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Viele in Afghanistan leben in extremer Armut. Photo: © trentinness – stock.adobe.com

Afghanistans Zukunftsaussichten: Die Herrschaft der Taliban bringt Wirtschaftseinbruch – und steigende Steuereinnahmen

Zwei Jahre nach der Machtübernahme durch die Taliban haben andere internationale Krisen die Aufmerksamkeit auf sich gezogen und vom Leiden der Bevölkerung in einer katastrophalen sozioökonomischen Situation abgelenkt. Wie sehen die wirtschaftlichen Aussichten für Afghanistan unter den Taliban aus?

Als die Taliban im August 2021 die Macht übernahmen, sahen sie sich mit drei verschiedenen Herausforderungen konfrontiert: erstens mit einer enormen wirtschaftlichen und humanitären Krise, zweitens mit der Notwendigkeit, ein integratives und funktionierendes Regierungssystem aufzubauen und drittens mit der Erfordernis, internationale Anerkennung zu erlangen. Obwohl niemand von der Gruppierung, die 20 Jahre lang einen Aufstand geführt hatte, eine „gute Regierungsführung“ erwartete, ist es den Taliban offenbar nicht gelungen, auch nur eine der drei Krisen auf sinnvolle Weise anzugehen.

Schon vor der Machtübernahme durch die Taliban war das Land instabil, wie der Bertelsmann Transformation Index (BTI) 2022 für Afghanistan zeigt, der die Governance des Landes als „schwach“ einstufte. Die BTI-Bewertung 2022 für die politische Transformation Afghanistans liegt bei knapp über 3 von 10 möglichen Punkten, gegenüber 4,36 Punkten im Jahr 2020. Auch die BTI-Bewertung der wirtschaftlichen Transformation Afghanistans im Jahr 2022 ist mit 2,75 von 10 möglichen Punkten niedrig und wird als „rudimentär“ eingestuft.

Nichtsdestotrotz ist es den Taliban gelungen, auf ihrer langen Geschichte des informellen Erhebens von Steuern während des Aufstands aufzubauen und die Einnahmen durch Steuern, einschließlich der rückwirkenden Besteuerung von Vermögenswerten und Immobilien, zu erhöhen. Untersuchungen zeigen, dass die Afghanen den Begriff „Steuer“ als eine Zusammenfassung aller Zahlungen betrachten, die sie an die Taliban-Behörden leisten müssen: Einkommenssteuer, Gebühren für verschiedene Arten von Lizenzen, von Fahrzeugen bis zu Geschäften und Unternehmen, und Gemeindesteuern. Diese Besteuerung stellt eine schwere Belastung für die Bürger dar. Angesichts der kollabierenden Wirtschaft sind viele Menschen arbeitslos geworden und die Besteuerung stellt die Arbeitnehmer zusätzlich vor große Herausforderungen. Zwischen März 2022 und März 2023 hat das Taliban-Regime nach Angaben der Weltbank rund 2,2 Milliarden US-Dollar an Einnahmen erzielt. Diese beeindruckende Leistung trotz der schrumpfenden Volkswirtschaft und fehlender ausländischer Entwicklungshilfe ist zum großen Teil auf die effektive Steuererhebung der Taliban an den Grenzen Afghanistans zurückzuführen. Die ehemalige Islamische Republik Afghanistan erhielt in ihren letzten Jahren bis zu 40 Prozent ihres BIP durch ausländische Hilfe. Als Binnenland ist Afghanistan auf Verkehrsadern angewiesen, die es mit den Nachbarländern verbindet. Dieses Netz dient als Transitstrecken für Ein- und Ausfuhren, insbesondere durch Pakistan und den Iran.

Besteuerung hält an, Taliban gehen gegen einige Formen der Korruption vor

Trotz ungünstiger Umstände und internationaler Sanktionen höhere Einnahmen zu erzielen, stellen die Taliban-Behörden weiterhin als Beweis dafür heraus, dass sie die endemische Korruption der früheren afghanischen Regierung ausgemerzt hätten. Es gibt durchaus Anzeichen dafür, dass die Taliban gegen einige – wenn auch nicht alle – Formen der Korruption vorgegangen sind, beispielsweise in den Verwaltungen der staatlichen Institutionen, die zuvor von Bestechung durchsetzt waren.

Seit mehr als einem Jahrhundert sind die aufeinanderfolgenden afghanischen Machthaber auf ausländische Hilfe angewiesen. Das derzeitige Taliban-Regime stellt insofern eine historische Besonderheit dar, da es formal nicht von Auslandshilfe abhängig ist. Dennoch befindet sich die Bevölkerung in großer Not: Von der Gesamtbevölkerung von etwa 41 Millionen Afghanen sind fast 30 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die internationale humanitäre Hilfe wird von internationalen wie lokalen Organisationen des humanitären Sektors in Abstimmung mit den Vereinten Nationen in Afghanistan geleistet. Das Taliban-Regime ist von dieser humanitären Hilfe abgeschnitten. Da die inländische Wirtschaft aufgrund der internationalen Sanktionen faktisch zusammengebrochen ist, wird die allgemeine wirtschaftliche Misere wohl weiter anhalten. Diese Situation wird durch die Beschränkungen des afghanischen Bankensektors infolge der Sanktionen noch verschärft. Geldüberweisungen und internationale Transaktionen werden hauptsächlich über informelle Kanäle abgewickelt.

Extreme Armut nimmt immer größere Ausmaße an

Nach Angaben des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) legte nach der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 der Opiumanbau um 32 Prozent zu. Infolgedessen stiegen die Einnahmen der Landwirte aus der Mohnernte auf 1,4 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022, verglichen mit 425 Millionen US-Dollar im Jahr 2021. Im April 2022 erließ der oberste Anführer der Taliban jedoch einen Erlass, der den Mohnanbau verbot. Ein Jahr später zeigen Satellitenbilder, dass der Anbau von Schlafmohn in wichtigen Provinzen wie Helmand, wo normalerweise 50 Prozent der Gesamtanbaukapazität liegt, fast vollständig eingestellt wurde. Das Verbot wird erhebliche negative Folgen für die Bauern und ihre Familien haben, die mit alternativen Kulturen wie Weizen kaum ein ähnliches Einkommen erzielen können. Das Ausmaß an Armut war in den ländlichen Regionen Afghanistans in den vergangenen Jahrzehnten stets höher als in den städtischen Gebieten. Seit 2001 war dies vor allem auf Sicherheitsprobleme in ländlichen Regionen zurückzuführen, die den Zugang zu Gütern erschwerten. Auch die Konzentration des Wohlstands in den städtischen Zentren schloss Gebiete außerhalb der großen Städte aus. Die zunehmende extreme Armut im ganzen Land bedeutet jedoch, dass diese Kluft zwischen Stadt und Land schnell abnimmt. Die Einkommensverluste der Landwirte werden mit Sicherheit zu mehr internen Vertreibungen und möglicherweise zu Abwanderungsbewegungen führen.

Obwohl sich die Inflation und die Verfügbarkeit von Rohstoffen, insbesondere von Lebensmitteln und einheimischen Agrarprodukten, so schlecht entwickelt haben wie ursprünglich befürchtet, gibt es noch besorgniserregende Trends. Dazu gehören: die Zunahme der extremen Armut in allen Teilen der Gesellschaft und die Dezimierung der städtischen Mittelschicht aufgrund von Einkommensverlusten. Die Stabilität der Landeswährung, des Afghani, hängt mit dem physischen Transport begrenzter Bargelddollars zusammen, während die Guthaben des Landes eingefroren bleiben, das meiste davon in den Vereinigten Staaten. Berichten zufolge verwendet das Taliban-Regime mehr als 50 Prozent seiner Einnahmen für die Ministerien des Sicherheitssektors. Angeblich räumt es dabei dem Ausbau seiner militärischen Fähigkeiten Vorrang ein.

Solange sich die innen- und außenpolitischen Rahmenbedingungen nicht ändern, ist es unwahrscheinlich, dass sich die derzeitige Wirtschaftskrise in Afghanistan in unmittelbarer oder naher Zukunft entspannen wird. Das Gleiche gilt für die politische und diplomatische Isolierung des Taliban-Regimes. Die Taliban haben scheinbar alles versucht, regionale Zusammenarbeit zu erreichen. Ihre Versuche haben zu einigen Foto-Terminen geführt, unter anderem mit der chinesischen Regierung. Die internationalen Sanktionen haben dem Taliban-Regime jedoch die Flügel gestutzt, insbesondere die Beschränkungen für den afghanischen Bankensektor, die sowohl dem Taliban-Regime als auch der afghanischen Privatwirtschaft schaden. Trotz der Berichte über interne Spaltungen setzten sich die Anführer der Taliban angesichts der Bedrohungen beharrlich für den Selbsterhalt und die Einheit ein. Das Regime wird sich energisch um die Erzielung von Einnahmen durch Steuern und Zölle bemühen. Angesichts der Priorität der Taliban, die Sicherheit und die militärischen Kapazitäten zu stärken, ist es unwahrscheinlich, dass die Einnahmen in zivile Projekte umgeleitet werden. Die dringend benötigte internationale humanitäre Hilfe muss fortgesetzt werden. Die internationalen Sanktionen und die Verwandlung Afghanistans in ein Paria-Land schaden ohne eine funktionierende Wirtschaft, und sei sie noch so schwach, den einfachen Afghanen. Dies verdeutlicht ein zentrales Dilemma. Der derzeitige Status quo in Afghanistan ist auf lange Sicht nicht tragbar. Ohne externe Unterstützung kann das Taliban-Regime die wirtschaftliche Lücke im eigenen Land nicht füllen und auch keine Entwicklungsprojekte wieder aufnehmen. Das bringt die Taliban in eine Zwickmühle: Wenn sie versuchen, eine funktionierende und stabile Regierung aufzubauen, indem sie mit dem Westen zusammenarbeiten, werden sie ihre Anhänger verprellen. Da jedoch beide Seiten ihr Gesicht nicht verlieren wollen, wenn sie sich auf eine fruchtbare Zusammenarbeit einlassen, dürfte die humanitäre Lage prekär bleiben.

Übersetzt aus dem Englischen von Karola Klatt.

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