Zentralamerika am Scheideweg: Gibt es demokratische Mittel gegen die Gewalt?
Länder wie El Salvador, Honduras und Guatemala kämpfen zunehmend gegen soziale Unruhen und Gewaltausbrüche. Ob sie dabei der Versuchung erliegen, demokratische Ideale zu opfern und autoritären Impulsen nachzugeben, wird über die Zukunft einer ganzen Region entscheiden. Noch ist es nicht zu spät, eine wertebasierte Sicherheitspolitik zu entwickeln.
Die nördlichen Länder Mittelamerikas, El Salvador, Guatemala und Honduras, sind ein guter Gradmesser für den Zustand der lateinamerikanischen Politik und Gesellschaft im Allgemeinen: Es herrschen chronische Unsicherheit und Gewalt und die Region befindet sich in einem nicht enden wollenden Krise. Als Reaktion darauf lassen sich viele Regierungen zunehmend zu einem faulen Kompromiss verleiten: Sie opfern hart erkämpfte demokratische Rechte und Institutionen für das Versprechen von Sicherheit. Die Mano-Dura-Politik, die Politik der harten Hand, wird immer populärer, während demokratische Kräfte darum ringen, sozialverträgliche Alternativen zu erarbeiten. Sowohl die Regierung von El Salvador, die immer offensichtlichere autoritäre Züge an den Tag legt, als auch die von schlechten Umfragewerten und zunehmender Gewalt in die Ecke getriebene Regierung von Honduras, haben längst einen andauernden Ausnahmezustand ausgerufen. Guatemala hingegen, versucht mit allen Mitteln zu vermeiden, seine angeschlageneren demokratischen Institutionen durch so einen Schritt noch weiter zu untergraben. Trumps Rückkehr als Präsident der USA wird die Region wahrscheinlich weiter in Richtung des Autoritarismus treiben.
Aus einem Notfall wird Normalität: El Salvador und Honduras
Anfang Oktober dieses Jahres haben sowohl El Salvador als auch Honduras den in beiden Ländern verhängten „Ausnahmezustand“ verlängert. Für El Salvador war es seit März 20200 bereits die 31. Verlängerung des politischen Notstands, der eine zentrale Säule der Strategie der Zwangsbefriedung ist: Durch die Aussetzung grundlegender verfassungsmäßiger Rechte soll der Weg freigemacht werden für Masseninhaftierungen, tagtägliche Militär- und Polizeirazzien und die Zerschlagung von kriminellen Banden. Die große Popularität dieser Strategie ermöglichte im Februar 2024 die Wiederwahl von Präsident Bukele und festigte ihm den Weg hin zu einer immer autoritäreren Herrschaft. Studien und Analysen zeigen, dass der Ausnahmezustand längst nicht mehr im Sinne der Bürgerinnen und Bürger aufrechterhalten wird, sondern Teil eines autoritären Projekts von Bukele ist. Unter dem Deckmantel eines Notfalls lässt dieser abweichende Meinungen unterdrücken, bringt die Presse zum Schweigen und verfolgt soziale Bewegungen und Kritiker.
Abgesehen von der Bekämpfung krimineller Banden hat die Regierung derweil kaum Lösungen für die Alltagsprobleme der meisten Menschen gefunden. Im Gegenteil: Es wurden sogar Sozialleistungen abgebaut, während sich die Regierung vornehmlich darauf konzentrierte, das Land zu einem idealen Ziel für ausländische Investitionen zu machen, was zuweilen auch auf Kosten der politischen Rechte ging. Diese Tatsache belegt auch der aktuelle Bertelsmann Transformation Index (BTI), der über die vergangenen Jahre einen steilen und plötzlichen Rückgang in Bereichen wie „Versammlungsrecht“ und „Meinungsfreiheit“ feststellt.
Trotzdem gewinnt das Modell-Bukele mittlerweile auch in anderen Ländern der Region an Popularität, insbesondere in Argentinien, Costa Rica und Ecuador. Für viele scheint der autokratische Impuls näher zu liegen als die Aufrechterhaltung demokratischer Ideale, zumindest es um das Thema Sicherheitspolitik geht.
In Honduras versprach die erste Präsidentin des Landes, Xiomara Castro, den Menschen zwar einen Neuanfang. Bis dato hat sich dieser jedoch kaum bewahrheitet: das Land wird vielmehr weiterhin von schweren und komplexen Sicherheitsproblemen geplagt. Kriminelle Vereinigungen wie die Mara Salvatrucha und die 18th Street Gang üben weiterhin erhebliche Kontrolle aus, insbesondere in den Außenbezirken von Tegucigalpa und San Pedro Sula – und es gibt Anzeichen dafür, dass sie ihren Einflussbereich auch zunehmend auf die Küstengebiete des Landes und die Grenzgebiete in der Nähe von Guatemala und El Salvador ausweiten. Gleichzeitig blüht der Drogenhandel, der ebenfalls von kriminellen Gruppen und Banden kontrolliert wird, und Berichten zufolge nimmt der Koka-Anbau in dem Land mittlerweile wieder zu.
Zwar verpflichtete sich Castro nach ihrem Amtsantritt zunächst zu weitreichenden sicherheitspolitischen Reformen, inklusive der Stärkung der Strafverfolgungsbehörden, der Förderung einer gemeindebasierten Polizeiarbeit und der Bekämpfung der Korruption. Doch angesichts zunehmender innenpolitischer Sorgen und schwindender öffentlicher Unterstützung geriet dieser Ansatz schnell wieder in Vergessenheit. Nach dem Vorbild ihres salvadorianischen Amtskollegen rief Castro stattdessen einen „Krieg gegen das Verbrechen“ aus und verhängte in Tegucigalpa und San Pedro Sula einen Ausnahmezustand. Seit ihrer Einführung wurde diese Maßnahme wiederholt vom Kongress verlängert und auch auf andere Regionen des Landes ausgedehnt.
Wirkliche Erfolge kann die Präsidentin jedoch auch durch diesen Strategiewechsel noch nicht verbuchen. Vielmehr hat der Ausnahmezustand vielerorts zu Menschenrechtsverletzungen und einer Militarisierung der Polizei geführt, nicht aber zu einer Abnahme der Kriminalität. Stattdessen haben kriminelle Banden ihren Einflussbereich weiter ausgeweitet und Verbrechen wie Erpressung und Gewalt gegen Zivilisten gehen unvermindert weiter. Gleichzeitig nehmen die Spannungen innerhalb der Regierung weiter zu. So beschuldigte Präsidentin Castro zuletzt die Streitkräfte, Mitglieder des Kongresses und lokale Organisationen, hinter einem Putschversuch zu stecken. Die Stimmung im Land ist dementsprechend geladen, insbesondere da 2025 bereits die nächsten Wahlen anstehen.
Ein Leuchtturm der Hoffnung: Guatemala und ein demokratischer Weg zur Sicherheit
Die überraschende Wahl von Bernardo Arévalo und seiner Partei Movimiento Semilla in Guatemala war 2023 wiederum ein kleiner Hoffnungsschimmer für die Region. Arévalo legt in seiner politische Agenda einen starken Schwerpunkt auf die Bekämpfung der Korruption und orientiert sich in der Sicherheitspolitik an demokratischen Grundsätzen, die aus der Friedensvereinbarungen von 1996 hervorgehen. In diesem Sinne stellt seine Politik die Menschenrechte, die Rechtsstaatlichkeit und das Wohlergehen der guatemaltekischen Bevölkerung in den Vordergrund. Um diese Ziele zu erreichen, schlägt seine Partei umfassende Reformen des Sicherheitssektors vor, darunter die Professionalisierung der Sicherheitskräfte und die Stärkung der Ermittlungs- und Geheimdienstkapazitäten. Die Umsetzung dieser Politik stößt bislang allerdings auf erhebliche Hürden und insbesondere auf den Widerstand antidemokratischer Militärs und Eliten.
Dieser vielschichtige Ansatz steht in krassem Gegensatz zu den Mano-Dura-Strategien und dem Bukele-Modell, das in immer mehr anderen Ländern Anwendung findet. Während Arevalos Politik den Schwerpunkt auf Gewaltprävention, die Bekämpfung der Ursachen von Gewalt und die Stärkung demokratischer Institutionen legt, setzt Bukele auf die Aussetzung und Einschränkung verfassungsmäßiger Rechte und Freiheiten, die Einführung von neuen Straftatbeständen, massive Inhaftierungen und die Militarisierung der Strafverfolgungsbehörden. Während Arevalo das Friedensabkommen von 1996 als Leitfaden für ein demokratisches Verständnis von Sicherheit heranzieht, hat Bukele diese Strategie offen kritisiert. Man kann dementsprechend mit Fug und Recht behaupten, dass Guatemala und El Salvador derzeit die Extreme der gegensätzlichen Ansätze zur Bewältigung der Sicherheitskrise in der Region darstellen.
Die Auswirkungen von Trumps Rückkehr ins Weiße Haus
Derweil steht den demokratischen Kräften in der Region bereits die nächste Krise ins Haus: die zweite Amtszeit von Donald Trump in den USA. Immerhin hat schon Trumps erste Amtszeit gezeigt, dass eine einwanderungsfeindliche Politik und Massenabschiebung zentrale Bestandteile seiner Ideologie sind. Trump drohte schon damals damit, Hunderte von Millionen US-Dollar an Hilfsgeldern zurückzuhalten und den Handel mit El Salvador, Guatemala und Honduras einzuschränken, wenn die dortigen Regierungen ihre Bürgerinnen und Bürger nicht von Auswanderung in Richtung Nordamerika abhielten. Außerdem setzte er mehrere Asylkooperationsabkommen durch und setzte Programme zur Bekämpfung der Korruption und zur Unterstützung gefährdeter Gemeinschaften in der Region aus. Zwar ist die derzeitige Situation weiterhin unklar. Es scheint angesichts dieser Erfahrungen jedoch nur logisch, dass Trumps zweite Amtszeit für die Demokratie in Zentralamerika nichts Gutes verheißt – und eine in autoritären Tendenzen verankerte Sicherheitspolitik unter seiner Ägide weiter im Aufwind sein wird.