Kambodscha, Laos und ihr unfreiwilliger Beitrag zu einer neuen Ära in der südostasiatischen Sicherheitszusammenarbeit
Mit Kambodscha und Laos als loyalen Verbündeten Chinas braucht Südostasien einen neuen Ansatz für eine effektive Sicherheitskooperation. Nun öffnet ein Skandal, der durch einen pensionierten Diplomaten aus Singapur ausgelöst wurde, die Tür für eine überfällige Debatte.
Diplomaten agieren von Natur aus eher im Schatten, auch nach ihrer Pensionierung. Eine Abweichung von dieser Norm erregt daher Aufmerksamkeit und manchmal sogar noch mehr. Das galt auch für Singapurs Bilahari Kausikan, der im Oktober an einer öffentlichen digitalen Roundtable Veranstaltung teilnahm. Dort erwähnte Kausikan, dass die Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) eines Tages gezwungen sein könnte, Kambodscha und Laos aufgrund ihrer engen Beziehungen zur Volksrepublik China auszuschließen. Aus seiner Sicht ordnen beide Staaten ihre Loyalität gegenüber anderen ASEAN-Mitgliedsstaaten den chinesischen Interessen in der Region unter. Kausikan kritisierte Kambodscha und Laos wegen ihrer Zurückhaltung in sensiblen Fragen und nannte dieses Verhalten „passive Neutralität“. In einer auf dem Webinar basierenden Veröffentlichung schreibt der ehemalige Diplomat weiter, dass „Neutralität nicht bedeutet, unterzutauchen und auf das Beste zu hoffen“.
Während es kein Geheimnis ist, dass diese Wahrnehmung von mehreren ASEAN-Mitgliedstaaten geteilt wird, trafen seine Aussagen in China und Kambodscha einen Nerv. Akteure aus beiden Staaten wiesen seine Äußerungen umgehend zurück und verurteilten sie scharf. Einige Beobachter wiesen darauf hin, dass es sich um die Meinung einer Privatperson handele, die daher irrelevant sei. Dies könnte jedoch etwas zu arglos sein. Es nicht unüblich, dass Regierungen bedeutsame, aber heikle politische Themen über inoffizielle Kanäle kommunizieren. Und tatsächlich sprach Kausikan nur aus, was Diplomaten seit Jahren hinter verschlossenen Türen andeuten.
Die undiplomatischen Reaktionen sind eine Erinnerung daran, wie schwierig die Zusammenarbeit in Südostasien oft war. Von Thailand, Singapur, Indonesien, Malaysia und den Philippinen 1967 geschaffen, war die Eindämmung des Kommunismus der kleinste gemeinsame Nenner, der zur Gründung der ASEAN führte. Dieser genügte ein Viertel Jahrhundert bis in die 1990er Jahre, als Vietnam, Laos, Myanmar und schließlich Kambodscha (nach Brunei Darussalam 1984) dem Block beitraten. Doch nicht nur das Ende der von der Sowjetunion ausgehenden kommunistischen Bedrohung veränderte das Selbstverständnis der ASEAN grundlegend, sondern auch die Herausforderungen, die sich aus der neuen ideologiefreien multipolaren Welt(un)ordnung ergaben.
Seither hat sich die ASEAN nach Kräften bemüht, ein robustes gemeinsames Fundament zu entwickeln, um die ihr innewohnenden zentrifugalen Kräfte einzudämmen. Während es einige gemeinsame Interessen vor allem in Bezug auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit gab und gibt, die zur Gründung der ASEAN Wirtschaftsgemeinschaft im Jahr 2015 führten, wurde in vielen anderen Themenbereichen lediglich Symbolpolitik betrieben. Oftmals erschien das Motto der ASEAN „Eine Vision, eine Identität, eine Gemeinschaft“ eher als Versprechen denn als Realität. Heute ist die Organisation weiter als je zuvor von ihrem 2007 selbst proklamierten Ziel entfernt, „eine Gemeinschaft im Stil der EU“ zu werden.
Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass dieses Bestreben, den Integrationsgrad der EU zu erreichen, von Anfang an eine Illusion war. Die Quelle der Zerrissenheit liegt in den weit auseinander gehenden geostrategischen Interessen der Mitgliedsstaaten . Es gleicht einer Selbsttäuschung, dass wichtige südostasiatische Akteure diese Tatsache lange ignoriert haben, obwohl sie in jahrhundertealten Traditionen verwurzelt ist. Der Traum von einer verstärkten regionalen Integration endete jedenfalls ziemlich abrupt im Jahr 2012, als zum ersten Mal in der Geschichte ein ASEAN-Gipfel ohne ein gemeinsames Abschlusskommuniqué endete.
Das war alles andere als eine Bagatelle. Kambodscha war zu dieser Zeit nicht nur Gastgeber, sondern auch ursächlich verantwortlich für dieses Scheitern. Mit der Blockade des Kommuniqués machte ein ASEAN-Mitgliedstaat zum ersten Mal deutlich, dass er den politischen Ambitionen eines externen Verbündeten Vorrang vor den essenziellen Sicherheitsinteressen seiner unmittelbaren Nachbarn einräumt. Das ist deswegen so bedeutsam, weil mit dem Einstimmigkeitsprinzip jeder Staat über ein Vetorecht verfügt. Aufgrund der hohen Abhängigkeit Kambodschas von – offiziell bedingungsloser – chinesischer Entwicklungshilfe wurde die Volksrepublik dadurch de facto Teil der ASEAN. In den letzten Jahren wurde Laos durch umfangreiche chinesische Entwicklungshilfe dann zu einem zweiten Eingangstor für China in die Organisation.
Der Hauptantrieb für Chinas Ambitionen liegt in seinen Gebietsansprüchen im Südchinesischen Meer. Sie überschneiden sich mit den meisten Ansprüchen seiner südostasiatischen Nachbarn, vor allem Vietnam und den Philippinen, aber auch Malaysia und Brunei Darussalam. Ein klares Ziel Chinas war es dabei stets, diesen Streit nicht zu multilateralisieren – und laut dem Bertelsmann Transformationsindex 2020 übernahm die kambodschanische Regierung den chinesischen Standpunkt. In dem Bericht heißt es: „Im Kontext der umfangreichen Hilfe Chinas und seines Einflusses als wichtigstem bilateralen Partner, bleibt Kambodscha ein starker Unterstützer chinesischer Interessen in den internationalen Beziehungen“. Die Volksrepublik hält daher über Kambodscha und Laos die ASEAN aus den Kontroversen um das Südchinesische Meer heraus. Für den Rest der Region ist die Neutralität der beiden Staaten daher kaum mehr als eine Fassade.
Aber dies ist nur ein Teil der jüngsten Entwicklungen. Seit dem vergangenen Jahr werden die militärischen Ambitionen Chinas im Golf von Thailand – nordwestlich des Südchinesischen Meeres mit den Nachbarländern Kambodscha, Malaysia, Vietnam und Kambodscha – deutlich. Es gibt einige Hinweise darauf, dass China für 30 Jahre exklusiven Zugang zu einem Teil des Ream-Marinestützpunktes auf kambodschanischem Territorium erhält. Darüber hinaus gibt es Anzeichen dafür, dass der internationale Flughafen Dara Sakor im Süden Kambodschas zu einem chinesischen Luftwaffenstützpunkt werden könnte. Sollten diese Pläne verwirklicht werden, würde China seine militärische Präsenz und seinen Einfluss in Südostasien erheblich ausbauen. Im Zusammenhang mit dem offensiven Ansatz des Landes im Südchinesischen Meer hat dieser potenzielle Schritt erhebliche Auswirkungen auf die Sicherheitsarchitektur Südostasiens.
Das könnte erklären, warum mehrere ASEAN-Mitgliedstaaten die regionale Governance wiederbeleben wollen. Mit dem Entstehen einer aggressiven Supermacht in der Nachbarschaft wird eine verstärkte Sicherheitszusammenarbeit unausweichlich. Wie Bilahari Kausikan angedeutet hat, wird dies aufgrund der engen Beziehungen Chinas zu Kambodscha und Laos innerhalb der ASEAN nicht möglich sein. Die Organisation ist aufgrund ihrer internen Strukturen zu einer solchen Entwicklung weitgehend handlungsunfähig ist. Daraus den Schluss zu ziehen, dass beide Länder ihre Mitgliedschaft in der Regionalorganisation aufgeben müssen, hätte jedoch zu schwerwiegende Folgen. Insbesondere würde eine solch radikale Entscheidung die wirtschaftliche Integration in der Region und die Zusammenarbeit in anderen, weniger kontroversen Politikfeldern beeinträchtigen. Trotz ihrer begründeten Sicherheitsbedürfnisse kann dies nicht die Interessen der anderen südostasiatischen Staaten widerspiegeln. Daher sind die beteiligten Staaten sehr gut beraten, für diesen Schritt nicht die ASEAN zu nutzen. Stattdessen könnte eine stabile und verbindliche Zusammenarbeit besser durch eine „Koalition der Willigen“ erreicht werden. Europa ist ein ausgezeichnetes Vorbild, da es die wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie die politische Integration und die juristische Harmonisierung (EU) von der militärischen Zusammenarbeit (NATO) trennt. Dieses Zwei-Säulen-Modell ermöglicht viel mehr Flexibilität für die Zusammenarbeit und verringert den Druck bei der Aushandlung von Gesamtpaketen. Trotz der bestehenden Muster eines reduzierten gegenseitigen Vertrauens zwischen den südostasiatischen Nationen – im besten Falle „strategisches Vertrauen“ – im Vergleich zu Europa, einer viel homogeneren Region, gibt es keinen Hinweis darauf, warum ein ähnliches Bündnis mit einem klar defensiven Ansatz nicht aufgebaut werden könnte.
Darüber hinaus haben vier Jahre Trumpismus deutlich gemacht, dass es in der amerikanischen Außenpolitik zunehmend isolationistische Tendenzen gibt. Obwohl es wahrscheinlich ist, dass der neue Präsident Joe Biden zu einer aktiveren Agenda der Vereinigten Staaten in globalen Angelegenheiten zurückkehren wird, könnten die nächsten vier Jahre gerade genug Zeit sein, um einen kollektiven Verteidigungsmechanismus in Südostasien zu entwickeln, bevor das Pendel möglicherweise wieder in die andere Richtung ausschlägt. In jedem Fall wäre ein Sicherheitsbündnis, das die USA und ihre Verbündeten nicht als Gegner wahrnimmt, ein viel attraktiverer Partner bei der Lösung globaler Sicherheitsfragen als die derzeitige Konstellation mit den begrenzten Möglichkeiten der einzelnen Staaten in Südostasien.
Im schlimmsten außenpolitischen Szenario – einem neuen Kalten Krieg mit den Vereinigten Staaten und China als Hauptgegnern – würde eine vertiefte Sicherheitszusammenarbeit sogar noch wichtiger. Die Motivation zur regionalen Zusammenarbeit in Südostasien würde dann wieder zu ihren Wurzeln zurückkehren – nämlich zur Eindämmung eines von außen gesteuerten Vordringens. Die Folgen für Südostasien wären jedoch beträchtlich und ein tiefer Riss in der Region kaum zu vermeiden. Aber soweit muss es nicht kommen. Es liegt an China, ob es mit Südostasien kooperieren oder Südostasien dominieren will. Sowohl Kambodscha als auch Laos sind souveräne Staaten, die unabhängig und frei von Einmischung entscheiden sollten, ob sie China mit einer angeblich neutralen Haltung unterstützen oder aktiv zu einem effektiven Ausgleich zwischen den meisten seiner südostasiatischen Nachbarn und China beitragen wollen.
Kausikans Äußerungen haben die Tür für solche Überlegungen und Diskussionen geöffnet. Alle beteiligten Parteien sind gut beraten, sie konstruktiv zu nutzen.
Dr. Markus Karbaum ist Politikwissenschaftler und Berater, der auf kambodschanische und südostasiatische Politik spezialisiert ist.
Diese Fassung ist eine Übersetzung des englischen Originalbeitrags.