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MEPs debate Hungary’s Council Presidency, photo by European Parliament via Wikimedia Commons, CC-BY-2.0, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.en

Make Orbán Great Again – Die Ungarische EU-Ratspräsidentschaft

Kurz nachdem Ungarn im Juli 2024 die rotierende Ratspräsidentschaft der Europäischen Union übernahm, machte Viktor Orbán mit seiner umstrittenen „Friedensmission“ und einer Reihe mutiger außenpolitischer Maßnahmen Schlagzeilen. Nach einem explosiven Start kam dann jedoch erstmal lange nichts. Ist das die Ruhe vor einem turbulenten Endspurt? 

Wirtschaftswissenschaftler neigen dazu, die Muster sich entfaltender Krisen mit Buchstaben wie L, U oder sogar W zu beschreiben. Die Wirtschaftsleistung kann also entweder rapide abnehmen und sich auf einem niedrigen Niveau stabilisieren (in Form eines L) oder sie kann zuerst fallen und sich später in einer oder mehreren Wellen wieder erholen (in Form eines U oder eines W). Betrachtet man die Entwicklung der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft, dann stellt sich die schwierige Frage, welcher Buchstabe sie am besten beschreibt. Denn während die sogenannte „Friedensmission“ von Ministerpräsident Orbán in den ersten Tagen der ungarischen Ratspräsidentschaft weithin als unerwartet mutiger Schritt angesehen (und kritisiert) wurde, waren die Maßnahmen der ungarischen Regierung in den folgenden Monaten überraschend unauffällig. Wird Orbán in den verbleibenden zwei Monaten zu einem Endspurt ansetzen, um die Initiative wiederzuerlangen, oder müssen wir für den Rest des Jahres mit einer zurückhaltenden HU24EU rechnen? 

Frühe Bedenken und autokratische Tendenzen 

Bereits im Vorfeld der ungarischen Ratspräsidentschaft gab es einige beunruhigende Signale. Wie Politico berichtete, erwarteten viele Entscheider in Brüssel, dass Orbáns seinem Ruf als Provokateur gerecht werden und eine eher ungewöhnliche Präsidentschaft anstreben würde. Vor allem, nachdem der Slogan der Präsidentschaft „Make Europe Great Again“ enthüllt wurde und eine erste Kontroverse unter den europäischen Partnern auslöste. Ungarische Diplomaten taten zwar ihr Bestes, um zu betonen, dass Budapest eine traditionelle und ambitionierte Präsidentschaft anstrebe und sich auf sieben Themenbereiche konzentrieren werde, darunter Wettbewerbsfähigkeit, Verteidigungspolitik, illegale Migration und Agrarpolitik. Die europäischen Partner glaubten daran jedoch verständlicherweise nicht wirklich, insbesondere vor dem Hintergrund von Orbáns Erfolgsbilanz: Schließlich hat sich Ungarn unter seiner Ägide nicht nur der Autokratie angenähert, sondern auch in Bereichen wie „Rechtsstaatlichkeit“, „politische und soziale Integration“ und „politische Partizipation“ deutlich an Boden verloren, wie der Bertelsmann Transformation Index (BTI) 2024 zeigt. Alles andere als eine von den politischen Machenschaften Orbáns getriebene Präsidentschaft wäre also eine große Überraschung gewesen.  

Als ob er die Bedenken Brüssels noch verstärken wollte, startete Orbán nur zwei Tage nach Beginn der ungarischen Ratspräsidentschaft eine spontane politische Weltreise, die er als „Friedensmission“ für die Ukraine bezeichnete. In den ersten beiden Juliwochen besuchte er Kiew (zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt), Moskau, Baku, Peking, Washington und Mar-a-Lago. Die Staats- und Regierungschefs der EU kritisierten seine Reise, weil er sein Treffen mit Wladimir Putin nicht im Voraus mit ihnen abgestimmt hatte und weil die russische Seite ihn als Stimme der gesamten Union präsentierte. Es überraschte nicht, dass EU-Beamte seine Reise rügten, einige Abgeordnete des Europäischen Parlaments die EU aufforderten, die Stimmrechte Ungarns auszusetzen, und Orbáns Rede im Parlament verschoben wurde.  

In der Zwischenzeit arbeiteten und arbeiten ungarische Diplomaten im Hintergrund hart daran, die Agenda des Ratsvorsitzes umzusetzen – und Regierungsbeamten zufolge läuft dieser kaum sichtbare Teil der Arbeit alles andere als schlecht. So betonten Staatssekretär Zoltán Kovács und die Europaabgeordnete Enikő Győri zuletzt bei einer Podiumsdiskussion, dass die meisten Veranstaltungen planmäßig durchgeführt worden seien und dass die Professionalität des Ratsvorsitzes in Brüssel wiederholt gelobt werde. In diesem Zusammenhang wiesen sie insbesondere auf die 250 Veranstaltungen hin, die im Rahmen des Ratsvorsitzes bereits geplant und durchgeführt wurden, und hoben  das ECOFIN-Treffen der Finanzminister hervor, das sich in das allgemeine Ziel des Ratsvorsitzes einfügt, die finanzielle Stabilität zu stärken. Sie betonten auch die Arbeit zu wichtigen Themen wie der Landwirtschaft und der Wettbewerbsfähigkeit der EU und stellten fest, dass andere Mitgliedstaaten die Arbeit des ungarischen Ratsvorsitzes keineswegs boykottiert haben, sondern vielmehr auf vertraulicher Basis arbeiteten.  

Ruhige Monate: die Ruhe vor dem Sturm? 

Verglichen mit dem spektakulären Start des ungarischen Ratsvorsitzes im Juli sind die vergangenen Monate eher ruhig verlaufen. Die ungarischen Medien berichten kaum über das Thema, und auch die Regierung scheint nicht darauf erpicht zu sein, auf die Präsidentschaft aufmerksam zu machen.  Grund dafür sind sicher auch einige der Rückschläge, die Orbán in den ersten Monaten hinnehmen musste, insbesondere mit Blick auf seine Friedensmission. Die europäische Kritik dürfte ihn in dieser Hinsicht zwar kalt gelassen haben, Rückmeldungen von anderen Seiten könnten in Budapest jedoch zu einer Neubewertung geführt haben. Nur wenige Tage nach der Reise des Ministerpräsidenten nach Kiew kritisierte etwa auch Präsident Wolodymyr Zelensky die „Friedensmission“ und erklärte, dass nur starke und ernsthafte Partner zwischen Russland und der Ukraine vermitteln könnten.  

Einen Monat später unterstrich Dimitri Medwedew in einem seiner typischen Ausbrüche, dass „das Gerede über einen wunderbaren Frieden durch nicht autorisierte Parteien jetzt vorbei ist“. Viele ungarische Analysten werteten seine Worte als klares und ernüchterndes Zeichen dafür, dass die bisherigen Reisen von Orbán vergeblich waren. Einige Tage später erklärte Wladimir Putin selbst, dass Indien, China und Brasilien die Länder seien, die bei der Lösung des Konflikts eine Rolle spielen könnten. Mit anderen Worten: Keiner der relevanten Akteure vertraute Ungarn als Vermittler. Hat Orbán vor diesem Hintergrund beschlossen, einen Rückzieher zu machen, oder ist die momentane Flaute in der EU-Ratspräsidentschaft nur die Ruhe vor dem Sturm? 

Das Glücksspiel mit Trump 

Es ist zu erwarten, dass diese Frage vor allem jetzt, da Trump als Sieger aus den US-Wahlen hervorgegangen ist, gestellt werden wird. Schließlich hat Orbán seit vielen Jahren auf die Rückkehr von Donald Trump gesetzt – und dass Ungarns EU-Ratspräsidentschaft mit den US-Wahlen und Trumps Sieg zusammenfällt, bietet ihm nun eine Gelegenheit, der sein Ego wohl kaum widerstehen kann. Eine zweite Trump-Präsidentschaft könnte für den ungarischen Premierminister einen politischen Aufstieg bedeuten. Einmal mehr wird er also versuchen, sich als Visionär darzustellen und enge Kontakte zu Donald Trump zu suchen.  

Darüber hinaus wird gemunkelt, dass Herr Orbán damit rechnet, dass ihn gute Beziehungen zum Weißen Haus auch in Europa stärken werden: sowohl mit Blick auf mögliche EU-Finanzierungen als auch als Hebel gegen seine Kritiker. Das ist natürlich ein großes Risiko, aber er könnte dabei viel gewinnen. Vor allem, weil er nicht viel zu verlieren hat, da ihm schon jetzt die politischen Alternativen ausgehen. Alles in allem muss sich Europa nun wohl auf ein Comeback von Orbán einstellen – und auf die Rückkehr seiner hyperaktiven Ratspräsidentschaft der ersten Monate. In diesem Fall wäre die Entwicklung der Ratspräsidentschaft wohl am besten mit einer U-Form beschrieben: einem massiven Wiederaufleben nach einer relativen Ruhephase. Allzu überraschend wäre das nicht. Immerhin hat Orban nie ganz aufgehört, hinter den Kulissen seine Spielchen zu treiben. 

Erstveröffentlichung auf Euractiv.

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