Dunkle Wolken am Horizont für Milei, Argentiniens libertären Wunderknaben
Im Dezember 2023 trat Argentiniens libertärer Präsident Javier Milei sein Amt an – mit einer Kettensäge in der Hand und dem Versprechen, den Staat radikal zu stutzen. Heute ist die Inflation gesunken, und der IWF unterstützt sein Reformprojekt – doch Armut, Proteste und ein Korruptionsskandal stellen sein Versprechen, mit der Vergangenheit zu brechen, auf die Probe.
Milei gewann die Präsidentschaftswahlen mit einer Mischung aus großspurigen Versprechen einerseits, die Wirtschaft zu dollarisieren und die Zentralbank zu schließen, sowie andererseits schonungsloser Offenheit, was die harten Auswirkungen der geplanten Austeritätspolitik angeht. Die Kettensäge würde zum Symbol dafür, dass seine Kürzungen nicht wohlbemessen, sondern brachial ausfallen sollten.
Kürzungen für die „Kaste“ oder fürs Volk?
Nach Jahrzehnten peronistischer Herrschaft versprach Milei einen abrupten Kurswechsel, weg von staatszentrierter Ideologie, hin zu einem Minimalstaat, in dem private Initiative und die unsichtbare Hand des Marktes die Probleme der Gesellschaft lösen sollten.
Er versprach, seine Kürzungen würden ausschließlich den Staat treffen – eine aufgeblähte, korrupte Institution der Eliten, die er „la casta“ nennt, die „Kaste“. Einfache arbeitende Menschen sollten dagegen von den Einschnitten verschont blieben. Die Realität sieht jedoch anders aus.
In der ersten Jahreshälfte 2024 führte die Umstellung der Wirtschaft zu einer Rezension sowie zu einer brutalen Spirale der Inflation: Sie erreichte im April 2024 ihren Höhepunkt von 289 %. Die Armutsquote lag bei 55 bis 57 % – der höchste Wert seit 20 Jahren – und selbst Erhöhungen der Kinderbeihilfen reichten nicht aus, um zu verhindern, dass inzwischen sieben von zehn argentinischen Kindern in Armut leben. Auch die Renten wurden weitgehend entwertet. Ältere Menschen protestieren seither jeden Mittwoch vor dem Kongress – und werden regelmäßig Opfer von Polizeigewalt.
Seit dieser turbulenten Anfangsphase hat sich die Lage gebessert. Die Inflation sank bis Juli 2024 kontinuierlich auf 37 % (dies ist der jüngste verfügbare Wert). Die Armut ging in der zweiten Hälfte 2024 auf 38 % zurück. Und erstmals seit 16 Jahren verzeichnete Argentinien einen Haushaltsüberschuss.
Doch die sinkende Inflation und die fiskalische Stabilität fordern ihren Preis. Das Sozialstaatsmodell leidet unter den Einschnitten: Soziale Sicherungssysteme, die normalerweise Arbeitslosigkeit und Armut abfedern, brechen unter den Sparmaßnahmen zusammen. Das führt zu einer wachsenden Ungleichheit beim Zugang zur gesellschaftlichen Teilhabe – und damit zu neuen sozialen Spannungen. Dies spiegelt sich auch in den jüngsten Daten des Bertelsmann Transformation Index (BTI) 2026 wider: Die Werte für Sozioökonomische Hindernisse und Soziale Sicherungssysteme sanken jeweils von 6 auf 5 Punkte, die Bewertung der Chancengleichheit von 7 auf 6.
Internationaler Währungsfonds und Devisenkontrollen
Während der ersten anderthalb Jahre von Mileis Amtszeit stellten sich Unternehmer und Investoren vor allem eine Frage: Wann würde die Regierung die Devisenkontrollen aufheben? Dieses Geflecht von Beschränkungen für den Umgang mit US-Dollar hatte eine Vielzahl von Wechselkursen hervorgebracht – und bereitete jedem, der Geschäfte machen wollte, Kopfzerbrechen.
Im April 2025 kam die Antwort. Wirtschaftsminister Luis Caputo und Zentralbankpräsident Santiago Bausili erklärten in einer langen Ansprache, Argentinien werde die Kontrollen schrittweise aufheben. Der Peso solle künftig frei in weitgefächerten Bandbreiten schwanken, und die Regierung werde nur eingreifen, wenn diese Grenzen über- oder unterschritten würden. Kurz darauf kündigten Weltbank und IWF finanzielle Hilfen an, um Argentiniens Reformprogramm zu stützen.
Im Oktober 2025 stehen in Argentinien die Zwischenwahlen an: Die Hälfte der Abgeordneten und ein Drittel der Senatoren werden neu gewählt. Milei verfügt im Kongress nur über eine kleine Minderheit und ist auf wohlgesonnene Teile der Opposition angewiesen. Seine bisherige Strategie: Alles blockieren, was neue Ausgaben verursacht. Denn ein Präsidentenveto lässt sich nur mit einer Zweidrittelmehrheit überstimmen – es ist einfacher, ein Gesetz zu verabschieden, als ein Veto aufzuheben. Milei hofft, durch die Wahlen seine Position zu stärken, um künftig leichter regieren zu können.
Korruptionsskandal und Warnsignale
Sein Wahlerfolg hängt jedoch in hohem Maße von einer stabilen Wirtschaft ab – und damit von einem stabilen Dollar. Die Regierung scheute lange davor zurück, Dollarreserven aufzukaufen, um den Kurs nicht nach oben zu treiben. Dadurch sind die Devisenreserven jedoch fast erschöpft.
Das erwies sich als Teufelskreis: Exporteure wollen aufgrund des ungünstigen Wechselkurses nicht verkaufen, während die Argentinier, gestärkt durch das Fehlen von Devisenkontrollen und den Superpeso – einer Währung, die gegenüber dem Dollar als Referenzwährung deutlich aufgewertet wurde –, die Staatskassen durch Auslandsurlaube leeren. Nach unruhigen Handelstagen kündigte die Regierung an, direkt in den Devisenmarkt einzugreifen.
Noch gefährlicher könnte jedoch eine Entwicklung im eigenen Haus werden. Ende August gelangten Tonaufnahmen an die Öffentlichkeit, laut denen hochrangige Regierungsmitglieder – darunter Mileis Schwester Karina, die als eigens ernannte Generalsekretärin der Präsidentschaft fungiert – Schmiergelder im Austausch für Aufträge der staatlichen Behindertenagentur verlangt haben sollen. Die Enthüllung kam zu einem Zeitpunkt, als Milei im Kongress mit aller Macht versuchte, ein Gesetz zur Erhöhung der Mittel für Menschen mit Behinderung zu blockieren – mit der Begründung, es sei kein Geld dafür da. Erstmals seit seinem Amtsantritt überstimmte der Kongress daraufhin sein Veto.
Der Skandal zeigte rasch Wirkung an den Wahlurnen: Am 7. September stimmten die Wähler der Provinz Buenos Aires – dem größten Wahlbezirk des Landes, in dem fast 40 % der Wahlberechtigten leben – bei Regionalwahlen ab. Die Opposition siegte mit 47 % und einem Vorsprung von 13 Punkten über Milei.
Was in den Randbezirken von Buenos Aires passiert – traditionell eine Hochburg der Peronisten – lässt sich nicht eins zu eins auf das ganze Land übertragen. Doch eines ist klar: Für Mileis Reformagenda könnte eine Reise, die im April noch wie eine ruhige Überfahrt aussah, bald in stürmische Gewässer geraten.
Hinweis: Die endgültigen BTI-Berichte mit den genannten Zahlenwerten werden Anfang 2026 veröffentlicht.
Zuerst veröffentlicht von Global South World.