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Anna Psiaki / Wikimedia Commons – CC BY-SA 4.0, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

Die Ergebnisse des BTI 2020 im Zeichen der Corona-Pandemie

COVID-19 wird in den meisten der vom BTI 2020 untersuchten 137 Entwicklungs- und Transformationsländer gerade die Schwachstellen verstärken, die die Negativbilanz des letzten Jahrzehnts geprägt haben: mangelnde Rechtsstaatlichkeit, eingeschränkte politische Rechte, fiskalpolitische Instabilität und steigende soziale Ungleichheit.

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Aktuell hält die Corona-Pandemie weite Teile der Welt in Atem. Weder ist absehbar, wie schnell und weit sich COVID-19 verbreiten wird, noch wie lange die aus der Pandemie erwachsene Krise der Wirtschaft und der Sozialsysteme bis zur Entwicklung eines Impfstoffs andauern wird. Klar ist allerdings, dass sie die teils nur schwach ausgebauten Gesundheitssysteme vieler der vom Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung (BTI) untersuchten 137 Entwicklungs- und Transformationsländer auf das Äußerste strapazieren und einschneidende ökonomische und soziale Konsequenzen nach sich ziehen wird. Einige Experten gehen bereits jetzt davon aus, dass zahlreiche Länder in ihrer Entwicklung um viele Jahre zurückgeworfen werden und Hunderte Millionen von Menschen in extreme Armut abzugleiten drohen. Damit werden die Stabilität der politischen Institutionen und die Regierungsfähigkeit der von der Pandemie erfassten Staaten einem beispiellosen Stresstest unterzogen.

Der bisherige Umgang mit der Krise und ihre absehbaren Auswirkungen legen die Prognose nahe, dass die Pandemie gerade die Schwachstellen verstärken wird, die die vom BTI 2020 identifizierte Negativbilanz des vergangenen Jahrzehnts geprägt haben.

Erosion der Demokratiequalität

COVID-19 könnte dazu beitragen, dass die Machtballung in der Exekutive gesteigert und Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung weiter ausgehöhlt werden, einhergehend mit schwerwiegenden Einschränkungen von politischen Rechten wie Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Die aktuelle, krisenbedingte Zustimmung zu einer Ausweitung von Exekutivbefugnissen findet am Ende eines Jahrzehnts statt, in dessen Verlauf in 60 der 128 vom BTI bereits 2010 untersuchten Staaten sowieso schon eine teils massive Aushöhlung der Gewaltenteilung stattgefunden hat. In zahlreichen Ländern bietet sich zunehmend autoritär regierenden Staatschefs nun die Gelegenheit, ihre bereits überdehnte Machtfülle noch weiter auszubauen und im Zuge der Überwachung von Ausgangssperren und der Unterbindung von Fake News auch missliebige oppositionelle Stimmen zu Schweigen zu bringen.

Das ungarische Beispiel illustriert diese Problematik: das Parlament verabschiedete am 30. März mit der Zweidrittelmehrheit der regierenden Fidesz-Partei ein selbstentmachtendes Not-standsgesetz, das es Ministerpräsident Viktor Orbán erlaubt, zur Bewältigung der Krise per Dekret zu regieren, den Ausnahmezustand unbegrenzt zu verlängern und bestehende Rechtsvorschriften auszusetzen oder von ihnen abzuweichen. Dies wird verbunden mit drakonischen Strafandrohungen für die Verbreitung von Falschmeldungen und die Behinderung der Pandemiebekämpfung und eröffnet der Regierung weitreichende Möglichkeiten, die Meinungsfreiheit weiter einzuschränken und die kritische Öffentlichkeit zu unterdrücken.

Auch wenn die ungarische Aushebelung der Gewaltenteilung den bislang gravierendsten Fall des Demokratieabbaus darstellt, gehen andere Regierungen schon jetzt in eine ähnliche Richtung, insbesondere bei Einschränkungen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Der BTI 2020 weist neben Ungarn auch Serbien, die Philippinen, Sambia und Tansania als Kandidaten für das Abgleiten in autoritäre Verhältnisse aus. In diesen Ländern ist Rechtsstaatlichkeit in den vergangenen Jahren bereits in bedenklichem Ausmaß ausgehöhlt worden, und bei weiterer exekutiver Machtballung im Zuge der Corona-Krise droht auch deren Gewaltenteilung, wie im türkischen Fall bereits geschehen, unter demokratische Mindeststandards zu fallen.

Aushöhlung der Gewaltenteilung, BTI 2010-2020

Auch wenn die ungarische Aushebelung der Gewaltenteilung den bislang gravierendsten Fall des Demokratieabbaus darstellt, gehen andere Regierungen schon jetzt in eine ähnliche Richtung, insbesondere bei Einschränkungen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Der BTI 2020 weist neben Ungarn auch Serbien, die Philippinen, Sambia und Tansania als Kandidaten für das Abgleiten in autoritäre Verhältnisse aus. In diesen Ländern ist Rechtsstaatlichkeit in den vergangenen Jahren bereits in bedenklichem Ausmaß ausgehöhlt worden, und bei weiterer exekutiver Machtballung im Zuge der Corona-Krise droht auch deren Gewaltenteilung, wie im türkischen Fall bereits geschehen, unter demokratische Mindeststandards zu fallen.

Der drohende wirtschaftliche und soziale Kollaps

COVID-19 wird eine Gesundheits-, Wirtschafts- und Sozialkrise beispiellosen Ausmaßes auslösen. Anders als in Europa werden viele Entwicklungsländer erst in diesen Wochen von der Pandemie mit voller Wucht getroffen, aber die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen spüren ihre Ökonomien und gerade die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft schon seit geraumer Zeit.

Zur Kriseneindämmung und für Konjunkturprogramme verfügen die meisten der 137 vom BTI 2020 untersuchten Staaten nicht über hinreichende finanzielle Ressourcen. Schon vor der Pandemie drohte eine globale Schuldenkrise, und seitdem ist dieses Szenario noch einmal deutlich wahrscheinlicher geworden. Viele Länder sind so hoch verschuldet wie seit den 1980er Jahren nicht mehr. Aus massiver Überschuldung könnte im Zuge der Ausbreitung des Coronavirus eine Welle von Staatspleiten resultieren. Mitte April hatten bereits über 100 Regierungen beim Internationalen Währungsfonds Finanzhilfe beantragt.

Neben den fehlenden fiskalpolitischen Möglichkeiten zur Finanzierung von Kriseneindämmung und Konjunkturbelebung kommen noch zwei weitere problematische Aspekte hinzu, die eine erfolgreiche Pandemiebekämpfung in vielen Ländern unwahrscheinlich machen:

Zum einen ist die medizinische Infrastruktur in den meisten Ländern so schwach entwickelt, dass deren Kapazitäten auch bei moderater Infektionsrate sehr schnell überfordert sein werden. So ist das im afrikanischen Vergleich vergleichsweise gut entwickelte südafrikanische Gesundheitssystem selbst unter normalen Bedingungen bereits jetzt mit über sieben Millionen HIV-Infizierten schon an der Belastungsgrenze.

Zum anderen kann die Infektionsrate angesichts von fehlenden hygienischen, sozialräumlichen und steuerungspolitischen Kapazitäten in den meisten Ländern nicht unter Kontrolle gehalten werden, wenn die Epidemie erst einmal ausgebrochen ist. Das indische Beispiel der Millionen Wanderarbeiter, die den Virus aus den überfüllten Metropolen in ihre Dörfer zurücktragen, illustriert, dass angesichts des täglichen Kampfes ums Überleben der Aufruf zu „Social Distancing“ ungehört verhallen muss.

Das Leben an oder unterhalb der Armutsgrenze zählt für die meisten Menschen in Entwicklungsländern zum Alltag. Im BTI 2020 weisen 76 von 137 Ländern ein sehr niedriges Niveau der sozioökonomischen Entwicklung auf, das mit 4 oder weniger Punkten bewertet wird. In mehr als der Hälfte aller vom BTI untersuchten Länder sind Armut und Ungleichheit damit weit verbreitet und weisen auf fest verankerte Ausgrenzungsmuster hin. Trotz insgesamt eher gesunkener extremer Armutsraten hat sich die soziale Ungleichheit in den letzten zehn Jahren noch verstärkt.

Ein wesentliches Problem ist in diesem Zusammenhang die in den meisten Ländern nur geringe Größe des formellen Sektors. Auch wenn der informelle Sektor ein Sicherheitsventil für Arbeitssuchende darstellt, so ist er deutlich weniger produktiv, schlechter bezahlt, sozialpolitisch weniger zugänglich und arbeitsrechtlich so gut wie nicht abgesichert. Die soziale Verletzlichkeit der im informellen Sektor arbeitenden Bevölkerung ist also besonders hoch und droht, wie im Falle Indiens mit weit über 80 Prozent informell Beschäftigter, durch die Corona-Krise in dramatischer Weise zu steigen. In vielen Ländern wird sich Armut und Ungleichheit noch einmal verstärken.

Schlechte Regierungsqualität in Krisenzeiten

Vor dem Hintergrund der akut drohenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen ist besonders problematisch, dass viele Regierungen in Entwicklungs- und Schwellenländern für diese großen Herausforderungen nur unzureichend gerüstet sind. Der BTI 2020 zeichnet ein besorgniserregendes Bild und belegt, dass im zurückliegenden Jahrzehnt die Regierungsqualität in zahlreichen Ländern deutlich gesunken ist. Darunter befinden sich bevölkerungsreiche und wirtschaftlich für ihre Regionen bedeutsame Staaten wie Ägypten, Brasilien, Indien, Indonesien, Mexiko, Nigeria und die Türkei.

BTI 2020: Immer mehr Menschen werden schlecht regiert

Beunruhigend mit Blick auf eine gebotene gesamtgesellschaftlich getragene und internationale abgestimmte Krisenstrategie ist dabei, dass gerade die konsensorientierten Aspekte von Governance wie Konfliktmanagement oder die Bereitschaft zur internationalen Zusammenarbeit sehr stark zurückgehen. Bestehende ethnische, religiöse oder regionale Spaltungen werden häufig instrumentalisiert und vertieft, so dass die Polarisierung von Gesellschaften in der zurückliegenden Dekade weltweit gestiegen ist, besonders stark in Brasilien, Indien und der Türkei.

Auch auf internationaler Ebene haben die konsensstiftenden Aspekte von Regierungsqualität deutlich an Gewicht verloren, insbesondere in Zentralamerika, im Nahen Osten sowie in Ost-mittel- und Südosteuropa. Regionalpolitisches Machtstreben und illiberale Allianzen haben die Zusammenarbeit mit externen Unterstützern sowie im bi- und multilateralen Rahmen erheblich beeinträchtigt. Gerade die recht hoch bewertete regionale Kooperationsbereitschaft ist im BTI 2020 besonders stark rückläufig. Dies lässt befürchten, dass vielerorts Abschottungstenden-zen und nationalstaatliche Alleingänge die Reaktion auf die Corona-Pandemie prägen werden.

Doch auch andere, positivere Szenarien sind denkbar. Zum einen haben insbesondere autoritär-populistische Regierungen bislang in ihrem Krisenmanagement versagt, so dass deren Entzauberung in einem Erstarken von rationalen und konsensualen Politikelementen münden könnte.

Zudem ist durchaus denkbar, dass es im Zuge einer umfassenden Krise zu einer innergesellschaftlichen Solidarisierung kommt, die zivilgesellschaftliche Selbsthilfe und Kooperation gegen die gesundheitlichen und sozialen Folgen der Pandemie stärkt. Unter den wenigen Demokratieindikatoren, die sich im Verlauf der letzten zehn Jahre im BTI positiv entwickelt haben, zählt die gestiegene Selbstorganisationskraft und Kooperationsbereitschaft der Zivilgesellschaft in vielen Ländern.

Schließlich besteht aktuell, bevor die Ausbreitung des Virus in den meisten Ländern ihren Höhepunkt erreicht hat, noch die Möglichkeit, durch eine deutlich verstärkte internationale Zusammenarbeit die Wucht der Krise etwas abzumildern. In den vergangenen Wochen sind erste richtige Schritte zur Unterstützung von Entwicklungsländern gegangen worden, von einem zeitweisen Schuldenerlass des IWF über Initiativen zur Stärkung der Weltgesundheitsorganisation bis hin zu Hilfspaketen in Milliardenhöhe. Dies wird jedoch bei weitem nicht reichen, Unterstützung muss schneller, abgestimmter und umfangreicher ausfallen. Angesichts drohender Hungersnöte „biblischen Ausmaßes“, die das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen bei ausbleibender Stabilisierung und Unterstützung befürchtet, wird es wesentlich sein, dass der wiederholt betonte politische Wille zu internationaler Zusammenarbeit zügig in Taten resultiert. Dann kann diese Krise auch eine Chance für die Wiederbelebung des Multilateralismus sein.

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