  

Genau wie Millionen von anderen Menschen in Nigeria verfolgte ich im Mai des vergangenen Jahres die Amtsübernahme von Präsident Bola Ahmed Tinubu – und erwartete eine Rede, die der „neuen Hoffnung“ Ausdruck verleihen würde, die er dem Volk im Wahlkampf versprochen hatte. Stattdessen verkündete Tinubu in einem fast beiläufigen Satz die Abschaffung der Benzinsubventionen. Einen Plan, wie die dadurch entstehenden Kosten aufgefangen werden könnten, legte er nicht vor. Diese und andere wirtschaftliche Entscheidungen, haben dazu beigetragen, dass Millionen von Menschen in Nigeria noch tiefer in die Armut gerutscht sind und sich die Lebenkostenkrise, in der das Land schon seit 30 Jahren steckt, weiter verschärft hat. 

Man mag argumentieren, dass die Benzinsubventionen die Energiewende verzögert haben und vor allem wohlhabenden Nigerianerinnen und Nigerianern zugutegekommen sind. Gleichzeitig war diese finanzielle Stütze für viele Menschen im Land jedoch eine wichtige Lebensader, die Ihnen den Zugang zu einer überlebenswichtigen Ressource sicherte. Immerhin ist Benzin für viele Menschen im Land die Grundlage für Mobilität und Strom. Die Einsparungen aus der Abschaffung der Benzinsubventionen hätten also zumindest dazu verwendet werden müssen, die Bevölkerung auf andere Art und Weise zu entschädigen bzw. ihnen das Leben und die wirtschaftliche Teilhabe mit anderen Mitteln zu erleichtern.  

Ein paar Stunden nach Tinubus Ankündigung fuhr ich durch die Straßen der Hauptstadt Abuja und sah lange Schlangen vor den Tankstellen. Die Menschen füllten ein letztes Mal ihre Tanks, bevor die Preise in die Höhe schossen. Das war nicht die „neue Hoffnung“, die sie sich vorgestellt hatten, sondern eine aufbrandende Welle der Panik und der Unsicherheit. Die Folgen der Entscheidung wurden schnell schmerzlich deutlich: Die Abschaffung der Benzinsubventionen trug dazu bei, dass die Inflation in Nigeria bis Juni dieses Jahres auf 34,19 Prozent anstieg, wobei die Lebensmittelinflation sogar 40 Prozent überstieg. Millionen von Menschen müssen seither verzweifelt darum kämpfen, sich das Nötigste leisten zu können, und über 80 Prozent der geschätzten mehr als 200 Millionen Menschen in Nigeria leben in Armut.

Tinubus Maßnahmen greifen zu kurz

Neben der Abschaffung der Benzinsubventionen setzte sich Tinubu, der eine kränkelnde Wirtschaft geerbt hat, bereits kurz nach seiner Amtsübernahme auch dafür ein, die lokale Währung für den Handel freizugeben. Das führte zu einer starken Abwertung des Naira und trug ebenfalls zur hohen Inflation bei. Der Präsident rechtfertigte seine Entscheidung als „schmerzhaft, aber notwendig“, um die jahrzehntelange Misswirtschaft zu korrigieren, und wies darauf hin, dass viele vergangene Entscheidungen – und insbesondere die Benzinsubventionen – die Staatsfinanzen ausgehöhlt hätten.  

Erst einige Monate später stellte die Regierung dann Pläne vor, um die Auswirkungen ihrer Entscheidungen abzufedern. Dazu zählte auch ein Programm, das bedürftige Haushalte durch direkte Bargeldtransfers unterstützen sollte. Diese Maßnahmen reichen aber bis heute bei weitem nicht aus, um die wirtschaftliche Notlage zu bekämpfen. So sah das im Oktober letzten Jahres angekündigte Bargeldtransferprogramm vor, innerhalb von drei Monaten jeweils 25.000 Naira (rund 15 US-Dollar) an 15 Millionen Menschen zu verteilen. Bis Dezember hatte das Programm Presseberichten zufolge jedoch gerade einmal 1,7 Millionen Menschen erreicht. 

In Nigeria gibt es bis heute kein richtiges soziales Auffangnetz, das bedürftigen Menschen eine staatliche Unterstützung neben ihrem Einkommen bietet. Zwar werden gelegentlich Ad-hoc-Programme eingeführt, um bestimmte Krisen zu bewältigen – so etwa auch während der Corona-Pandemie. Durch die Schärfe der derzeitigen Inflation kommt es jedoch vielerorts zu Härtefällen, die von diesen zeitlich begrenzten und finanziell stark limitierten Initiativen nicht aufgefangen werden.  

Die Inflation hat die jüngste Erhöhung des Mindestlohns von 30.000 auf 70.000 Naira, die erst durch mehrfache Streiks und zähe Verhandlungen mit den Gewerkschaften erreicht wurde, weitestgehend bedeutungslos gemacht. Tatsächlich waren die Löhne im Land bislang so niedrig, dass die Erhöhung von der erneuten Preissteigerung komplett relativiert wird und kaum für Entlastung sorgt. 

Mangelnde Transparenz und zunehmende Proteste 

Als Präsident Tinubu die Abschaffung der Benzinsubventionen ankündigte, versprach er unter anderem, die eingesparten Mittel für die öffentliche Infrastruktur und die Verbesserung der Lebensbedingungen zu verwenden. Mehr als ein Jahr später ist jedoch völlig unklar, wie viel Geld durch die Maßnahmen überhaupt eingespart wurde und wie es verwendet wird. Stattdessen sorgt die Regierung immer wieder für Schlagzeilen auf der Ausgabenseite. So etwa mit der Entscheidung, ein neues Flugzeug für den Präsidenten zu erwerben und mit Plänen, eine Luxusyacht in Auftrag zu geben, die beide für viel Empörung gesorgt haben. Verständlicherweise zweifeln die Menschen im Land an dem Sinn solcher Ausgaben, während sie selbst Armut und Hunger leiden.  

Gleichzeitig werden die daraus resultierenden Proteste von der Regierung zunehmend unterdrückt, was sich auch in den Beobachtungen des Transformationsindex BTI der Bertelsmann Stiftung widerspiegelt: bei Indikatoren wie der „Presse- und Meinungsfreiheit“ und dem „Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit“ verliert Nigeria hier immer mehr an Boden. Als die Menschen beispielsweise im August auf die Straße gingen, um ihrer wirtschaftlichen Notlage Ausdruck zu verleihen, reagierte die Regierung nicht mit einem offenen Ohr, sondern mit Repression: Die Behörden versuchten, die Proteste mit übermäßiger Gewalt zu ersticken, und verhafteten zahlreiche Demonstranten, von denen einige später wegen schwerer Vergehen, darunter Hochverrat, angeklagt wurden. 

Anstatt auf die ernsthaften Sorgen der Menschen um die sozioökonomische Lage einzugehen, reagierte die Regierung mit dem Entzug ihrer Rechte. Anstatt den Dialog zu fördern und nach Lösungen zu suchen, legte sie autoritäre Züge an den Tag und versuchte, die Bürgerinnen und Bürger zu zwingen, die harten Realitäten ihrer Wirtschaftspolitik hinzunehmen. Diese plumpe Vorgehensweise hat die Kluft zwischen der Regierung und der Bevölkerung jedoch nur vertieft und diejenigen, denen sie zu helfen vorgibt, von der Politik entfremdet. 

Die Überwindung der Kluft zwischen Regierung und Bevölkerung 

Kritischen Beobachtern der Situation in Nigeria ist klar, dass die Regierung eine rechtebasierte und an den Menschen ausgerichtete Politik einschlagen muss, um ihre politische Beteiligung zu fördern und ihre wirtschaftlichen Sorgen aufzufangen – und dass sie sich den Auswirkungen ihrer wirtschaftlichen Maßnahmen in Zukunft besser bewusst werden muss, als es bislang der Fall war. Zudem müssen folgenreiche Entscheidungen wie die Streichung der Benzinsubventionen besser kommuniziert und transparent aufgearbeitet werden.  

Will Tinubus Regierung wirklich etwas erreichen, dann muss sie unter Einbeziehung der Öffentlichkeit einen klaren Plan aufstellen, wie die finanziellen Einsparungen, die sie anstrebt, kurz- und langfristig in Sozialprogramme und Infrastruktur investiert werden sollen. Sie sollte sich zudem auch verpflichten, ein Umfeld zu schaffen, in dem die Menschen ihre Anliegen frei äußern können, ohne Repressionen befürchten zu müssen. Denn nur, indem sie die Bedürfnisse der Menschen in den Vordergrund stellt und sie aktiv in die politischen Diskussionen einbezieht, kann die Regierung das Vertrauen wiederherstellen, das sie in den vergangenen Monaten verloren hat – und auf eine gerechtere Zukunft für alle Nigerianerinnen und Nigerianer hinarbeiten. 

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