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Tum Malis (Voice of America) / Wikimedia Commons – CC0 1.0, Public Domain, https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/legalcode

Hun Sen und die Suche nach der Zauberformel

Eigentlich ist es so wie immer: In Kambodscha wird gewählt, und der Sieger steht schon vorher fest. Da aber der seit 1985 amtierende Premierminister Hun Sen seinen baldigen Rückzug angekündigt hat, steht er vor der schwierigen Aufgabe, bei der Übergabe der Amtsgeschäfte an seinen ältesten Sohn schwerwiegende Konflikte zu vermeiden.

Den Schlag hatte der siegesverwöhnte Langzeit-Regierungschef Kambodschas nicht kommen sehen. Und er saß: Ende Juni, also gut drei Wochen vor den Parlamentswahlen, kündigte Facebook an, den Account von Premierminister Hun Sen mit 14 Millionen Followern für sechs Monate zu sperren. Ursache dafür war eine Rede Hun Sens im Januar, in der er politischen Gegnern Gewalt androhte, und die seitdem als Video öffentlich zugänglich war. Das wertete das unabhängige „Oversight Board“ der Facebook-Mutter Meta als Verstoß gegen die Nutzungsrichtlinien. Um den Gesichtsverlust einer Sperre zumindest abzumildern, löschte Hun Sen kurzerhand sein Profil und seine tausenden Beiträge, die er dort seit 2016 veröffentlicht hatte.

Die für Hun Sen gute Nachricht ist, dass er in den kommenden Wochen nicht mit noch mehr Ungemach wird rechnen müssen. Dabei stehen am 23. Juli Parlamentswahlen an. Doch Kambodschas autokratischer, seit 1985 im Amt befindliche Regierungschef hat vorgesorgt und mit der Candlelight Party die einzige Partei von den Wahlen ausgeschlossen, die reelle Chancen gehabt hätte, zumindest einige Mandate zu gewinnen. So dürfte die Nationalversammlung wie schon in der aktuellen Legislaturperiode auch weiterhin nur aus Politikern der seit 1979 regierenden post-sozialistischen Cambodian People’s Party (CPP) bestehen. Unabhängige Medien, die diese eklatanten Verstöße gegen die liberal-demokratische Verfassung von 1993 kritisieren könnten, gibt es schon lange nicht mehr.

Kambodscha steht vor seiner fragilsten Phase seit einem Vierteljahrhundert

Doch die eigentliche Arbeit fängt für Hun Sen, dessen politische Karriere in den 1970er Jahren als Offizier der Roten Khmer begann, erst danach an. Denn die Zusammenstellung des neuen Kabinetts markiert einen weiteren und den bisher wesentlichsten Schritt im Generationenwechsel in Kambodschas politischen Spitzenämtern. Einige langgediente Minister könnten sich auch gegen ihren Willen schon bald auf dem Altenteil wiederfinden. Doch vieles dürfte in den Familien bleiben, denn seit Jahren bereiten die alten Kader ihre Söhne (für die Töchter gibt es andere Pläne) auf die Nachfolge vor, sei es als Parlamentsabgeordnete, Gouverneure oder Staatssekretäre. So stehen Kambodschas Ministerien kurz davor, zu familiengeführten Erbhöfen zu werden, wodurch die politische Elite einmal mehr verdeutlicht, dass sie keine Unterscheidung zu treffen mag zwischen Staat und Privatbesitz. Nicht umsonst wird Kambodscha seit vielen Jahren bei Transparency International als einer der korruptesten Staaten der Welt ausgewiesen. Auch der BTI-Länderbericht 2022 unterstreicht diese grundsätzliche Haltung: „Letztlich dient die autokratische Regierung nur einem Ziel – einigen wenigen Familien und ihren engsten Vertrauten die Ausplünderung des kambodschanischen Staatsvermögens zu ermöglichen.”

Pikanterweise hat sich Hun Sen bereits vor einiger Zeit entschieden, ebenfalls Teil dieses dynastischen Generationenwechsels zu sein. Im Dezember 2021 rief er seinen ältesten Sohn General Hun Manet (Jahrgang 1977) zu seinem Nachfolger aus. Ganz offensichtlich traut er niemand anderem zu, die physische und justizielle Sicherheit des Hun-Clans – der mit großem Abstand reichsten Familie Kambodschas – zu gewährleisten. Seitdem rätseln alle Beobachter innerhalb und außerhalb Kambodschas allerdings, wann und wie die Übergabe von Statten gehen wird. Wenn sich die zentrale Figur eines durch und durch personalisierten Systems zurückzieht (oder abrupt verschwände), geht es auch immer um die Frage, wie Macht neu organisiert wird. Kambodscha tritt daher in seine fragilste Phase seit mindestens 25 Jahren ein.

Es wäre im Interesse des Sohnes, wenn die Amtsübergabe noch etwas auf sich warten ließe

Auch wenn aktuell nicht davon auszugehen ist, dass größere (bewaffnete) Konflikte um die Neuverteilung von Entscheidungskompetenzen und Zugang zu öffentlichen Ressourcen ausbrechen werden, wird es Vater und Sohn darum gehen, die relevanten Akteure in Partei, Staat und den Sicherheitskräften hinter dem neuen Gefüge zu versammeln. Es wird ihnen nichts bringen, wenn es die zweite und dritte Reihe der CPP nur widerwillig hinnähme. Doch noch hat Hun Sen die Zauberformel nicht gefunden, die alle zufriedenstellen kann. Wie es scheint, wird er den tatsächlichen Machttransfer in die Länge ziehen und sich nur mit Trippelschritten zurückziehen.

Selbst wenn die Stabübergabe im Amt des Regierungschefs an seinen Sohn bereits unmittelbar nach den Parlamentswahlen zumindest nicht ausgeschlossen ist, dürfte sich der Rücktritt Hun Sens wohl noch bis etwa zur Mitte der kommenden Legislaturperiode 2025 hinziehen. Das wäre jedenfalls auch im Sinne seines Sohns, der als Berufsoffizier bisher noch kein Parlaments- oder Regierungsamt innehatte und wohl sehr davon profitieren könnte, wenn er als Parlamentsabgeordneter und als ein möglicher stellvertretender Premierminister seinem Vater zunächst noch eine Zeitlang über die Schulter schauen könnte.

Hun Sen bleibt auch als Ex-Regierungschef Kambodschas mächtigster Mann

Während sich Hun Sen also langsam aus dem tagespolitischen Geschäft zurückzieht, wird er gleichzeitig zweifellos auch ohne öffentliches Amt Kambodschas mächtigster Mann bleiben. Als der auf Lebenszeit gewählte Präsident der CPP und mit einer Bodyguard-Miliz vergleichbar mit einer Privatarmee im Rücken hat er sich ausreichend abgesichert. Diese Machtressourcen sind völlig ausreichend, um jegliche Kritik im Keim zu ersticken oder im Ernstfall regime-internen Widerstand zu brechen.

So dürfte Hun Sen auch weiterhin Kambodschas strategische Ausrichtung dominieren und in operativen Angelegenheiten immer dann ein Veto einlegen, wenn er es für nötig erachtet. Für Hun Manet ist das Fluch und Segen zugleich: Einerseits wird ihn anfangs nur die massive Autorität seines Vaters vor potentiellen Rivalen schützen. Andererseits muss er möglichst schnell eigene, von seinem Vater unabhängige Machtressourcen aufbauen. Selbst wenn er wollte, könnte er angesichts der politischen Kultur der CPP kaum in einer Rolle als moderierender Regierungschef die notwendige Anerkennung erhalten.

Hun Manet tritt ein schweres Erbe an

Neben seiner Offizierslaufbahn und seiner Verwurzelung in den Streitkräften hat Hun Manet noch deutlich mehr zu bieten. Als Absolvent der amerikanischen Militärakademie in West Point und mit einer Promotion in Wirtschaftswissenschaften an der britischen University of Bristol verfügt er über eine erstklassige Bildung. In den letzten Jahren rückte er nicht nur in das Politbüro der CPP auf, sondern erwarb sich mit sozialem Engagement landesweit einen guten Ruf. Gerade bei jüngeren Kambodschanern ist er sehr beliebt, da er sich zugänglich gibt und seine Reden deutlich konzilianter sind als die seines Vaters. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass diese Eigenschaften zu einem neuen Politikstil führen, jedenfalls nicht in den nächsten Jahren.

Denn Hun Sen hinterlässt seinem Sohn (oder jedem anderen an dessen Stelle) ein vergiftetes politisches Erbe. Seine auf Korruption, Nepotismus, gleichgeschaltete Gerichte und notfalls auch Gewaltanwendung aufbauende Herrschaft ist immer schwerer mit den Erforderlichkeiten in der Steuerung einer modernen industrialisierten Volkswirtschaft vereinbar. Zwischen 2010 und 2019 gehörte Kambodscha zwar zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt, und auch durch die Pandemie ist das Land in mancherlei Hinsicht sogar gestärkt hervorgegangen. Doch es wird immer offensichtlicher, dass die gesellschaftlich-kulturelle Entwicklung genauso wie die staatlich-administrative nicht Schritt hält mit dem bemerkenswerten Wirtschaftswachstum.

Kambodscha braucht nicht nur China, sondern auch Europa und die USA

Auf der einen Seite ein wettbewerbsfähiger Standort in internationalen Wertschöpfungsketten zu sein, auf der anderen jedoch als systemimmanente Konstanten praktisch keine Rechtssicherheit, ineffizienten Bürokratismus und Korruption auf fast allen staatlichen Ebenen aufzuweisen, führt zu eklatanten und wachsenden Widersprüchen. Noch funktioniert das Modell, was in erster Linie an der engen Verzahnung mit chinesischen Unternehmen liegt, weshalb Kambodscha auch als verlängerte Werkbank Chinas gilt. Deren Investitionen und die immensen Beihilfen der Regierung in Peking – China hält rund die Hälfte der kambodschanischen Staatsverschuldung – haben jedoch eine Abhängigkeit entstehen lassen, aus der sich zu lösen stetig schwieriger wird. Hun Manet wird langfristig den Politikstil seines Vaters überwinden müssen, wenn er Kambodscha nicht zu einem reinen Satellitenstaat Chinas degradieren möchte oder den Weg einer Militärdiktatur wie in Myanmar vermeiden will. Wie das gelingen soll, ohne die innenpolitische Balance zu verlieren, ist dabei die große Herausforderung.

Immerhin ein außenpolitisches Fenster hat ihm sein Vater geöffnet: 2022 stimmte Kambodscha in der UN-Vollversammlung überraschend für die Verurteilung von Russlands Angriffskriegs in der Ukraine und in diesem Jahr für eine Resolution, die Russland zum Verlassen der Ukraine auffordert. Dies wurde gemeinhin als Wiederannäherung an die Europäische Union und die USA interpretiert, die für Kambodscha immer noch die mit Abstand wichtigsten Absatzmärkte sind. Auch wenn es angesichts der Repressionen gegen Kambodschas Opposition in diesem Jahr wieder Kritik aus Washington und Brüssel gegeben hat, sind es anders als in den Jahren zuvor – wie etwa 2020, als die EU Handelserleichterungen teilweise suspendierte – dieses Mal überwiegend Apelle, die darauf hindeuten, dass der Westen den politischen Status quo nach den Wahlen letztendlich hinnehmen wird. Den politischen Spielraum, den Hun Sen damit gewinnt, kann er sicherlich gut gebrauchen.

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht von The Diplomat.

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