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Strand von Paquitequete in Pemba, Foto von Stefan Ehlert

Multiple Krisen in Mosambik: Der Terror von Cabo Delgado und die Folgen

Der Terror in der Provinz Cabo Delgado in Mosambik hat schon eine halbe Million Menschen entwurzelt. Die Regierung in Maputo wirkt hilflos gegenüber der Gewalt der radikalen Islamisten. Aus einem lokalen Konflikt erwächst ein Problem für die Region.

Vielleicht ist er ein Sinnbild für diese Krise: Paulo Samuel Kankhomba, 1968 gefallen. Der Ikone der mosambikanischen Befreiungsfront Frelimo ist eine hölzerne Statue am Strand von Pemba gewidmet. Sie steht auf einem der wenigen Plätze der Stadt, der nicht von Müll übersät ist. Doch der Held selbst macht einen schwer versehrten Eindruck. Die Arme sind Stümpfe, das Holz verwittert, die Farbe blättert ab. Könnte er noch eine Schlacht gewinnen, den Soldaten Mut einflößen und die staatliche Terrorabwehr dazu inspirieren, eine Strategie zu entwickeln?

Seit drei Jahren terrorisieren gewalttätige Islamisten Mosambiks nördlichste Provinz Cabo Delgado und scheinen dabei von Sieg zu Sieg zu eilen. Waren es anfänglich nur wenige 10.000 Menschen, die aus Angst vor Übergriffen geflohen waren, so wird die Zahl der in Folge dieses Konflikts zu versorgenden Geflüchteten vom World Food Programme (WFP) in Cabo Delgado derzeit auf eine halbe Million geschätzt. Mosambiks Premierminister Carlos Agostinho de Rosário sprach auch schon von 560.000 Menschen, das entspräche fast einem Viertel der Gesamtbevölkerung in der Provinz. Die Todesopfer registriert offenbar niemand so genau, zwischen 1000 und 4000 sollen es sein. Offizielle Zahlen liegen dazu nicht vor.

Die WFP-Landesdirektorin Antonella D’Aprile weist darauf hin, dass die schwierige Sicherheitslage und blockierte Transportrouten es erschwerten, alle Bedürftigen zu erreichen. Zudem seien die Folgen der beiden Zyklone „Idai“ und „Kenneth“, die 2019 Teile Mosambiks verwüsteten noch längst nicht überwunden. Nun steht die Regenzeit in Cabo Delgado bevor, wenn Straßen unpassierbar werden und die Cholera sich ausbreiten könnte.

Davor haben Karina Adia (50) und ihr Mann Manuel Gustavo (57) (Namen geändert) Angst. Sie hocken auf einer Bambusmatte vor ihrer improvisierten Grashütte im Flüchtlingslager Camp Nangua westlich der Provinzhauptstadt Pemba. Es habe schon Tote gegeben in ihrem Lager, sagt Frau Adia, eine Durchfallerkrankung gehe um. Ihr Mann sagt, er fühle sich „machtlos wie Blätter im Wind“, er habe keine Ahnung, wie sein Leben künftig verlaufen werde. Er hebt seine kräftigen Hände, als ob er zeigen wolle, wie gut er zupacken könne. Aber sein Land im Distrikt Quissanga, das ihn und seine Familie gut ernährt habe, das habe er verlassen müssen, als eine Warnung kam, die „Al-Shabab“ würden angreifen. Er flüchtete zu Fuß und mit Minibussen bis in das etwa 120 Kilometer entfernte Lager, wo rund 6000 Menschen unterkamen. Hier muss er sich mit fünf Angehörigen die winzige Hütte teilen, in der ihm, wie er beklagt, das Wasser bei Regen schon bis zu den Knöcheln gereicht habe.

„Al Shabab“ – so nennen die Menschen die islamistische Miliz, die sich den wenigen von ihr verbreiteten Propaganda-Videos zufolge zum Ziel gesetzt hat, in Cabo Delgado ein Kalifat zu errichten, einen so genannten Gottesstaat mit der Scharia als Gesetz. Außerdem verkündeten die Islamisten, sie wollten die Regierungspartei Frelimo in Nordmosambik von der Macht vertreiben. Über Verbindungen zum Islamischen Staat IS wird spekuliert, doch könnte es sich auch um Propaganda handeln, um diesem ursprünglich lokal begrenzten Konflikt ein höheres Bedeutungsniveau und Drohpotenzial abzugewinnen.

Auf gut 1000 Kämpfer schätzt die Analystin Emília Columbo vom US-Centre für Internationale Strategische Studien (CSIS) die Stärke der Al-Shabab, die sich binnen 15 Jahren von einer kleinen, sektiererischen Minderheit zu einer militärischen Bedrohung entwickelt hätte. Zu ihren Stärken gehörten eine solide Finanzierung und die Tatsache, dass sie ihre Kräfte bislang nicht überdehnt hätten. Das könnte erklären, warum – anders als in anderen afrikanischen Ländern – Attacken in der Provinzhauptstadt Pemba und Maputo bislang ausgeblieben sind. Auch Selbstmordattentate wurden bislang nicht verübt. Als eines der Motive für die zumeist jungen Islamisten werden wirtschaftliche Not und Perspektivlosigkeit genannt. João Feijó, Forscher des Observatório do Meio Rural OMR hat in Cabo Delgado Interviews geführt und beobachtet, dass sich einige Gruppen von den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Provinz ausgeschlossen fühlten. Es gäbe gerade unter der vergleichsweise großen Gruppe der jungen Männer eine erhebliche Frustration darüber, dass sich die Hoffnungen auf Erlöse aus der projektierten Gasförderung in der Provinz noch nicht erfüllt hätten.

Für Tina Hennecken Andrade, seit 2016 Leiterin des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Maputo, ist „mit der von den Jihadisten angedachten Zentralrepublik des Islamischen Staates, der Gebiete in Tansania, Mosambik und der DR Kongo angehören sollen, ein neues Bedrohungsszenario“ verbunden, das dem Regionalverband der SADC-Länder eine kollektive Antwort abverlange.  Noch hat sich der Terror nicht bis zu den Installationen der Gasfirmen im Rovuma-Becken durchgefressen, doch neben sinkenden Preisen dürften auch Fragen der Sicherheit ins Kalkül der Investoren fallen. Der Zerfall staatlicher Souveränität in Teilen einer für die Gesamtwirtschaft Mosambiks so bedeutenden Provinz wie Cabo Delgado – dokumentiert im Bertelsmann Transformationsindex (BTI) 2020 – bedroht auf diese Weise die Hoffnungen des ganzen Landes, sich mit Erlösen aus Energieexporten aus der Armut zu befreien.

Regierung und Frelimo sind seit der Unabhängigkeit 1975 untrennbar miteinander verbunden. Doch in den Terrorzonen Cabo Delgados bedeutet die Zugehörigkeit zur Partei Eduardo Mondlanes und Samora Machels erhöhte Lebensgefahr. „Nach den Frelimo-Funktionären suchen die Al Shabab Kämpfer als erstes“, berichtet ein Chefe de Localidade, ein Ortsvorsteher, der mit seinem ganzen Dorf ins Camp Nangua umgesiedelt ist. Da alle staatlichen Jobs an Frelimo-Mitglieder gehen, haben sich in den von den Islamisten bedrohten Landstrichen zwischen Muidumbe und Quissanga Lehrer, Verwaltungs- und andere -beamte zurückgezogen.

Betroffen sind auch Unternehmer. „Die suchten mich“, sagt ein selbstständiger Wirtschaftsprüfer aus dem verwüsteten Mocimboa da Praia im Interview. Der 33-Jährige verlor seinen Firmensitz, sein Privathaus, ein Auto. Alles verbrannt, wie auch Firmenarchiv, Computer, Drucker. Wie andere Unternehmer weiß er nicht, wovon er künftig leben soll. „Da ist jetzt niemand mehr in Mocimboa, der nichts mit dem Konflikt zu tun hat“, sagt er, der gesamte Distrikt sei praktisch menschenleer. Ein Kollege aus dem latent gefährdeten Mueda berichtet, er habe sein Restaurant schließen müssen, weil er mit dem Alkoholausschank dort keine Zielscheibe abgeben wollte. Bewegen könne man sich nur noch zwischen 5 und 17 Uhr in Mueda, danach werde es zu gefährlich. Die Hälfte des Fuhrparks seines Transportunternehmens habe er eingebüßt, weil die Route nach Palma im Norden nicht mehr sicher sei. Von seinen 35 Angestellten habe er 33 entlassen.

So summieren sich wirtschaftliche Verluste und menschliches Leid zu einer schwer zu bewältigenden Gesamtsituation, von der die Welt jedoch bislang selten Notiz genommen hat, weil andere Krisen von Trump bis Äthiopien die Nachrichtenlage beherrschen und weil Mosambiks Regierung kaum Journalist*innen und Fernsehcrews ins Land ließ. „Wir brauchen aber Berichterstattung“, sagt dazu Pembas wortgewaltiger Bischof Luiz Fernando Lisboa. Er begrüßte ausdrücklich, dass Mosambiks Regierung im Ausland um Hilfe nachsuche, auch um militärische Unterstützung in Form von Training, Ausstattung, Logistik. Lisboa bestätigt Hinweise, wonach die Islamisten inzwischen Frauen und Kinder entführen. Nach der Erfahrung mit Boko Haram in Nigeria oder mit der Lord’s Resistance Army in Zentralafrika benötigen die Milizionäre Arbeitskräfte, um sich zu versorgen. In entvölkerten Landstrichen können sie sich kaum ernähren, auch deshalb sind sie gezwungen, immer neue Dörfer zu erobern und zu plündern.

Wo Al Shababs „Aufständische“, wie sie die Regierung nennt, auf Widerstand stoßen oder Verrat wittern, rächen sie sich grausam und schlitzen Menschen Augenzeugenberichten zufolge die Kehlen auf. Die Köpfe der Gepeinigten schneiden sie ab und werfen sie als Zeichen der gesteigerten Dehumanisierung in Kochtöpfen auf die Straße, bevor sie die Hütten ihrer Opfer in Flammen aufgehen lassen. Was klingt wie Gräuelpropaganda in einem Bürgerkrieg, erzählt eine völlig verstörte Flüchtlingsfrau, die keinen Grund hat und noch weniger die Konzentration, sich solche Details auszudenken. Doch weder Polizei noch Staatsanwaltschaft kümmern sich um diese Verbrechen, die auch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag beschäftigen müssten. Niemand befragt die Zeuginnen und Zeugen, damit sie sich gehört fühlen, damit sie dereinst Wiedergutmachung einfordern können.

Mosambiks Streitkräfte wiederum erweisen sich als bislang wenig effektiv in ihrem Vorgehen und als Akteur mit einer ebenfalls kritikwürdigen Menschenrechtsbilanz. Es gibt Hinweise, wonach viele ihrer Soldaten sich im Norden nicht verständigen können, weil sie die dortigen Lokalsprachen nicht sprechen. Die Verluste seien hoch und die Ausrüstung schlecht, während der Gegner oft im Vorfeld wisse, was die Armee vorhabe. Das Misstrauen der Soldaten gegenüber der lokalen Bevölkerung sei sehr groß. Der simbabwische Söldnerchef Lionel Dyck, Chef der Dyck Advisory Group, dessen Truppe die Regierung unter anderem zur Luftunterstützung und Aufklärung rekrutiert hat, spricht von großen Defiziten bei militärischen Operationen.

Wie oft in derartigen Konflikten fühlt sich die direkt betroffene Bevölkerung vollkommen ungeschützt. Auch das dürfte die ungewöhnlich hohe Zahl der Geflüchteten erklären, die inzwischen international auf politischer Ebene zunehmend auf Aufmerksamkeit stößt. Der US-Koordinator für Terrorabwehr, Botschafter Nathan A. Sales, versprach der mosambikanischen Regierung bei einem Besuch in Maputo im Dezember 2020 die Unterstützung der USA. Auch die Europäische Union hat Zusagen gemacht, die eine militärische Komponente in Form von Training zumindest nicht ausschließen.

Mosambiks Präsident Filipe Nyusi, dessen zweite Amtszeit zunehmend von dem Konflikt in Cabo Delgado überschattet wird, hatte öffentlich schon mehrfach um Hilfe der internationalen Gemeinschaft gebeten. Doch in diplomatischen Kreisen in Maputo ist man sich sehr unsicher, ob Mosambiks Regierung weiß, was genau sie will. Möglicherweise ist die Anti-Terror-Strategie des Staates in der herrschenden Frelimo-Elite umstritten und gerät im Ringen um die Nachfolge Nyusis als Partei- und Staatschef aus dem Blick.

Ende November 2020 trafen sich Staatschefs der südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft SADC, darunter der amtierende Präsident der Afrikanischen Union, Südafrikas Präsident Ramaphosa, um sich zur Krise in Cabo Delgado zu beraten. Mosambiks Präsident, der aktuell den SADC Vorsitz innehat, nahm jedoch selbst nicht teil, sondern ließ sich vertreten.

Stefan Ehlert stammt aus Gütersloh in Ostwestfalen. Der Historiker und Journalist lebt als freier Afrikakorrespondent mit seiner Familie in Maputo, Mosambik. Er arbeitet u.a. für den epd, den Deutschlandfunk, den ARD-Hörfunk und die Schwäbische Zeitung. Von 2001 bis 2007 berichtete er mit Sitz in Nairobi aus Ost- und Zentralafrika, seit 2008 für das ARD-Hörfunkstudio Rabat aus Nord- und Westafrika. Nach einem Radiovolontariat in Hamburg war er Ende der 90-er Jahre als Reporter und Redakteur der „Berliner Zeitung“ tätig. Ehlert ist Träger des Deutschen Reporterpreises und Autor der Biografie „Wangari Maathai – Mutter der Bäume. Afrikas erste Friedensnobelpreisträgerin“.

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