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Die WM-Bilanz: Demokratien spielen besser Fußball

Zu den vielen Ritualen einer Fußballweltmeisterschaft gehört es, nach dem Turnier umfassend Bilanz zu ziehen. Zeit also, auch unsere Demokratie-WM noch einmal Revue passieren zu lassen und unsere Tipps auszuwerten. Lagen wir mit unserer These richtig, dass es einen Zusammenhang zwischen der Demokratiequalität eines Landes und den Leistungen seiner Fußballnationalmannschaft gibt?

Historisch lässt sich die Frage relativ eindeutig beantworten: in den 18 Weltmeisterschaften seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben demokratisch regierte Länder 16 Mal den Titel geholt (zum Zeitpunkt ihres Titelgewinns waren in Brasilien 1970 und Argentinien 1978 Militärdiktaturen an der Macht). Für den aktuellen Test haben wir die 32 teilnehmenden Nationen auf der Basis der unabhängigen Bewertungen der beiden Demokratie-Indizes der Bertelsmann Stiftung – des Transformationsindex (BTI) und der Sustainable Governance Indicators (SGI) – in fünf zentralen Demokratie-Feldern bewertet. Die wichtigsten Informationen dazu haben wir in Länderporträts zusammengefasst. Aus dem direkten Vergleich der beiden Kontrahenten entlang der fünf Kategorien leiteten sich unsere Spieltipps ab. Wer in Sachen freie Wahlen, Meinungsfreiheit, Schutz der Bürgerrechte, soziale Inklusion und Korruptionsbekämpfung die Nase vorn hatte, so unsere Annahme, wird sich auch sportlich durchsetzen.

Das Ergebnis: in 30 der 64 Begegnungen haben wir mit diesem System auf den tatsächlichen Gewinner der Partie getippt. Mit einer Trefferquote von 48 Prozent schlagen wir zwar die meisten tierischen Orakel-Gegner, die regelmäßig während Weltmeisterschaften auftauchen, und können gleichziehen mit vielen der auf rein sportlichen Daten basierenden Prognoseinstrumente. Aber für den Erfolg versprechenden Wettbüroeinsatz des Ersparten entlang unserer Vorausschau wären wir insgesamt nicht präzise genug gewesen.

Das lag in erster Linie daran, dass wir bei Begegnungen zwischen Demokratien untereinander häufiger danebenlagen. Je enger unsere Bewertungen für die Demokratiequalitäten zusammenlagen, umso geringer unsere Prognosefähigkeit. Ginge es allein nach Demokratiequalität, dann wären Schweden, Dänemark oder Island viel länger im Turnier geblieben. Auch Deutschland wäre nicht in der Vorrunde ausgeschieden.

Am zuverlässigsten waren unsere Prognosen bei Partien von Gegnern auf niedrigem oder sehr unterschiedlichen Demokratieniveau. Sobald mindestens eine der 5 qualifizierten Autokratien mitspielte, stimmte unser Modell in 69 Prozent der Fälle mit dem Spielausgang überein; 9 Sieger der insgesamt 13 Partien haben wir richtig vorausgesagt. In sämtlichen Spielen der Gruppe A mit der Demokratie Uruguay und den Autokratien Ägypten, Russland und Saudi-Arabien hat das Abschneiden im direkten Demokratie-Vergleich jeweils auch zum Gewinner der Begegnung gepasst. Mit solch einer Quote landet man in jeder Tipprunde weit vorne.

Auch der Gesamtverlauf der WM 2018 einschließlich der Qualifikationsphase zeigt, dass Demokratie und Fußball mehr miteinander zu tun haben könnten, als allgemein angenommen: Das Verhältnis zwischen in der FIFA organisierten Fußballverbänden aus demokratischen und autokratischen Staaten ist 2:1. Für die Weltmeisterschaft 2018 qualifiziert haben sich schon mehr als fünfmal so viele Demokratien wie Autokratien. Nach der Gruppenphase betrug das Verhältnis 15:1 – Gastgeber Russland war die einzig im Turnier verbliebene Autokratie.

Gibt es Erklärungen dafür, dass im Vergleich mit Autokratien demokratisch regierte Fußballnationen besser abschneiden, die über Zufälligkeiten hinausgehen? Das britische Magazin Economist hat sich ebenfalls im Vorfeld der WM an einem Modell versucht, Einflussgrößen neben dem Fußballplatz zu definieren. Ergebnis: Wohlstand, Landesgröße und die Fußballbegeisterung der Bevölkerung können bis zu 50 Prozent das Abschneiden der Nationalmannschaften im internationalen Vergleich erklären. Der Rest, werde zumindest zum Teil davon bestimmt, wie stark Länder bei der Ausbildung ihres Nachwuchses auf Kreativität und individuelle Entscheidungskompetenz setzen oder wie offen sie sind für internationale Einflüsse – sowohl bei der Benennung ihres eigenen Kaders als auch beim Einsatz ihrer Spieler in den besten Ligen dieser Welt.

Freiheit, Offenheit und Wettbewerb, so scheint auch hier zu gelten, haben Anteil am Erfolg. Vielleicht gelingt die Übersetzung in die Welt des Fußballs ja Demokratien besser, weil sie diese Werte eher als autoritäre Staaten auch in Politik und Gesellschaft berücksichtigen – sei es bei der Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung, dem pluralistischen Wettbewerb politischer Einstellungen, der Toleranz von Opposition oder dem Schutz vor allzu übermächtigem Eingreifen des Staates in individuelle Freiheiten. China hat den Gewinn eines Weltmeistertitels bis zum Jahr 2050 zum Staatsziel erklärt, bis 2030 will man dominant in Asien sein, bis 2025 sollen im ganzen Land 50.000 Fußballschulen entstehen, Milliardenbeträge sollen in diesen Ausbau und den Einkauf internationalen Know-Hows gesteckt werden. Noch hat die staatlich verordnete Fußball-Offensive keine große sportliche Wirkung entfaltet – bisher zumindest zeigt die Empirie, dass eine Liberalisierung der Gesellschaft einen großen Beitrag zum Erreichen des Ziels leisten könnte.

Fußball, so wird in vielen der allerorts gezogenen Bilanzen deutlich, dient immer auch als Projektionsfläche für alle möglichen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen. Ist Deutschlands Vorrunden-Aus ein Spiegelbild des mangelnden Teamspirits der Regierungskoalition oder gar des bröckelnden sozialen Zusammenhalts der deutschen Gesellschaft? Wird Frankreichs Titelgewinn Präsident Macrons unterirdische Zustimmungswerte ähnlich nach oben katapultieren wie im Jahr 1998? Sollte Europa nicht auch politisch Zuversicht schöpfen aus der Tatsache, dass zum fünften Mal in der WM-Geschichte die Halbfinale ausschließlich unter Mannschaften des Alten Kontinents ausgefochten wurden? Und hat das Fußballfest in Russland letztlich nur zur Legitimierung des autoritären Regierungsstils Putins beigetragen oder auch dabei geholfen, bei Gastgebern wie Besuchern alte Stereotype und Feindbilder aufzubrechen, was die russische Politik zwar nicht von heute auf morgen verändert, aber vielleicht die Akzeptanz autoritärer Strukturen bei der Bevölkerung?

Fußball bleibt die schönste Nebensache der Welt und wir sollten ihn nicht überfrachten mit allzu vielen Projektionen und vermeintlich sicheren Prognosen. Unser Anliegen war es, bei aller Freude am Spiel den Blick auch hin und wieder auf die Zustände neben dem Spielfeld zu lenken. Uns jedenfalls hat das Experiment Spaß gemacht. Es hat uns neue Denkanstöße für unsere eigene Arbeit gegeben. Zwar haben wir uns mit dem Austragungsort und -zeit der Winter-WM 2022 noch nicht so richtig angefreundet, aber wir sind bereit, in vier Jahren den nächsten Test zu starten. Gerne wieder mit so exzellenten Partnern wie dem Blog 120 Minuten und dem argentinischen Think Tank CADAL.

Es gibt keine letzte Gewissheit darüber, welche sportlichen oder außersportlichen Faktoren wie zusammentreffen müssen, damit es mit dem Titel klappt. Zum Glück hat auch diese Weltmeisterschaft wieder unter Beweis gestellt, wie herrlich unvorhersehbar manche Spielausgänge sind. Sportlich wird Jogi Löw das frühe Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft hoffentlich erfolgreich analysieren können. Ein Fazit unserer etwas anderen WM jedoch ist – bisher zumindest – noch nicht widerlegt: Demokratien spielen einfach besser Fußball!

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