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European Commission, Jean-François Badias / Wikimedia Commons – CC BY 4.0, https://creativecommons.org/licenses/by/4.0

Eine anti-liberale Wende droht: Die Slowakei nach den Präsidentschaftswahlen 2024

Seit die Slowakei im Jahr 2004 Vollmitglied der EU wurde, gab es wenig Grund an den europäischen und demokratischen Ambitionen des Landes zu zweifeln. Doch blindes Vertrauen ist mit einem Premierminister, der sich zunehmend in Richtung Russland bewegt, und einem neu gewählten Präsidenten, der autoritäre Tendenzen an den Tag legt, womöglich nicht mehr gerechtfertigt.

Der jüngste Sieg von Peter Pellegrini bei den slowakischen Präsidentschaftswahlen 2024 hat nicht nur für innenpolitische Diskussionen gesorgt, sondern stellt auch die Stellung der Slowakei innerhalb der Europäischen Union (EU) in Frage. Insbesondere deshalb, weil Pellegrinis Konkurrent, der Diplomat und ehemalige Außenminister Ivan Korčok, als überzeugter Verfechter liberaler Ideale und europäischer Werte galt, während Pellegrini ganz andere Ideale zu vertreten scheint. Er steht nicht zuletzt für die autoritären und bisweilen pro-russischen Ideale des aktuellen Premierministers Robert Fico, der zuletzt Opfer eines Attentats wurde und sich laut offiziellen Quellen noch immer „in einem ernsten Zustand“ befindet.

Aber eins nach dem anderen. Die Slowakei ist in EU-Fragen seit jeher für ihre gemäßigte Haltung bekannt. Daran hat sich in den vergangenen Jahrzehnten, unabhängig von den jeweils regierenden Parteien oder Koalitionen, kaum etwas verändert.  Die jüngsten Regierungen unter den Premierministern Igor Matovič (2020-2021) und Eduard Heger (2021-2023) galten zeitweise sogar als leuchtende Beispiele für westliche Mitgliedstaaten, insbesondere was ihre unerschütterliche Unterstützung für die Ukraine betrifft. Diese Wahrnehmung änderte sich jedoch schlagartig mit den Parlamentswahlen im September 2023, aus denen der derzeitige Premierminister Robert Fico als Sieger hervorging. Fico profitierte damals unter anderem von der großen Unzufriedenheit, die sich während der Corona-Pandemie gegen Premierminister Igor Matovič  angestaut hatte und von den innerern Streitigkeiten, über die die Regierungskoalition von Eduard Heger im Dezember 2022 stolperte. In dieser Zeit hatte sich die Slowakei laut der aktuellen Ausgabe des  Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung (BTI) trotz demokratischer Fortschritte in Bereichen wie der Justizreform, Korruptionsbekämpfung und Medienpolitik bereits zunehmend in eine neue Richtung bewegt: immer mehr Gesetze wurden per Schnellverfahren verabschiedet und gegen Kritik aus der Zivilgesellschaft durchgesetzt.

Dennoch war der Sieg der Partei Smer-SD für viele ein Schock. Nicht nur, weil er Spitzenkandidat Robert Fico nach 2006, 2012 und 2016 zu einer vierten Amtszeit verhalf, sondern auch weil schnell klar wurde, dass sich die Politik des neuen Premierministers in der Zwischenzeit kaum verändert hatte. Sein Stil zeichnete sich noch immer durch schleichende Gesetzesänderungen und Geschichtsverklärung aus, sowie durch die Bereitschaft, seine politischen Gegner aus dem Weg zu räumen. Nur die von den Oppositionsparteien organisierten Massenproteste nach den Wahlen, konnten eine von Fico geplante und äußerst umstrittene Reform des Strafrechtssystems stoppen.

Der Flirt mit dem Autoritarismus unter Fico

Unmittelbar nach den Parlamentswahlen begann die Regierung Fico trotzdem, im großen Stil Gesetze zu ändern, das Image des Landes umzukrempeln und abweichende Meinungen zum Schweigen zu bringen. Ficos Bemühungen, die Medien zu beeinflussen und Institutionen wie die Staatsanwaltschaft zu schwächen, verstärkten die allgemeinen Sorgen um die Rechtsstaatlichkeit. Zudem standen erstmals auch die slowakischen Beziehungen zur EU auf dem Prüfstand, da sich hochrangige Beamte des Landes zunehmend kritisch über Brüssel äußerten und mitunter sogar offen die europäischen Werte in Frage stellten. Ficos russlandfreundliche Haltung tat ihr übriges, forderte er doch unverhohlen eine engere   Zusammenarbeit mit Wladimir Putin und schüttelte Sergej Lawrow sogar die Hand. Gleichzeitig geriet auch die Pressefreiheit unter Beschuss, da sich die Regierungsbehörden zunehmend an russische Medien wandten und die Interaktionen mit lokalen Medien einschränkten.

Der öffentliche Widerstand, der sich bis heute gegen diese Maßnahmen der Regierung Fico regt, unterstreicht jedoch auch das wachsende Unbehagen der Bürgerinnen und Bürger in der Slowakei – und ihre Bereitschaft, ihre (europäischen) Werte und politischen Überzeugungen zu verteidigen. Die Massenproteste des vergangenen Winters, die als Demonstrationen gegen die Auflösung der sogenannten Sonderstaatsanwaltschaft begannen, die unter anderem für die Untersuchung von Korruptionsdelikten verantwortlich ist, waren ein erstes deutliches Zeichen für diesen Trend. Und für die Tatsache, dass viele Menschen in der Slowakei begriffen hatten, dass die Rechtsstaatlichkeit und der gesellschaftliche Konsens im Land von der Regierung auf die Probe gestellt wurden. Gerade mit Blick auf die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2024 sahen viele Menschen die Proteste als letzte Chance war, einen illiberalen Wandel zu verhindern und ein Mindestmaß an Kontrolle über die politische Elite zu wahren. Robert Fico schien damals die Quittung für seine Politik ins Haus zu stehen.

Von Angst getrieben: Was bedeutet Pellegrinis Sieg?

Doch obwohl die Präsidentschaftswahlen von einigen positiven Höhepunkten geprägt waren – darunter einer recht hohen Wahlbeteiligung, die den im BTI-Länderbericht hervorgehobenen Trend der steigenden politischen Beteiligung in der Slowakei fortsetzte –, sollte alles anders kommen. Bei der Wahl trat Peter Pellegrini, dessen Kampagne offen von Robert Fico unterstützt wurde, gegen den proeuropäischen und liberalen Kandidaten Ivan Korčok an. Anstatt von der öffentlichen Kritik am Premierminister zu profitieren, sah sich Korčok jedoch schon bald mit seinen eigenen Problemen konfrontiert: Er wurde von Fico, verschiedenen Ministern und von seinem Gegenkandidaten als Kriegstreiber dargestellt, der das Land in einen offenen Konflikt mit Russland führen wolle und der plane, slowakische Soldaten in der Ukraine in den Tod zu schicken. In einer aufgeladenen Atmosphäre, die durch Medienmanipulation und Desinformation angeheizt wurde, verfingen diese toxischen Narrative nachhaltig und prägten die öffentliche Meinung. Nicht zuletzt, weil Peter Pellegrinis Wahlkampf viele der von seinem Verbündeten Robert Fico angewandten Taktiken aufgriff: Pellegrini schürte Ängste und legte sich sowohl mit den liberalen Medien als auch mit der Zivilgesellschaft an. Viele Analysten in der Slowakei zeigten sich besorgt über diese Taktik. Trotz alledem half sie Pellegrini erfolgreich dabei, genug Wählerinnen und Wähler auf seine Seite zu bringen, sich eine Mehrheit von 53,12 Prozent zu sichern und Ivan Korčok zu besiegen.

Zwischen einer illiberalen Wende und den Europawahlen

Kurz nach der Wahl erklärte Robert Fico, der Sieg Pellegrinis stelle für seine Regierung eine Herausforderung dar. Tatsächlich ist jedoch wohl das genaue Gegenteil der Fall: Mit Pellegrini hat Fico einen weiteren einflussreichen Verbündeten hinzugewonnen, der ihm dabei helfen wird, seinen Einfluss zu festigen und seine politische Agenda vorantreiben. Dazu könnte es auch gehören, weiteren seiner Loyalisten zu Schlüsselpositionen zu verhelfen. Beispielsweise, indem ein neuer Leiter des slowakischen Geheimdienstes (SIS) ernannt wird oder neue Richter am Obersten Gerichtshof eingesetzt werde, um das Justizwesen zu beeinflussen.

Gleichzeitig sollte man nicht außer Acht lassen, dass das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen auch tiefe Spaltungen innerhalb der slowakischen Gesellschaft aufzeigt. Offensichtlich neigt ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung zu populistischen Meinungen, hegt Sympathien für Russland und ist offen für drastische politische Reformen. Das sollte nicht nur für die politische Opposition in der Slowakei eine Warnung sein, sondern auch für EU-Vertreter. Denn diese müssen sich möglicherweise schon bald mit einem zweiten Ungarn-Szenario auseinandersetzen, also mit einem weiteren EU-Mitgliedstaat, der autoritäre Tendenzen an den Tag legt.

Für den Moment (aber wirklich nur für den Moment) wird Pellegrinis Präsidentschaft vielleicht nicht zu dramatischen Veränderungen mit Blick auf das slowakische Verhältnis zur EU führen.  Dennoch bestätigt Pellegrinis Sieg in gewisser Weise den jüngsten Kurs des Landes und hat das Potenzial, in den kommenden Jahren für ein gesellschaftliches und politisches Beben zu sorgen. Nicht umsonst betonte der Journalist und Schriftsteller Martin M. Šimečka zuletzt, dass dies die ersten Anzeichen dafür sein könnten, dass die Slowakei in Zukunft bereit ist, die Idee gemeinsamer EU-Werte im Namen innenpolitischer Machtspiele zu opfern.

Insbesondere im Hinblick auf die bevorstehenden Europawahlen im Juni wird die Entschlossenheit der pro-europäischen, pro-liberalen und pro-demokratischen Wählerinnen und Wähler in der Slowakei auf die Probe gestellt werden. Umso kritischer ist es zu bewerten, dass diese gerade dabei sind, sich desillusioniert abzuwenden. Nach den bereits verlorenen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen könnte die Europawahl so zum dritten Schlag in ihre Magengrube werden. Im Moment scheint es in jedem Fall wahrscheinlicher, dass das pro-russische und rechtsextreme Lager in der Slowakei die politische Initiative ergreift und seine Basis mobilisieren kann.

Aus dem Englischen übersetzt von Kai Schnier

Eine Version dieses Artikels erschien zuerst bei Euractiv

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