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The Tysa bridge at the Chop-Záhony checkpoint on the Hungarian-Ukrainian border. Photo by VargaA via commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0

Ukrainisch-ungarische Beziehungen: Eine Geschichte wachsenden gegenseitigen Misstrauens

Zu einer Verschlechterung der ohnehin angespannten politischen Beziehungen kam es, nachdem einem ungarischen Ministerialbeamten die Einreise in die Ukraine verweigert wurde. Wie wirkt sich dies auf die Zusammenarbeit der Ukraine mit der Europäischen Union und der NATO aus?

Am Grenzübergang Beregsurány-Luzsanka zwischen Ungarn und der Ukraine wurde am 24. November 2020 dem ungarischen Beamten István Grezsa die Einreise in die Ukraine verweigert. Grezsa ist Beauftragter für die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen dem ungarischen Verwaltungsbezirk Szabolcs-Szatmár-Bereg und der ukrainischen Region Zakarpattia. Wegen seiner angeblichen Einmischung in die ukrainischen Wahlen vom 25. Oktober wurde er für drei Jahre mit einem Einreiseverbot belegt. Der Vorfall ist nur der jüngste in einer Reihe von politischen Auseinandersetzungen zwischen den Nachbarländern und lässt Zweifel an ihren wiederholten Bekundungen aufkommen, ihre bilateralen Beziehungen verbessern zu wollen.

Als Wolodymyr Selenskyj 2019 in das Amt des ukrainischen Präsidenten gewählt wurde, waren die Hoffnungen groß, dass seine neue Regierung außenpolitische Hindernisse aus dem Weg räumen werde, die aus der Amtszeit seines Vorgängers Petro Poroschenko stammten. Als einer der Themenbereiche für mögliche Kompromisse galt der ukrainisch-ungarische Streit um die ungarische Minderheit in Transkarpatien und ihre Rechte. Die jüngste Eskalation rund um die ukrainischen Kommunalwahlen im Oktober machte jedoch erneut die Kluft zwischen den verschiedenen nationalen Interessen deutlich. Es entfachte sich ein Konflikt über die von der Ukraine als unerwünscht empfundene Einmischung von außen in innenpolitische Angelegenheiten und den Umgang Ungarns mit seiner Minderheit in der Ukraine. Die bilateralen Beziehungen sind seit 2010 angespannt, verschlechterten sich aber nach 2014 rapide, als Ministerpräsident Viktor Orbán in einer Äußerung zum Status Transkarpatiens im Südwesten die staatliche Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine offen infrage stellte und an ethnische Ungarn, die in dem Gebiet leben, Pässe verteilen ließ.

Am Rande einer Sitzung der ukrainisch-ungarischen zwischenstaatlichen Wirtschaftskommission, die nach siebenjähriger Pause erstmalig im Sommer 2020 in Kiew wieder zusammenkam, trafen sich auch die Außenminister Dmytro Kuleba und Peter Szijjárto. Dieses Teffen wurde zwar von beiden Seiten begrüßt, trug jedoch nicht zur Überwindung der Meinungsverschiedenheiten über die staatliche Souveränität, die territoriale Integrität und die Rechte der nationalen Minderheiten in der Ukraine bei. Obwohl beide Nationen ein gemeinsames Interesse an Themen wie Energie, wirtschaftliche Entwicklung und grenzüberschreitende Beziehungen betonten, wurden die Hindernisse für eine vertiefte Zusammenarbeit seither nur größer.

Zwei gegensätzliche Perspektiven

Aus Sicht der Ukraine sind einige der belastenden Themen aufgrund des anhaltenden kriegerischen Konflikts im Donbass und der illegalen Besetzung der Krim und der Stadt Sewastopol durch Russland besonders sensibel. Vor diesem Hintergrund muss auch die Haltung des Landes zur nationalen Sicherheit, zur Dezentralisierung und zur Beschulung der nationalen Minderheiten gesehen werden. Seit 2014 befindet sich die Ukraine in einem komplexen Prozess des Aufbaus einer modernen nationalen Identität, der sich auf Sprache und Kultur sowie auf die Entrussifizierung und Kommunisierung des öffentlichen Raums konzentriert.

Aus Budapester Sicht wird dies zwar respektiert, jedoch nicht uneingeschränkt. Eigene innenpolitische Interessen und die Rechte der ungarischen Minderheiten in den Nachbarländern sind inzwischen wichtiger als dieser Kontext. Was die ganze Situation noch komplizierter macht, ist die russische Propaganda und das hybride Engagement Russlands in solchen Konflikten, gut belegt in einer neueren Studie von Political Capital am Beispiel Ungarns, der Slowakei, Polens, Rumäniens, der Ukraine und Serbiens.

Der seit 2017 schwelende ukrainisch-ungarische Disput hat auch eine internationale Dimension. Zwei Reformen der ukrainischen Gesetzgebung sind in Ungarn auf heftige Kritik gestoßen: Das neue Bildungs- und das Sprachgesetz fördern die ukrainische Sprache im öffentlichen Raum, was Budapest als nachteilig für die in der Ukraine lebenden Angehörigen der ungarischen Minderheit ansieht. Infolgedessen hat Ungarn versucht, die Intensivierung der Beziehungen seines Nachbarn mit dem Westen zu blockieren. In der Länderstudie Ungarn 2020 des Bertelsmann Transformation Index (BTI) heißt es dazu: „Ungarn lässt zu, dass die Zusammenarbeit zwischen dem Nordatlantikpakt (NATO) und der Ukraine beeinträchtigt wird durch seine ablehnende Haltung gegenüber dem umstrittenen ukrainischen Bildungsgesetz. Es blockiert seit März 2017 die Zusammenarbeit auf hoher Ebene und ignoriert dabei die Kritik der Vereinigten Staaten und anderer NATO-Verbündeter. Diese Politik hat die politische Zusammenarbeit zwischen dem Bündnis und der Ukraine ernsthaft behindert.“

Durch die konsequente ungarische Haltung werden auch die Beziehungen der Ukraine zur Europäischen Union belastet. Die jüngsten diplomatischen Auseinandersetzungen brachten den bilateralen Disput ins Europäische Parlament und in die Kommission, wo vor allem ungarische Vertreter der regierenden Fidesz-Partei versuchten, den Spannungen eine europäische Dimension zu geben.

Der anhaltende Streit beeinträchtigt den Handlungsspielraum der Ukraine in der internationalen Zusammenarbeit

Mit diplomatischen Bemühungen wurde versucht, den langjährigen Disput beizulegen, doch vorerst scheint das Misstrauen zwischen der Ukraine und Ungarn anzuhalten. Westlichen Verbündeten sowohl Ungarns als auch der Ukraine könnte es jedoch gelingen, einen Ausweg aus der derzeitigen eingefahrenen Situation zu finden. In Europa erwartet man sich auch von der neuen Regierung Joe Bidens eine stärkere Initiative in der US-Ostpolitik. Dazu könnte gehören, der Ukraine mehr Aufmerksamkeit zu schenken und gemeinsam mit den europäischen Partnern, besonders denen der Visegrád-Gruppe, ein vertrauensvolleres Umfeld für die beiden Kontrahenten zu schaffen, damit sie ihre gegenseitigen Streitigkeiten endlich beilegen können.

Der erste Schritt in diese Richtung muss die Klarstellung sein, dass die europäischen Ambitionen der Ukraine und ihre außen- und sicherheitspolitische Ausrichtung auf den Westen, einschließlich der EU und der NATO, nicht von einem einzelnen Land wie Ungarn infrage gestellt werden dürfen. Die Beziehungen des Westens mit seinen Verbündeten wie der Ukraine oder Nordmazedonien sollten anpassungsfähiger und robuster gestaltet werden. Sowohl die neue US-Administration als auch die EU und die NATO-Mitglieder sollten sich entschieden dafür einsetzen. Gleichzeitig sollte der Dialog fortgesetzt werden, um einen bestmöglichen Kompromiss für die verschiedenen in der Ukraine lebenden Ethnien zu finden. Die internationale Gemeinschaft, einschließlich des Europarats und der OSZE, kann dabei Hilfestellung leisten und fertige Lösungen anbieten, die bei ausreichendem politischen Willen sowohl Ungarn als auch der Ukraine entgegenkommen könnten.

 

Aus dem Englischen übersetzt von Karola Klatt.

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