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Singha Durbar Gate in Kathmandu, photo by Claudia Härterich

Regierungskrise in Nepal: Politische Transformation am Scheideweg?

Die politische Instabilität ist zurück in Kathmandu. Ende Dezember hat Premierminister Oli in einem seit Monaten schwelenden Machtkampf innerhalb seiner regierenden Nepal Communist Party (NCP) überraschend das Parlament auflösen lassen. Dieser Schritt, der von vielen Beobachtern als verfassungswidrig bezeichnet wird, hat zum Auseinanderbrechen der Regierungspartei geführt.

Seit Präsidentin Bhandari am 20. Dezember 2020 nach Aufforderung von Premierminister Oli das Parlament auflöste und vorgezogene Neuwahlen für Ende April ansetzte, schlug die Empörung hohe Wellen in dem Land am Rande des Himalaya. Vertreter von Zivilgesellschaft, Opposition und Mitglieder der regierenden NCP warfen Oli vor, mit der Verfassung zu brechen und mobilisierten ihre Anhänger:innen. Tausende Demonstranten füllten daraufhin die Straßen Kathmandus und anderer größerer Städte – vereint in der Forderung nach der Wiedereinsetzung des Parlaments. Die Gegner des Premierministers verweisen darauf, dass die nepalesische Verfassung die Auflösung des Parlaments nur dann zulasse, wenn die Regierung dort nicht mehr über eine Mehrheit verfüge. Die Regierungspartei hat jedoch nahezu eine Zweidrittelmehrheit. Auch die erforderliche Prüfung, ob stattdessen eine alternative Regierung gebildet werden könnte, sei nicht erfolgt. Demnach sei sein Vorgehen nicht verfassungskonform. Oli begründete dieses mit einer fehlenden Bereitschaft zur Zusammenarbeit innerhalb seiner Partei, die der Entscheidungsfindung im Wege stehe. Doch wie es scheint, handelte der Premierminister vor allem, um die eigene Macht zu erhalten. Mit dem Manöver wollte er offenbar einem Versuch seiner Gegner in der Regierungspartei zuvorkommen, ihn des Amtes entheben zu lassen und ihn außerdem vom Posten des Parteichefs zu entfernen. Nun ist das nepalesische Verfassungsgericht mit dem Fall befasst – seinem bedeutendsten seit 2015 die neue Verfassung in Kraft trat.

Regierungskrise mit Ansage

Dieser Eskalation vorausgegangen war ein bereits länger andauernder Konflikt um die Macht in der NCP. Sie hatte sich 2018 neu gebildet durch den Zusammenschluss der Communist Party of Nepal- Maoist und der United Marxist-Leninists (UML), der beiden größten kommunistischen Parteien des Landes. In der letzten Wahl waren sie gemeinsam angetreten und konnten diese deutlich für sich entscheiden. Geleitet wird die noch junge Regierungspartei vom langjährigen Führungspersonal der beiden Vorgängerparteien, das jeweils darauf bedacht scheint, den eigenen Einfluss nicht zu verlieren. Olis interne Hauptgegner sind hierbei die beiden ehemaligen Premierminister Pushpa Kamal Dahal, genannt Prachanda, und Madhav Kumar Nepal.

Ein zentraler Stein des Anstoßes in dem parteiinternen Streit hat seine Wurzeln denn auch in den machtstrategischen Erwägungen der Akteure. Die fehlende Bereitschaft Olis, seine Macht zu teilen – eine wichtige Grundlage für das Funktionieren demokratischer politischer Systeme – steht dabei im Zentrum der Kritik. Inoffiziell war eine Teilung des Amtes des Premierministers zwischen Oli und Prachanda vereinbart, die einen Personalwechsel nach der Hälfte der Amtszeit vorsah. In der vorhergehenden Regierungskoalition zwischen dem Nepali Congress und den Maoisten, war ein solcher Premierministerwechsel bereit einmal praktiziert worden. Als im Frühjahr 2020 der Zeitpunkt der Übergabe des Premierministerpostens an Prachanda gekommen war, weigerte sich Oli jedoch, diesen abzugeben und blieb im Amt. Seitdem bestehen große Spannungen zwischen Prachanda und seinen Unterstützern in der Partei auf der einen Seite und der Gruppe um Oli auf der anderen. Olis Gegner werfen ihm vor, auch eine Vereinbarung über die Aufteilung von Zuständigkeiten zwischen den beiden nicht eingehalten zu haben. Danach sollte Oli bei allen Regierungsangelegenheiten in der Führungsrolle sein, während Prachanda der Hauptverantwortliche für die Leitung der Partei wäre. Statt sie einzubeziehen, so die Kritiker, übergehe Oli hochrangige Parteimitglieder bei wichtigen Entscheidungen und Ernennungen und versuche, diese in der eigenen Hand zu behalten. Die aktuelle Regierungskrise überschattet auch die durch die Corona-Pandemie ausgelöste Gesundheitskrise. Eine vereinende Dynamik, die politischen Gegner trotz ihrer Differenzen an einen gemeinsamen Tisch zu bringen, um Lösungen dafür zu erarbeiten, konnte sie offenbar nicht entfalten. Stattdessen boten die Unzulänglichkeiten beim Management der Pandemie Prachanda und seinen Anhängern einen weiteren willkommenen Anlass für Kritik am Premierminister.

Nachdem aufgrund des bestehenden Konflikts der Zerfall der Regierungspartei 2020 mehrmals kurz bevorstand, kam es nun zur endgültigen Spaltung. Die beiden rivalisierenden Lager um Oli auf der einen und  Prachanda und Madhav Kumar Nepal auf der anderen Seite, haben seitdem sehr deutlich gemacht, welches Urteil sie jeweils vom Verfassungsgericht zur Auflösung des Parlamentes erwarten. Während dieses noch aussteht, scheint eines sicher: das Land sieht politisch nun wieder unruhigeren Monaten entgegen.

Rolle Chinas und Indiens

Im regionalen Umfeld bleiben diese Entwicklungen nicht unbemerkt. Nepals mächtige Nachbarn China und Indien beobachten den politischen Aufruhr im Land aufmerksam. An einer Destabilisierung Nepals haben sie kein Interesse. Hierbei spielt auch die Befürchtung eine Rolle, gegenüber der jeweils anderen Großmacht an Einfluss in dem Himalaya Staat zu verlieren.

Traditionell ist Nepal ein Partner Indiens. Seit Amtsantritt der nun zerfallenen Regierung hatte sich das Land jedoch stärker als zuvor seinem nördlichen Nachbarn zugewandt. China gilt als Architekt des Zusammenschlusses der Communist Party of Nepal- Maoist und der UML zur NCP. Bereits wenige Tage nach der Auflösung des Parlamentes und der Aufspaltung der Regierungspartei war China mit einer Delegation zur Stelle um Gespräche mit den beiden rivalisierenden Blöcken zu führen. Das deutet darauf hin, dass das Land durch diesen Zerfall seine Interessen und seinen Einfluss gefährdet sieht. Nepalesische Medien berichten, dass die chinesische Botschafterin 2020 bereits mehrfach in dem interparteilichen Konflikt intervenierte und vermittelte. Doch weder ihr noch ihren Kollegen aus Beijing gelang es, die zerstrittenen Lager dazu zu bewegen, weiter zusammenzuarbeiten. Indien trat im Gegensatz dazu bisher zurückhaltender auf und bezeichnete die Auflösung des Parlaments als interne Angelegenheit. Die bilateralen Beziehungen des Landes zu Nepal hatten zuletzt unter einem Grenzkonflikt gelitten, der weiterhin andauert.

Lost in Transformation?

Nepals politischer Transformationsprozess erleidet durch die aktuellen Entwicklungen einen Rückschlag. Seit vielen Jahren kämpft das Land mit politischer Instabilität und ihren negativen Folgen für eine langfristig und kohärent angelegte Politikgestaltung. Fast jede Regierung seit 1990 zerfiel vor dem Ende ihrer Amtszeit. Allein zwischen 2008 und 2018 hatte das Land insgesamt zehn verschiedene Regierungen. Erweckten die letzten Jahre den Eindruck, Nepal lasse häufige frühzeitige Regierungswechsel zunehmend hinter sich, verblassen vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen die Hoffnungen auf stabilere politische Verhältnisse. Dabei beschrieb der Transformationsindex BTI die politische und wirtschaftliche Entwicklung seit 2017 als eine Zeit des Aufschwungs und des vorsichtigen Optimismus in Nepal und bescheinigte dem Land Fortschritte in diesen Bereichen. Der neue institutionelle Rahmen, den die Verfassung von 2015 geschaffen hat, sollte zur Stabilisierung der politischen Verhältnisse beitragen. So hatte die Verfassung unter anderem die Auflösung des Parlaments erschwert. War ihr Entstehungsprozess selbst konfliktreich und von Unruhen begleitet, so steht die Verfassung nun vor einer ernsten Bewährungsprobe. Eine Überwindung der alten Verhaltensmuster der politischen Führung, die Instabilität erzeugen und aktuell wieder zutage treten, würde einen bedeutenden Schritt für den Transformationsprozess Nepals bedeuten.

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