In Zeiten der demokratischen Erosion: Indonesien wählt einen neuen Präsidenten
Mitten in einer Zeit, in der die indonesische Demokratie unter Beschuss steht, werden dort am 14. Februar die Präsidentschaftswahlen abgehalten. Große politische Veränderungen dürften jedoch Mangelware bleiben, denn alle Spitzenkandidaten stehen für eine Fortsetzung des aktuellen Kurses – und der Sohn des Amtsinhabers könnte Vizepräsident werden.
In Indonesien findet am 14. Februar 2024 der größte Wahltag der Welt statt. Mehr als 200 Millionen Indonesierinnen und Indonesier stimmen dann über einen neuen Präsidenten, die beiden Kammern des nationalen Parlaments, die Gouverneure der Provinzen sowie die Abgeordneten der lokalen Parlamente ab. Von besonderer Bedeutung sind die Präsidentschaftswahlen, bei denen entschieden wird, wer die Nachfolge des amtierenden Präsidenten Joko Widodo – im Volksmund auch als „Jokowi“ bekannt – antritt, der nach zwei fünfjährigen Amtszeiten laut Verfassung nicht mehr kandidieren darf. Die drei Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen sind der derzeitige Verteidigungsminister Prabowo Subianto, der langjährige Gouverneur von Zentraljava, Ganjar Pranovo, und der ehemalige Gouverneur von Jakarta, Anies Baswedan. Einen Monat vor der Wahl führt Prabowo Subianto in den Meinungsumfragen mit einem Vorsprung von rund 20 Prozent. Er wird von fast allen im Parlament vertretenen Parteien unterstützt und will die Politik von Präsident Widodo fortsetzen, darunter auch die Verlegung der Hauptstadt von Jakarta nach Nusantara auf der Insel Borneo. Auch sein Konkurrent Ganjar Pranovo will den Kurs von Jokowi nicht nachhaltig verändern. Er wird allerdings fast ausschließlich von seiner Partei, der Partai Demokrasi Indonesia Perjuangan, kurz PDI-P, unterstützt. Der einzige Kandidat, der eine – bislang noch nicht näher ausformulierte – politische Neuausrichtung anstrebt, ist Anies Baswedan, ein politischer Gegner von Jokowi, der von zwei kleineren islamischen Parteien nominiert wurde.
Die anstehenden Wahlen finden in Indonesien vor dem Hintergrund einer allgemeinen Erosion der Demokratie statt, die auch im Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung (BTI) 2022 festgehalten wird. Zwar kommt der BTI-Länderbericht zu dem Schluss, dass Indonesien weiterhin als „Wahldemokratie“ einzuordnen ist und die Schwelle zum „Wahlautoritarismus“ im Gegensatz zu anderen Staaten in der Region noch nicht überschritten hat. Mittel- und langfristig besteht diese Gefahr jedoch durchaus, auch wenn die demokratischen Institutionen weiterhin vorhanden sind und sich die Wahlen noch als wettbewerbsorientiert bezeichnen lassen.
Jokowi und seine Söhne – eine Familienangelegenheit
Es ist unwahrscheinlich, dass die bevorstehenden Wahlen das Land in Richtung einer stärkeren Demokratisierung lenken werden. Vielmehr könnten sie den Trend der kriselnden Demokratie in Indonesien weiter verfestigen. So verzichtete der amtierende Präsident Joko Widodo zuletzt darauf, den Kandidaten seiner langjährigen Partei PDI-P, Ganjar Pranovo, zu unterstützen. Stattdessen setzt er sich mittlerweile offen für die Kandidatur von Prabowo Subianto ein, den er sowohl 2014 als auch 2019 in stark polarisierten Wahlkämpfen zweimal nacheinander besiegte. Tausende Plakatwände und Poster im ganzen Land, auf denen die beiden zusammen abgebildet sind, machen Jokowis Unterstützung für Prabowo deutlich. Letzterer ernannte am letzten Tag der Kandidatenregistrierung im November 2023 den 36-jährigen Sohn von Jokowi, Gibran Rakabuming Raka, zu seinem Vizepräsidentschaftskandidaten. Damit will Prabowo wohl signalisieren, dass er die politische Unterstützung des amtierenden und immer noch sehr beliebten Präsidenten Jokowi hat.
Jokowis Manöver, seinen politisch recht unerfahrenen Sohn Gibran zum Vizepräsidenten zu machen, ist sowohl fragwürdig als auch schädlich für die fragile Demokratie Indonesiens. Nicht zuletzt weil die Entscheidung des Verfassungsgerichts, Gibran zur Kandidatur zuzulassen, obwohl er jünger als das Mindestalter von 40 Jahren ist, maßgeblich von Jokowis Schwager Anwar Usman, dem Vorsitzenden des Verfassungsgerichts, getroffen wurde. Usman wurde zwar einige Wochen später durch den Ethikrat des Verfassungsgerichts abgesetzt und eines „schwerwiegenden ethischen Verstoßes“ für schuldig befunden. Seine sehr fragwürdige Entscheidung über Gibrans Kandidatur blieb jedoch bestehen.
Politische Familiendynastien sind ein schlechtes Merkmal für jede Demokratie, weil sie dem Grundsatz der Gleichheit widersprechen – und Jokowis Absichten sind spätestens klar, seit er auch seinen zweiten Sohn, den 29-jährigen Kaesang Pangarep, in die Politik schickte. Zwei Tage, nachdem dieser ohne jegliche politische Erfahrung der Partai Solidaritas Indonesia (PSI) beigetreten war, wurde er zum neuen Parteivorsitzenden gewählt.
Autoritäre Tendenzen auf dem Vormarsch
Während des Wahlkampfes hat Präsident Jokowi mehrfach betont, dass es für das Land besser und billiger wäre, wenn es nur einen Wahlgang gäbe, also einer der Kandidaten bereits im ersten Durchgang mehr als 50 Prozent der Stimmen erhielte. Und da das von Jokowi unterstützte Kandidatenpaar Prabowo/Gibran derzeit in Umfragen bei rund 40 Prozent liegt, hat der Regierungsapparat bereits zahlreiche Initiativen auf den Weg gebracht, um für die fehlenden Prozentpunkte zu sorgen. Es gibt sogar deutliche Anzeichen dafür, dass staatliche Gelder für den Wahlkampf von Prabowo/Gibran verwendet werden. Zudem scheinen auch das Militär, die Polizei und die Geheimdienste, deren Führungen mit Vertrauten von Jokowi besetzt sind, nicht neutral zu sein – und auch staatliche Medien und nationale sowie lokale Regierungsbeamte stehen unter Druck, die Favoriten des amtierenden Präsidenten zu unterstützen.
Vor allem während der zweiten Amtszeit von Jokowi sind zuletzt immer mehr autoritäre Tendenzen offenbar geworden. Die demokratischen Errungenschaften der sogenannten Reformära, die nach dem Rücktritt des langjährigen autoritären Herrschers Suharto im Mai 1998 begann und die Stärkung der Meinungs- und Pressefreiheit, die Schaffung einer starken Antikorruptionsbehörde, freie und faire Wahlen, die Dezentralisierung der Verwaltung und eine Beschneidung des politischen Einflusses der Militärpolizei beinhaltete, wurden dabei zwar nicht vollständig abgeschafft. In den meisten Fällen wurden sie allerdings so modifiziert, dass sie dem Präsidenten den maximalen politischen Handlungsspielraum verschaffen. Jokowi, den viele als Hoffnungsträger für die Demokratie in Indonesien sahen, hat sich leider als das komplette Gegenteil erwiesen. Das spiegelt sich auch im BTI-Länderbericht 2022 für Indonesien wider, der in der Zeit zwischen 2016 und 2022 einen Rückgang des Engagements für demokratische Institutionen diagnostiziert.
Unter Präsident Jokowi hat Indonesien ein bemerkenswertes Wirtschaftswachstum erlebt und konnte auch die durch die COVID-19-Pandemie verursachten Herausforderungen bewältigen. Allein dafür wird der scheidende Präsident in Erinnerung bleiben, ebenso wie für seine mutige Entscheidung, die Hauptstadt des Landes zu verlegen. Gleichzeitig hat er jedoch auch die demokratische Glaubwürdigkeit Indonesiens beschädigt. Damit steht sein Nachfolger vor der schwierigen Aufgabe, für politische Stabilität zu sorgen, die indonesische Wirtschaft weiterzuentwickeln und gleichzeitig zu verhindern, dass Indonesien erneut in den Autoritarismus abgleitet. Dass das einem seiner potenziellen Nachfolger gelingen kann, ist heute schwer vorstellbar. Immerhin hat keiner der drei Präsidentschaftskandidaten die Demokratie zu seiner obersten Priorität erklärt.