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Photo by 서울특별시 소방재난본부 via commons.wikimedia.org. CC BY-SA 4.0, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

Corona überschattet Wahl in Südkorea

Die Parlamentswahlen in Südkorea am 15. April stehen unter dem Vorzeichen der Corona-Pandemie, auch wenn es so aussieht, als hätte die ostasiatische Demokratie Covid-19 (bis jetzt) erfolgreich bewältigt. Kann die bevorstehende Volksabstimmung darüber hinaus dazu beitragen, ernsthafte Schwächen im politischen System zu überwinden?

Die meisten Südkoreaner sind mit dem Krisenmanagement der Regierung von Präsident Moon Jae-in während der Corona-Pandemie zufrieden und es wird erwartet, dass die Demokratische Partei von Präsident Moon die bevorstehende Wahl gewinnen wird. Bisher war Südkorea sehr erfolgreich im Umgang mit der Krise, auch ohne wie in vielen anderen Ländern drastische Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen zu verhängen.

Stattdessen identifizierte die Regierung schnell die Ausbruchsherde, ermittelte Kontakte und weitete die Testkapazitäten beachtlich aus. Die Südkoreaner reagierten unmittelbar auf die Bedrohung, die Erinnerungen an den MERS-Ausbruch im Jahr 2015 waren noch frisch und führten dazu, dass die Menschen sofort Masken trugen. Zugute kam Südkorea außerdem, dass es über ein leistungsfähiges Gesundheitssystem auf hohem Niveau verfügt und eine allgemeine Krankenversicherung besteht.

Die nationale Entwicklungsstrategie verfolgte zudem das Ziel, eine eigenständige Gesundheitsbranche aufzubauen. Statt die Produktion nach China auszulagern, behielt Südkorea große Herstellungskapazitäten und konnte deshalb inmitten der massiven Verknappung von Schutzausrüstung täglich mehr als 10 Millionen Gesichtsmasken selbst herstellen.

Präsident Moon wird sich vermutlich durchsetzen

Ein neuer großer Ausbruch der unvorhersehbaren Corona-Pandemie kurz vor der Wahl könnte die öffentliche Meinung schnell ändern. Doch nach gegenwärtigem Stand wird die Demokratische Partei von Präsident Moon möglicherweise sogar die absolute Mehrheit im Parlament erringen. Damit eröffnet sich der Moon-Regierung die Möglichkeit, einige der Wahlversprechen von 2015 einzulösen. Die bisherige Bilanz der Regierung Moons fällt eher gemischt aus, da es noch nicht gelungen ist, das Versprechen einer sozialeren und demokratischeren Nation einzulösen.

Vielmehr hat Moon bei vielen seiner Wahlversprechen einen Rückzieher gemacht: von der Unterzeichnung der Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation zur Vereinigungsfreiheit und zur Abschaffung aller Formen der Zwangsarbeit bis hin zur Eindämmung von Immobilienspekulationen und zur Bekämpfung der Luftverschmutzung in einigen der am schlimmsten betroffenen Gegenden der Welt. Gerade wegen seiner beruflichen Vergangenheit als Menschenrechtsanwalt ist die Amtszeit von Präsident Moon bislang besonders enttäuschend, denn es ist ihm nicht gelungen, die Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit aufzuheben, die auf das anachronistische Gesetz über die Nationale Sicherheit zurückgehen, einem dunklen Schatten vergangener Militärregime.

Obwohl die Regierung von Präsident Moon relativ erfolgreich ihre Machtposition ausbauen konnte, fehlt ihr ein politischer Kompass und sie versäumte es, die Unterstützung der Öffentlichkeit für echten politischen Wandel zu nutzen. Dieses Versagen ist für das politische System Südkoreas symptomatisch, in dem sich Parteien um Netzwerke von (scheinbar mächtigen) Individuen bemühen, anstatt um unterschiedliche politische Ideologien oder Ziele. „Das Parteiensystem ist wohl das schwächste Glied in der südkoreanischen Demokratie“, stellt der demnächst erscheinende Bertelsmann Transformation Index (BTI) 2020 fest. In Südkorea lösen sich politische Parteien oft auf oder reformieren sich, und Parlamentarier wechseln häufig die Parteizugehörigkeit. Infolgedessen sind die politischen Diskurse in Südkorea in der Regel extrem polarisiert, weisen jedoch gleichzeitig keine klaren Unterschiede hinsichtlich des politischen Inhalts auf.

Persönlichkeit prägt Politik

Die desaströse Wahlrechtsreform Ende 2019 ist symptomatisch für diese strukturelle Schwäche der südkoreanischen Demokratie. Das (weitgehende) Mehrheitswahlrecht hat die Personalisierung der parlamentarischen Politik lange Zeit verstetigt. Kandidaten gewinnen nicht aufgrund ihrer politischen Agenda, sondern aufgrund ihrer persönlichen Bekanntheit im Wahlbezirk und ihrer Verbindungen zu mächtigen Eliten, die es ihnen ermöglichen „zu liefern“.

Infolgedessen wurde die Stärkung der Verhältniswahl immer als ein möglicher Weg zur Belebung des demokratischen Diskurses erörtert. Da die Demokratische Partei von Moon nach den Präsidentschaftswahlen 2017 kleinere Koalitionspartner brauchte, um zu regieren, schien es endlich an der Zeit für eine Wahlrechtsreform zu sein, die kleineren Parteien zugute kommen würde, die in Bezug auf ihre politische Agenda kohärenter sind.

Das reformierte Wahlgesetz wird jedoch höchstwahrscheinlich kleinere Parteien weiter schwächen und dazu beitragen, dass der Einfluss persönlicher Netzwerke auf das politische Handeln noch zunimmt. Infolge der Reform werden nur 47 der insgesamt 300 Sitze im Parlament nach Proporzverfahren vergeben. Um den Forderungen kleinerer Parteien gerecht zu werden, sind 30 dieser 47 Sitze zu einer Art „Kompensation“ geworden: Sie gehen an Parteien, die in Wahlbezirken weniger Sitze gewonnen haben, als sie gemäß eines Proporzverfahrens erhalten würden.

Theoretisch hätte diese Reform für kleinere Parteien von Vorteil sein können, doch in der Zwischenzeit haben beide großen Parteien Satellitenparteien gegründet, um von dem neuen Wahlgesetz zu profitieren. Dieser zynische Schritt macht nicht nur die institutionellen Veränderungen unbrauchbar und untergräbt die Wahlchancen kleiner Parteien weiter. Er könnte darüber hinaus politische Alternativen insgesamt effektiv verhindern, da einige Kandidaten kleinerer Parteien zu den neuen Satellitenparteien übergelaufen sind.

Die bevorstehenden Wahlen sind ein Zeichen für die Stärken und Schwächen der südkoreanischen Politik. Als Leuchtturm der Demokratie in der ostasiatischen Region bewältigt das Land einerseits die Corona-Krise mit weniger einschneidenden Maßnahmen als die meisten Länder im Westen. Andererseits werden die Wahlen höchstwahrscheinlich den Trend zur personalisierten Machtpolitik verschlimmern. Das bedeutet, dass Persönlichkeiten wichtiger bleiben als politische Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit.

Übersetzt aus dem Englischen von Karola Klatt.

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