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Mídia NINJA / CC BY-SA 4.0, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode

Präsidentschaftswahlen in Argentinien: Massa, Milei und die bevorstehende Stichwahl

Am 19. November findet die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen in Argentinien statt. Selbst wenn die Ergebnisse dieses Mal weniger widersprüchlich ausfallen sollten, bleiben die politischen Aussichten düster.

Am 22. Oktober haben die Argentinier einen neuen Präsidenten, die Hälfte der Abgeordneten im Unterhaus, ein Drittel der Senatoren und einige Provinzgouverneure gewählt. Wirtschaftsminister Sergio Massa, Kandidat der regierenden peronistischen Koalition Unión por la Patria, erhielt die meisten Stimmen (36,68 %), gefolgt von dem libertären Wirtschaftswissenschaftler und Rechtsaußen Javier Milei (29,98 %). Die beiden Kandidaten werden am 19. November in einer Stichwahl gegeneinander antreten. Patricia Bullrich, Kandidatin des Mitte-Rechts-Bündnisses Juntos por el Cambio, kam mit 23,83 Prozent auf den dritten Platz und verpasste damit den Einzug in die Stichwahl.

Es war die zehnte Präsidentschaftswahl in Folge in der längsten demokratischen Phase des Landes, die nach jahrzehntelanger politischer Instabilität am 30. Oktober 1983 mit der Wahl Raúl Alfonsín (1983–1989) zum Präsidenten begann. Mit den Wahlen 2023 werden also 40 Jahre ununterbrochener demokratischer Herrschaft in Argentinien gefeiert. Wie der Transformationsindex (BTI) der Bertelsmann Stiftung sehr treffend feststellt, hat sich das Bekenntnis zu demokratischen Institutionen über die Jahre gehalten, trotz Schwächen, vor allem im Bereich der checks and balances. Die Aussichten für das Jahr, das eigentlich ein Jahr der Feierlichkeiten sein sollte, sind jedoch düster.

Inflation, radikale Kürzungen und der Aufstieg des Populismus

Die Wahlen finden in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld statt, da die monatliche Inflationsrate seit August 2023 zweistellig ist (die zwischenjährliche Inflationsrate liegt derzeit bei 138%) und die Armutsquote im ersten Halbjahr 2023 40,1 % erreicht hat. Das Unvermögen, die eigene Währung langfristig zu stabilisieren und die negativen Auswirkungen der Inflation auf benachteiligte Bevölkerungsgruppen zu begrenzen, überschattet die Erfolge der jungen Demokratie. Diese ist auf anderen Gebieten durchaus zum weltweiten Vorbild geworden, wie z. B. die bemerkenswerten Prozesse gegen Militäroffiziere wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den frühen 1980er Jahren gezeigt haben.

Es ist also kein Wunder, dass die größte Sorge der Menschen im Wahlkampf die Wirtschaft ist. Politik- und Politikerverdrossenheit haben jedoch einen Anti-Establishment-Kandidaten in die Stichwahl katapultiert. Javier Milei machte sich mit einem extravaganten Stil und einem radikalen Diskurs zum Sprachrohr von Millionen frustrierten Argentiniern, denn er spricht genau das an, wovon sie die Nase voll haben: Inflation und Politiker.

Zwei Widersprüche

Diese Frustration hat zu widersprüchlichen Ergebnissen bei den Wahlen geführt. Der offenkundigste Widerspruch ist, dass der Wirtschaftsminister, der Minister einer daniederliegenden Wirtschaft, in den Umfragen an erster Stelle stand. Um dies zu verstehen, muss man bedenken, dass die große peronistische Familie aus vielen Fraktionen besteht. Massa hat sich – sicherlich erfolgreich – bemüht zu betonen, dass er nicht zum kirchnerismo gehört und dass seine Regierung einen Neuanfang darstellt. Auf die Wähler wirkte dies glaubwürdig, denn der Peronismus hat sich von der Mitte-Rechts-Regierung von Carlos Menem in den 1990er Jahren zur Mitte-Links-Regierung von Kirchner in den 2000er Jahren gewandelt. Die Führung weiß mit anderen Worten, wie man sich an die Herausforderungen der Zeit anpasst. Darüber hinaus sollte man die Reichweite des peronistischen politischen Apparats in der dicht besiedelten Provinz Buenos Aires nicht unterschätzen. Die Peronisten konnten – trotz schwerer Korruptionsskandale, die kurz vor der Wahl in diesem Bezirk ans Licht kamen – den Gouverneursposten in der Provinz am 22. Oktober erneut für sich entscheiden.

Ein weiterer Widerspruch besteht darin, dass die Mehrheit der Bevölkerung (54 %) zwar für die beiden wichtigsten Oppositionsalternativen gestimmt hat, das plötzliche Auftauchen von Milei aber die Opposition gespalten hat, sodass sich die Regierungspartei im ersten Wahlgang durchsetzen konnte. In der etablierten Mitte-Rechts-Opposition Juntos por el Cambio führte ein schmerzhafter parteiinterner Wettbewerb zur Nominierung der rechtsgerichteten Präsidentschaftskandidatin. Die Kandidatur von Patricia Bullrich bestrafte jedoch die progressivsten und gemäßigten Stimmen. Am Ende wurde das politische Angebot des Bündnisses mit der wirtschaftlichen Agenda der rechtsextremen Kandidatin verwechselt.

Trübe Aussichten, wie immer die Wahl ausgehen mag

Milei ist eine unsichere und riskante Option, die das wirtschaftliche Feuer mit extremen und kontroversen politischen Vorschlägen schürt. Er schlägt ein liberales Wirtschaftsprogramm mit radikalen Ausgaben- und Steuersenkungen sowie umfassenden Deregulierungen und Privatisierungen vor. Sein Plan zur Stabilisierung der Wirtschaft besteht in der Einführung des US-Dollars als offizieller Währung und der Schließung der Zentralbank. Seine Vizekandidatin Victoria Villarruel geht sogar noch weiter und plant eine Revision der Militärpolitik – bisher eine unangefochtene Säule der argentinischen Demokratie; sie stellt die historischen Prozesse wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Frage und will nicht nur seit langem bestehende politische Errungenschaften wie das öffentliche Gesundheits- und Bildungswesen revidieren, sondern auch neuere, wie das Recht der Frauen auf sichere Abtreibungen.

Darüber hinaus verfügt Mileis neue Partei nur über eine Handvoll Abgeordnete in jeder Kongresskammer und keine Vertreter auf nachgeordneten Verwaltungsebenen – eine schwierige politische Landschaft für ein Programm des radikalen Wandels. Er könnte teilweise Unterstützung von Juntos erhalten, da es kürzlich zu einer Annäherung zwischen Milei und Macri (und Bullrich) gekommen ist. Gleichzeitig ist dieses Bündnis stark gespalten, sodass institutionelle Konflikte und Blockade unter einer Präsidentschaft Mileis sehr wahrscheinlich sind.

Sollte Massa hingegen die Wahl für sich entscheiden und die alten, unterlegenen peronistischen Fraktionen hinter sich lassen können, würde ihm dies erhebliche institutionelle Ressourcen auf nationaler und subnationaler Ebene verschaffen. Dennoch sind unpopuläre wirtschaftliche Maßnahmen in der schwierigen Wirtschaftslage des Landes unvermeidlich.

In jedem Fall werden dunkle Wolken am politischen Horizont in Argentinien aufziehen.

 

Aus dem Englischen übersetzt von Dr. Claudia Kotte

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