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Im langen Schatten des Vaters: Das erste Amtsjahr von Kambodschas Hun Manet

Nach den Parlamentswahlen im Sommer 2023 übergab Kambodschas Alleinherrscher Hun Sen die Amtsgeschäfte an seinen ältesten Sohn Hun Manet. Nach einem Jahr steht wenig überraschend fest, dass Hun Senior Kambodschas mächtigster Mann bleibt.

Kinder, die in die Fußstapfen ihrer prominenten Eltern treten, haben es oft nicht leicht. In aller Regel werden sie an den Erfolgen ihrer Erzeuger gemessen und danach beurteilt, sei es im Sport oder in der Kunst. Das ist nicht immer fair. Besonders problematisch kann es wer­den, wenn in einem Familienunternehmen der Junior ans Ruder kommt, der Senior aber partout nicht loslassen möchte. Das ist in Kambodscha derzeit nicht sehr viel anders. In den letzten drei Jahrzehnten hat sich die Art der politischen Machtausübung schrittweise verändert. Ausgehend von einer Parteiendiktatur der regierenden Cambodian People’s Party (CPP) transformierte sich das Land erst in eine klassische Ein-Personen-Autokratie und danach in einen Familienbetrieb. Längst ist es nicht mehr Hun Sen allein, der mit engen Gefolgsleuten die Zügel fest in den Händen hält: Die Bedeutung seiner Kinder ist sukzessive gestiegen, und der Hun-Clan schickt sich an, in Kambodscha eine ähnliche Domi­nanz zu entfalten, wie es Südostasien seit der Zeit Suhartos in Indonesien nicht mehr gesehen hat.

Regierungsbildung als Ausdruck größtmöglicher Korruption und Nepotismus

Aushängeschild des familiären Generationenübergangs ist Hun Manet (46). Im August 2023 übernahm er die Amtsgeschäfte des Premierministers von seinem Vater, der sie seit 1985 führte. Die Zustimmung im Parlament, dem nach Ausschluss der einzig relevanten Oppositionspartei von den Wahlen 120 der 125 Abgeordneten der CPP angehören, war dabei nur ein rein formaler Akt. Auch andere langgediente Minister gaben im letzten Jahr den Staffelstab an ihre Söhne (und eine Tochter) weiter, mitunter im gleichen Ressort, und schufen so quasi-dynastische Erbhöfe, vergleichbar mit denen aus Kambodschas aristokratischem Zeitalter. Einen neuerlichen Höhepunkt im ohnehin schon von Korruption und Nepotismus arg gebeutelten Land stellte gleichwohl der Zuwachs an Staats- und Unterstaatssekretären um 122% auf astronomische 1.422 Personen bei weniger als 30 Ministerien dar.

Diese Personalentscheidungen lassen tief blicken. Offensichtlich hängt die Befriedung des Landes nach wie vor elementar von der Fähigkeit des Regimes ab, möglichst viele Gefolgsleute durch den Staat zu alimentieren. Gerade weil das Konstrukt so fragil erscheint, lässt es seinen virtuosen Schöpfer auch so schnell nicht los: Hun Sen hält sich nicht nur selbst für unverzichtbar, sondern bleibt tatsächlich der persönlich haftende Garant einer politischen Ordnung, in der staatliche Institutionen nach Angaben des Bertelsmann Transformation Index 2024 durch Patronage und informelle Netzwerke nahezu vollständig unterhöhlt worden sind. Ob Hun Manet ihn auch in dieser Hinsicht jemals beerben kann, ist mehr als fraglich.

Politische Konsolidierung und wirtschaftliche Sorgen

Seit April ist Hun Sen neben seinem Amt als Parteichef, in das er 2015 auf Lebenszeit gewählt wurde, auch Präsident des Senats und damit de facto stellvertretendes Staatsoberhaupt. Da er diese Rolle ziemlich frei interpretieren kann, hat er den Senat in ein Neben-Außen­ministerium verwandelt und begrüßt dort Kambodschas höchste Staatsgäste oder, wie im Juni geschehen, CIA-Direktor William Burns. Daneben bleibt Hun Sen der zentrale Veto-Player in allen Politikfeldern, die eigentlich dem Gestaltungsanspruch des neuen Premiers unter­liegen müssten. Aber in dieser Rolle bleibt Hun Manet noch deutlich blasser als ursprünglich erwartet. In seinem ersten Amtsjahr hat er keine politische Initiative ergriffen, die sich mit seinem Namen verbinden ließe oder die nachhaltigen Eindruck hinterlassen hätte – von tiefgreifenden Reformen ganz zu schweigen. Hatte sein Vater mit dem Mythos der Befrei­ung von den Roten Khmer am 7. Januar 1979 und später mit der soge­nannten Win-Win Policy immerhin Narrative seiner Herr­schaft formuliert, hat es der Sohn bisher versäumt, dem Volk eine modernere Erzählung der undemokratischen Einheit von Staat und Partei zu vermitteln.

Das könnte sich noch rächen. Als eine der schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt vor der Pandemie, stieg der Wohlstand für die meisten Kambodschaner spürbar an. Das war legitimationsfördernd und glich ein stückweit den Mangel an demokratischer Teilhabe aus. Doch die Zeichen verdichten sich, dass die Party vorbei sein könnte: Lag die private Verschuldung 2011 noch bei 3,3 Mrd. US-Dollar und 28% des Bruttoinlandsprodukts, waren es sechs Jahre später bereits 19,2 Mrd. US-Dollar und 87% des BIP, ehe sie bis 2022 auf 53,1 Mrd. US-Dollar und 180% des BIP kletterte. Ob und wenn ja wie lange dieser steile Anstieg, im Übrigen einzigartig in ganz Ost- und Südostasien, noch weitergehen kann, ist unklar. Durch den völlig unregulierten Mikrofinanzsektor ist die private Überschuldung bereits ein generelles gesellschaftliches Phänomen geworden. Doch die Regierung sieht keinen Handlungsbedarf, etwa durch die Einführung eines Privatinsolvenzrechts, oder andere stabilisierende Maßnahmen. Stattdessen setzt das Regime die Hoffnung weiter auf internationale Investoren, vor allem auf chinesische Immobilienspekulanten, die noch mehr Geld ins Land pumpen sollen.

Systematische Menschenrechtsverletzungen halten an

Wohl um vorzubeugen, dass die wirtschaftliche Schieflage zu weitreichender politischer Unzufriedenheit führt, setzt das Regime wieder verstärkt auf Repressionen und statuiert abschreckende Exempel gegen Oppositionelle und Dissidenten. Erst im letzten Monat wurden zehn Umweltaktivisten zu Freiheitsstrafen zwischen sechs und acht Jahren verurteilt. Auch die Candlelight Party als einzig relevante Oppositionspartei befindet sich weiter im Fadenkreuz des Regimes. Wer sich nicht wie die Führungskräfte Sam Rainsy und Mu Sochua schon vor Jahren ins Ausland abgesetzt oder vor den letzten Wahlen rechtzeitig die Seiten gewechselt hat, lebt gefährlich. Im Juli 2024 zählte die kambodschanische Menschenrechtsorganisation LICADHO mindestens 59 politische Gefangene, zu denen auch der bekannte Oppositionspolitiker Kem Sokha gehört. Seine im März 2023 verhängte 27-jährige Gefängnisstrafe wegen angeblichen Hochverrats sitzt er gerade im Hausarrest ab. Andere exponierte Anhänger der Opposition ziehen da lieber die Alternative vor, sich dem Regime zu unterwerfen – „Isolate and Finish“ hat Hun Sen diese systematische Strategie gegenüber allen tatsächlichen und potentiellen Kritikern des Regimes selbst genannt.

Unstrittige Verbrecher kommen dagegen oft ungeschoren davon. Kambodscha ist nicht mehr nur ein Paradies für Geldwäscher aus aller Welt, sondern auch zu einem internatio­nalen Zentrum des organisierten Onlinebetrugs geworden. Das US-Außenministerium schätzt, dass mehr als 12 Mrd. US-Dollar (knapp 40% des BIP) jährlich damit erwirtschaftet werden. Allein der größte Akteur, Huione Guarantee, soll zwischen 2021 und Mitte 2024 rund 11 Milliarden Dollar verdient haben, vor allem als Marktplatz für Händler, die dort Dienstleistungen für Geldwäsche und andere Betrug-ermöglichende Produkte anbieten. Offensichtlich finden diese Aktivitäten nicht nur unter weit­reichender Duldung der kambodschanischen Regierung statt, sondern können auch unmittelbar mit dem Hun-Clan in Verbindung gebracht werden. Eine wesentliche Grundlage dieser mafiösen Aktivitäten sind Menschenhandel und Kidnapping – die Opfer werden dann zu betrügeri­schen Aktivitäten gezwungen. Eine beson­dere Opfergruppe der chinesischen Banden sind eigene Landsleute, was in Peking bereits zu aus­drücklicher Missbilligung des kambodschanischen Laissez-faire geführt hat.

Doch die bila­terale, teils neokoloniale Partnerschaft ist sonst intakt. Wie Satellitenaufnah­men be­legen, waren zumindest zwischen Dezember 2023 und Mai 2024 mindestens zwei chinesische Schiffe, u.a. die Korvette Wenshan, in der kambodschanischen Marinebasis Ream stationiert. Dadurch hat Peking endlich den seit den 60er Jahren gehegten Wunsch realisiert, militärischen Zugang zum Golf von Thailand zu erhalten. Allerdings stellt die dauerhafte Stationierung ausländischer Trup­pen einen Verstoß gegen die kambodschanische Verfassung dar und wird wahrschein­lich auch deswegen von der kambodschanischen Regierung bestritten.

Kambodschas Allianz mit China erschwert sicherheitspolitische Kooperation in der ASEAN

Noch schwerwiegender dürften aber noch die außenpolitischen Implikationen ins Gewicht fallen, da Kambodscha die Sicherheitsinteressen anderer Anrainer verletzt oder zumindest ignoriert. Vor allem die Beziehungen zu Vietnam, defacto Besatzungsmacht Kambodschas von 1979 bis 1989, haben sich sichtbar verschlechtert und stehen exemplarisch dafür, wie unglücklich Premierminister Hun Manet in seinem Amt agiert. Denn neben den immer engeren mili­tärischen Beziehungen zwischen Kambodscha und China sorgt auch der im vierten Quartal 2024 beginnende Bau einer Wasserstraße, die Phnom Penh mit der eigenen Küste im Süden verbindet, zu weiteren Verstimmungen in Vietnam. Zum einen ist unklar, wie das Funan Techo Kanal genannte Infrastrukturprojekt den Wasserspiegel im Mekongdelta verändert und damit die dortige Landwirtschaft beeinflusst. Zum anderen sind auch sicherheitspolitische Bedenken entstanden, da der durch China finanzierte und betriebene Kanal wohl auch von der chinesischen Marine genutzt werden könnte.

Doch offenbar hält es die Regierung Kambodschas für nicht erforderlich, vietnamesische Bedenken zu zerstreuen. Ganz im Gegenteil wurde die dem Kanal zugrunde liegende um­fassende Machbarkeitsstudie bisher nicht veröffentlicht, um Klarheit zu schaffen. Auch andere Gesprächsgelegenheiten, vor allem im Rahmen des Staatsbesuchs von Hun Manet im Dezember 2023 in Vietnam, wurden anscheinend nicht genutzt, um für Verständnis und Transparenz im nachbarschaftlichen Verhältnis zu sorgen. Einmal mehr zeigt Kambodscha, dass das Ver­hältnis zur Volksrepublik China so wichtig ist, dass deswegen sogar die Beziehungen zu den regionalen Nachbarn geopfert werden. Und das wiederum verheißt wenig Erbauliches für die weitere sicherheitspolitische Kooperation innerhalb der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN).

An Aufgaben, Herausforderungen und zu bewältigenden Problemen mangelt es Hun Manet also nicht. Die Frage ist nur, wie lange er noch damit warten möchte, sie kraftvoll anzugehen – oder ob er überhaupt über genügend eigenes politisches Kapital verfügt, sich ihrer anzunehmen. Viel Zeit hat er nicht mehr: Denn das Ungünstigste, was ihm innen- wie außenpolitisch passieren könnte, wäre die Wahrnehmung als Lame Duck, solange sein Vater die politischen Leitlinien Kambodschas definiert. Und Hun Sens Machtanspruch ist trotz des Rücktritts vom Amt des Premierministers noch längst nicht erloschen.

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