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Comité Central PCC, photo by Marco Zanferrari – Flickr, CC BY-SA 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/deed.de

KP-Parteitag in Kuba: Was kommt nach dem Ende der Ära Castro?

Vor 60 Jahren verkündete Fidel Castro den „sozialistischen Charakter“ der kubanischen Revolution. Der historische Comandante erkrankte 2006 schwer und übergab seine Ämter an seinen Bruder und langjährigen Stellvertreter Raúl. Wenn jetzt Kubas Kommunistische Partei vom 16.-19. April in Havanna zum 8. Parteitag zusammenkommt, dann wird dort auch der inzwischen 89-jährige Raúl Castro von der politischen Bühne abtreten. Die lange, lange Castro-Ära geht zu Ende. Was kommt, was bleibt, das allerdings ist ungewisser denn je.

Dabei, die unmittelbare Nachfolge ist geregelt. Für Fidel war es immer eine Machtressource, für Feind wie Freund unberechenbar zu bleiben. Raúl hingegen inszenierte sich nicht als Comandante, sondern als oberster Verwaltungskader der Revolution. Unter ihm vollendete sich der Wandel von einem charismatischen zu einem bürokratischen Sozialismus. So wie er schon seinen Namen in den Grabstein neben den seiner Frau hat eingravieren lassen, so hat er auch seine Nachfolge lange geplant.  Schon vor drei Jahren machte Raúl Castro den nach dem Triumph der Revolution geborenen Parteifunktionär Miguel Díaz-Canel zum Vorsitzenden des Staats- und des Ministerrats, und damit auch zum formellen Staatsoberhaupt des Landes. Wenige zweifeln daran, dass Díaz-Canel nun auch zum Ersten Vorsitzenden der Kommunistischen Partei befördert wird. Die Ablösung der „historischen Generation“ wird im Zeichen maximaler politischer Kontinuität inszeniert.

 

Krisenbedingter Wandel

Doch gleichzeitig durchlebt der kubanische Sozialismus eine beispiellose Krise, in der sich Pandemie und Rezession, Versorgungsnöte und soziale Ungleichheit, Vertrauensverlust und politische Frustration, äußere Zwänge und innere Widersprüche kombinieren und wechselseitig verschärfen. Auch die Regierung weiß, dass ein „Weiter so“ nicht mehr geht; mit der Währungs- und Wechselkursreform hat Díaz-Canel eine zentrale, jahrelang aufgeschobene Schlüsselmaßnahme der wirtschaftlichen Reformen zum 1. Januar diesen Jahres umgesetzt. Nur dass dieser Schritt eine Vielzahl von Konsequenzen mit sich bringt, die mit der bisherigen Herangehensweise kaum zu lösen sind – von der drohenden Inflationsspirale bis zur Re-Dollarisierung der Wirtschaft, den Entlassungen in den Staatsbetrieben bis zur notwendigen Dynamisierung der Landwirtschaft oder des Privatsektors. All dies wird kaum mit dem bisherigen Gradualismus in Zeitlupentempo zu bewältigen sein.

Die Kommunistische Partei ist laut Verfassung die führende Kraft in Staat und Gesellschaft. Es gibt kein höheres Amt als das der KP-Führung. Aber auch wenn Díaz-Canel künftig an der Spitze von Staat und Partei steht – die Machtfülle, die einst Fidel und in der Folge auch Raúl hatte, wird er nicht haben. Hinter den Kulissen wird der Einfluss des Militärs groß bleiben. Aber auch die Strukturen der Bürokratie, die Interessen der Staatsunternehmen, die Sorgen lokaler Kader und der geschwundene Rückhalt in der Bevölkerung werden kein „Durchregieren“ erlauben. Schon unter Raúl Castro war der Governance-Modus mehr ein „Muddling-through“ als eine klare Reformstrategie „von oben“. Wenig spricht dafür, dass dies sich nach seinem Abtritt ändern könnte.

Dabei hat sich die Situation auf der Insel dramatisch zugespitzt. Die Corona-Pandemie war lange Zeit so gut unter Kontrolle wie in kaum einem anderen Land der Region, doch seit November verzeichnet auch Kuba stark steigende Infektionsraten. Vor allem aber ist mit der Pandemie der Tourismus, der mit Abstand wichtigste Wirtschaftszweig des Landes, praktisch über Nacht zum Erliegen gekommen. Nach Regierungsangaben ist die Wirtschaft im letzten Jahr um 11 Prozent geschrumpft, die Importkapazität um 50% gesunken. Und dies, wo die Wirtschaft schon zuvor in schweren Wassern war: Die Unterstützung durch das verbündete Venezuela war mit der Krise des Öl-Landes stark gesunken; die US-Regierung unter Trump verschärfte empfindlich die Sanktionen gegen die Insel; und China war nicht mehr bereit, in großem Umfang Waren auf Kredit zu liefern, wenn die kubanische Seite die aufgelaufenen Handelsschulden nicht mehr bedient.

 

Auswirkungen der Währungsreform

Die Folgen der Pandemie verschärften die Finanzklemme so weit, dass nun die Währungs- und Wechselkursreform umgesetzt werden musste – auch wenn die Bedingungen dafür sehr viel schlechter waren als noch ein Jahr zuvor. Mit ihr wird die 1:1-Parität zwischen kubanischem Peso und US-Dollar aufgegeben, die zwar in keinster Weise der Wirtschaftskraft entsprach, aber immer noch für die Staatsbetriebe galt.

In der Folge waren für sie alle eingeführten Waren spottbillig – gleichsam das Gegenteil davon, einheimische Importsubstitution zu fördern. Auch für sie gilt nun wie für die Bevölkerung ein Kurs von 1:25. Der Preis für importierte Vorprodukte verteuert sich damit um ein Vielfaches. Zum einen wird dies in Form von Preissteigerungen an die Konsumenten weitergegeben, die unter den scharf gestiegenen Lebenshaltungskosten ächzen. Zum anderen rutschen viele Staatsunternehmen tief in die roten Zahlen. Wenn eine dauerhafte Subventionierung nicht die Lösung sein kann, dann sind hier grundlegende Reformen unumgänglich. Bereits vor Jahren hatte der kubanische Staat von rund einer Million überschüssiger Arbeitskräfte im staatlichen Sektor gesprochen.

Damit aber sind unmittelbar die sozialen und politischen Grundfesten des kubanischen Sozialismus berührt. Um die im Staatssektor versteckte Arbeitslosigkeit zu absorbieren, müsste der Privatsektor sehr viel dynamischer wachsen als bisher. Doch die Reformen bleiben halbherzig. Zwar gab es auch hier gab es unlängst einen wichtigen Schritt: Die Liste der zulässigen Gewerbe für „Arbeit auf eigene Rechnung“ wurde gestrichen und durch das umgekehrte Prinzip ersetzt, dass lediglich eine Liste der nicht erlaubten Bereiche definiert wird. Aber dennoch kommt das schon seit Jahren diskutierte Gesetz für Klein- und Mittelunternehmen, das endlich einen verlässlichen rechtlichen Rahmen für den Privatsektor schaffen würde, nicht vom Fleck. Statt einer Ausweitung des Sektors haben in der jetzigen Krise viele Selbständige ihre Lizenz zurückgegeben, da sie die Gebühren und Steuern nicht mehr bezahlen konnten.

 

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Derweil ist die Versorgungslage für die Bevölkerung so prekär geworden, dass viele bereits an die Notsituation Anfang der 90er Jahre, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, erinnert sind. Alles ist knapp geworden – oder teuer. Die Währungsreform war einst versprochen worden als Wiedervereinigung der in zwei Währungswelten geteilten Ökonomie: in die des normalen kubanischen Peso (CUP) und die des fix an den US-Dollar gekoppelten so genannten konvertiblen Peso (CUC). Letzterer wurde nun zwar tatsächlich abgeschafft, doch an seine Stelle ist wieder der Dollar getreten: Statt in CUC müssen die Kubaner in den Devisen-Läden nun mit in US-Dollars nominierten Debit-Karten einkaufen. Viele aber haben die nicht. Die Löhne werden in Pesos ausgezahlt, und wer keine Überweisungen von Verwandten im Ausland bekommt, hat kaum Zugang zu den Dollar-Shops. Wo Lebensmittel für Pesos verkauft werden, stehen die Leute oft stundenlang Schlange.

Die soziale Ungleichheit, die in diesem Währungsdualismus sichtbar wird, führt zu Verbitterung in der Bevölkerung. Das zentrale Internet-Portal der Kommunistischen Partei, „CubaDebate“, hatte jüngst ihre Leser gefragt, wie sie die ersten Monate seit der Währungsreform erlebt haben. Die Rückmeldungen waren verheerend. Mehr als zwei Drittel der Befragten erklärten, auch die Anhebung der Löhne reiche angesichts der scharf steigenden Preise nicht zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse. Und in den Kommentaren tauchte neben dem Mangel und den gestiegenen Lebenshaltungskosten immer wieder die Empörung darüber auf, dass die Dollar-Shops de facto die Kubaner in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft teilen – und dass die einfachen Bezieher von Peso-Einkommen die Verlierer sind. Sicherlich, in den kapitalistischen Gesellschaften Lateinamerikas sind die sozialen Ungleichheiten sehr viel schärfer und tiefer in gesellschaftliche Strukturen eingeschrieben. In einem sozialistischen Staat aber berühren sie unmittelbar die Legitimation des politischen Modells.

Die Führung in Havanna wird auf dem Parteitag betonen, dass man Trump überstanden hat und dass man auch in der Folge gegen alle Versuche, einen politischen Systemwechsel herbeizuführen, energisch vorgehen wird. Aufbegehren von innen, wie zuletzt aus Künstlerkreisen um das „Movimiento San Isidro“, wird unweigerlich als von außen gesteuert und im Dienste des Imperialismus gesehen.

Der Strohhalm für Optimismus ist der COVID-19-Impfstoff, den Kuba entwickelt. In der Tat eine bemerkenswerte Leistung, die den hohen Stand des Bio-Medizin-Sektors zeigt. Zwei Impfstoffe sind in Phase 3-Versuchen mit Zehntausenden von Probanden, und vieles spricht dafür, dass Kuba ab Mitte des Jahres beginnen wird, mit eigenen Impfstoffen seine Bevölkerung zu impfen. Gleichwohl sind die Schwierigkeiten der Massenproduktion eines solchen Impfstoffs in Kuba nicht zu unterschätzen. Die Regierung hat vollmundig angekündigt, bis Jahresende 100 Millionen Impfdosen herzustellen, damit einen Exportschlager zu haben und Impf-Tourismus nach Kuba als neue Devisenquelle aufzutun. Es wäre nicht der erste Plan, der ambitionierter formuliert als erfüllt wird.

 

Ungewisser Ausblick

Der Abtritt Raúl Castros erfolgt in einer wirtschaftlich wie sozial ungemein angespannten Situation. Die „historische Generation“ mag sich zu Gute halten, dass sie nicht nur drei Jahrzehnte lang an der Seite der Sowjetunion den kubanischen Sozialismus aufgebaut hat, sondern dass sie ihn auch drei Jahrzehnte nach dem Zerfall der Sowjetunion aufrechterhalten hat. Aber gerade weil die Generation der „históricos“ es nicht geschafft hat, einen tragfähigen Reformkurs zu finden, übergibt sie nun ihren Nachfolgern ein Land in höchsten Nöten. Die nötigen Veränderungen müssen nun unter schlechtestmöglichen Bedingungen erfolgen. Und die historischen Führer haben in ihrer Kaderpolitik immer unbedingte Loyalität belohnt, nicht Eigeninitiative. Aufgestiegen sind in der Folge verlässliche Funktionäre, die gelernt haben, geschickt in den Strukturen von Partei und Staat zu manövrieren, aber nicht, Hoffnungsträger für die breite Bevölkerung zu werden.

Zum Ende der Ära Castro wird Kubas Parteitag Kontinuität beschwören. Dies kann aber nicht verdecken, dass ein Ende der Krise nicht absehbar ist – und die Ungewissheit über die künftige Entwicklung der Insel mit Händen zu greifen.

 

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