©
Ethiopian soldiers. Photo: © yuzu – stock.adobe.com

Spannungen am Horn von Afrika: Zweifel am Schweigen der Waffen in Äthiopien

Das im November unterzeichnete Friedensabkommen zwischen der äthiopischen Regierung und der Volksbefreiungsfront von Tigray sollte den gegenwärtig blutigsten Krieg der Welt beenden. Doch mittlerweile mehren sich die Zweifel an der Einhaltung des Waffenstillstands. Wie wird sich Eritreas Präsident Isaias Afwerki verhalten?

Zwei Jahre hielten die erbitterten Kämpfe in Äthiopien an und kosteten Schätzung zufolge zwischen 383.000 und 600.000 Zivilisten sowie zwischen 250.000 und 600.000 Soldaten das Leben. Ein Truppenrückzug ist im Gange, aber noch lange nicht abgeschlossen. Zudem ist ungewiss, ob der Waffenstillstand halten wird, denn die eritreischen Kämpfer plündern in Tigray weiterhin Häuser und Geschäfte und töten Einheimische.

In diesem Krieg ging es, anders als in vielen anderen in Afrika, nicht um Religion oder ethnische Zugehörigkeit. Er war das Ergebnis von Spannungen, die bis ins neunzehnte Jahrhundert in die Hochphase des Imperialismus, die auch als „Wettlauf um Afrika“ bezeichnet wird, zurückreichen. Der äthiopische Kaiser Menelik II. (der von 1889 bis 1913 regierte) schloss sich den europäischen Nationen an, um sein Herrschaftsgebiet beträchtlich auszuweiten. Aus dem größtenteils christlichen Königreich Äthiopien wurde infolge ein Reich, das mehr als 80 ethnische Gruppen umfasste, darunter viele Muslime.

Die territoriale Ausweitung führte zu Spannungen zwischen dem Zentrum und der Peripherie, deren Folgen noch immer zu spüren sind. Seither kommt es in Äthiopien immer wieder zu Konflikten um den Machtanspruch der Zentralregierung auf der einen Seite sowie Regionen und ethnischen Gruppen auf der anderen.

Nach einem 30-jährigen Unabhängigkeitskrieg (1961-1991) löste sich Eritrea von Äthiopien ab und erlangte 1993 die volle staatliche Anerkennung. Die benachbarte Region Tigray hatte an der Seite der Eritreer gekämpft und 1991 mit eritreischer Unterstützung die Hauptstadt Addis Abeba eingenommen. Tigray bildeten fortan die Regierungspartei und machten aus Äthiopien einen stark föderalen Staat auf der Grundlage von ethnischer Zugehörigkeit. Ideologische, strategische und taktische Differenzen mit den Eritreern wuchsen sich schließlich zu einem erbitterten Grenzkrieg aus, der von 1998 bis 2000 anhielt. Dieser Konflikt blieb ungelöst, was dramatische Auswirkungen hatte, wie der Eritreabericht 2022 des Bertelsmann Transformation Index (BTI) beschreibt: „Aufgrund des Widerstands der Regionalregierung von Tigray scheiterte die Festlegung der Grenze zwischen den beiden Ländern. Statt ihre Armee aus Zwangsrekrutierten zu demobilisieren, führte die eritreische Regierung in Tigray seit November 2020 an der Seite der äthiopischen Streitkräfte einen unerklärten Krieg gegen die Volksbefreiungsfront Tigray, der eine humanitäre Katastrophe nach sich zog.“

Ein internationaler Konflikt wird ausgetragen

2018 hatten die Tigray die Macht in Äthiopien verloren und Ministerpräsident Abiy Ahmed schloss Frieden mit dem eritreischen Staatschef, Präsident Isaias Afwerki. Die beiden Männer vereint eine gemeinsame Abneigung gegen die Tigray und sie planten, deren Macht ein für alle Mal zu brechen. Am 4. November 2020 fielen die Armeen Eritreas und Äthiopiens, unterstützt von somalischen Wehrpflichtigen und ethnischen Milizen aus mehreren Regionen Äthiopiens, in Tigray ein. Von Anfang an war dieser Krieg ein internationaler Konflikt. Die Äthiopier hatten im September 2018 ein dreiseitiges Sicherheitsabkommen mit Eritrea und Somalia unterzeichnet, das ihre Beziehungen festigte. Eritreische und somalische Truppen wurden mit in den Kampf geschickt. Die zahlenmäßig größte Gruppe waren Eritreer, viele von ihnen junge Rekruten, Wehrpflichtige im Rahmen des Nationaldienstes.

Dennoch hielten die Tigray erfolgreich dagegen und rückten Ende 2021 sogar so weit nach Süden vor, dass die internationale Gemeinschaft begann, ihre Mitarbeiter aus Addis Abeba auszufliegen. Ende letzten Jahres stagnierte der Konflikt und wurde erst im August dieses Jahres auf das Heftigste wieder entfacht mit erneuten Angriffen von allen Seiten auf die Region.

Wie geht es mit Eritrea weiter?

Wenn dieser Krieg tatsächlich vorbei sein sollte – was sich noch zeigen muss –, welche Pläne hat dann Eritreas Präsident Isaias Afwerki in petto? Als Staatschef, der sich nie zur Wahl gestellt hat und seine Legitimität weder auf eine funktionierende Verfassung noch auf eine Nationalversammlung stützt, ist er niemandem Rechenschaft schuldig. Im Governance-Ranking des BTI belegt Eritrea mit nur 1,12 von 10 möglichen Punkten den schlechtesten Platz und wird als „gescheitert“ eingestuft. Der Präsident vertraut nur seinen engsten Gefolgsleuten in der Regierungspartei und dem Militär. Selbst diese werden regelmäßig ausgewechselt, so dass sie so gut wie keine Autorität besitzen.

Der eritreische Präsident sieht sich als relevanten Lenker am Horn von Afrika, obwohl er nur über eine verarmte Bevölkerung von etwa 3,5 Millionen Einwohnern herrscht (eine aktuelle Volkszählung existiert nicht). In den Nachbarländern Somalia, Sudan und Äthiopien hat er bereits interveniert.

Offizielle Beziehungen zum äthiopischen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed bestehen seit 2018, als beide in Saudi-Arabien ein Friedensabkommen unterzeichneten. Spannungsfrei sind diese Beziehungen indes nicht. Der eritreische Präsident ist bislang nicht auf die Forderung nach Abzug seiner Truppen aus Äthiopien eingegangen, wie sie das jüngste Abkommen von Nairobi zur Einstellung der Feindseligkeiten festschreibt. Darin heißt es, dass die Entwaffnung „gleichzeitig mit dem Abzug ausländischer Truppen aus der Region“ erfolgen soll.

Stattdessen hat Eritrea damit begonnen, Mitglieder der Fano auszubilden, einer Miliz der Amhara, die dem äthiopischen Staatschef generell feindlich gesinnt sind. Präsident Isaias hat sich schon früher ausländischer Truppen bedient, um benachbarten Regenten zu drohen. So gaben die Vereinten Nationen 2011 Eritrea die Schuld an der Planung eines „massiven“ Angriffs auf ein Gipfeltreffen der Afrikanischen Union in Addis Abeba, bei dem äthiopische Rebellen zum Einsatz kommen sollten. Es wäre falsch anzunehmen, dass jetzt ein ähnlicher Angriff bevorsteht, doch die Fano könnte dazu dienen, Premierminister Abiy unter Druck zu setzen.

Ebenso möglich erscheint das Wiederaufflammen von Konflikten mit dem benachbarten Dschibuti oder eine Intervention im Sudan. Das Horn von Afrika leidet weiterhin nicht nur unter einem noch nicht beigelegten Krieg in Tigray, sondern auch unter Konflikten in mehreren anderen äthiopischen Regionen, einem Somalia, das immer noch militante Islamisten bekämpft, und einem Sudan, der sich auch nach dem jüngsten Friedensabkommen zwischen Militär und Zivilbevölkerung in einer prekären Lage befindet. Was Präsident Isaias als nächstes tun wird, lässt sich kaum vorhersehen. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass er nach Einflussmöglichkeiten über seine Grenzen hinaus suchen wird, um Konflikte, die die Region weiterhin plagen, in seinem Sinne auszunutzen.

Übersetzt aus dem Englischen von Karola Klatt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert