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Pagoda at Yangon, Myanmar, Burma, Pagode in Yangon, Myanmar, Birma. Lizenziert am 19.12.2024 in einer KONZERN-Lizenz für ST-W ID-2498 | Fotos für den BTI-Blog

Myanmars Eskalierender Bürgerkrieg und die Grenzen Chinesischer Interventionen

Nach mehr als einem Jahr der Eskalation in Myanmar versucht China in den Bürgerkrieg in seinem Nachbarland einzugreifen. Einem Teil der Menschen vor Ort könnte das eine   vorübergehende Atempause verschaffen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass eine chinesische Intervention die Krise beendet, die Myanmar in den humanitären, politischen und wirtschaftlichen Zusammenbruch gestürzt hat. 

Die derzeitige Krise in Myanmar begann, nachdem General Min Aung Hlaing im Februar 2021 die demokratisch gewählte Regierung durch einen Putsch abgesetzt hatte. Seitdem hat sich das Land mit Blick auf alle politischen, wirtschaftlichen und Governance-Indikatoren verschlechtert, wie auch der aktuelle Bertelsmann Transformation Index (BTI) belegt. Fortschritte, die das Land in den vorangegangen zehn Jahren erzielt hatte, wurden jäh zunichte gemacht.  

Der Putsch durch Min Aung Hlaing stieß in Myanmar auf landesweiten Widerstand, der als Frühlingsrevolution bekannt wurde. Der Versuch des Militärs, diese Bewegung zu terrorisieren und zu unterdrücken, trieb in der Folge Zehntausende von Revolutionären dazu, zu den Waffen zu greifen und sich den Volksverteidigungskräften, den Einheiten der People’s Defence Force (PDF), anzuschließen. Ausschlaggebend für diese Mobilisierung war die Unterstützung durch seit langem bestehende ethnonationale Rebellenbewegungen. Viele dieser rund 20 Organisationen, auch als Ethnic Armed Organisations (EAO) bekannt, kämpfen für die Autonomie und die Rechte ethnischer Minderheiten, die in Myanmar seit Jahrzehnten an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Im Laufe des Konflikts haben einige EAOs sich mittlerweile signifikante Einflussbereiche innerhalb des Landes gesichert und „Staaten innerhalb des Staates“ aufgebaut. Wie der BTI 2024 feststellt, war „das Gewaltmonopol des Staates schon vor dem Staatsstreich nur in Zentralmyanmar und in wenigen Gebieten ethnischer Minderheiten etabliert“. Die gegenwärtige Krise ist dementsprechend nicht nur in einen schon langen andauernden bewaffneten Konflikt eingebettet, sondern hat sich auch nochmal verschärft, seit EAOs im vergangenen Jahr mit offensiven Kampagnen begonnen haben.  

In der direkten Phase nach dem Putsch versuchten sich die meisten EAOs aus dem Konflikt zwischen dem Militär und der pro-demokratischen Bewegung herauszuhalten. Immerhin geht es ihnen um mehr als das politische System: Ihr Kampf gilt der Struktur des postkolonialen Nationalstaates an sich. Die Tatsache, dass die vom Militär gestürzte Regierung von Aung San Suu Kyi’s National League for Democracy (NLD) den Interessen der EAOs kaum nachgekommen ist, desillusionierte diese mit Blick auf die pro-demokratische Bewegung jedoch nachhaltig. Nur einige wenige EAOs, wie Karen, Kachin, Karenni und Chin Bewegungen, verbündeten sich 2021 mit den PDF-Kräften und der oppositionellen Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG) gegen die Junta. Seitdem haben sich die Beziehungen zwischen den EAO, den PDF und der Frühlingsrevolution aber erheblich weiterentwickelt: Die PDFs haben ihre Fähigkeiten verbessert, und die EAOs – auch solche, die nicht mit der NUG verbündet sind – haben strategische Beziehungen zu PDF-Kräften aufgebaut. Mitte 2023 hatten sich die militärischen Verhältnisse geändert. Im Oktober 2023 eroberten die „Drei-Brüder-Allianz“, zu der auch die Ta’ang National Liberation Army (TNLA) und die Myanmar National Democratic Alliance Army (MNDAA) der Kokang Minderheit und ihre Verbündeten gehören, den größten Teil des nördlichen Shan-Staates, ein Gebiet der Größe Belgiens, einschließlich strategischer Handelswege und städtischer Zentren. Dieser Vorstoß hat die bewaffneten Oppositionskräfte im ganzen Land gestärkt, die der Junta seitdem auch andere strategisch wichtige Gebiete, darunter mehr als 80 Städte, abgerungen haben 

Schwere Waffen und schwere Metalle 

In Zentral- und Südost-Myanmar sind diese Gewinne weitgehend schrittweise erfolgt. Die mit der TNLA verbündeten PDF-Kräfte festigten ihre Positionen um Mandalay, Myanmars zweitgrößte Stadt. Verbände der Karenminderheit und PDFs, die von der Karen National Liberation Army (KNLA) angeführt werden, kämpften entlang der Grenze zu Thailand weiter gegen die Junta, mussten aber Rückschläge hinnehmen. So etwa auch in Myawaddy, wo es dem Regime gelang, sich mit Hilfe einer verbündeten Miliz an der Macht zu halten. Die Lage in Myanmars zentraler Anyar-Region ist chaotischer, da die extreme Zersplitterung der PDF-Kräfte zu Chaos und Kämpfen zwischen Oppositionsgruppen geführt hat. Im Westen und Norden Myanmars hingegen haben EAO-Kräfte im vergangenen Jahr weiter dramatische Geländegewinne erzielt. Seit November 2023 hat die Arakan Army (AA) den nördlichen Rakhine-Staat an der Grenze zu Bangladesch in erbitterten Kämpfen erobert, bei denen es auf allen Seiten viele Tote und glaubwürdigen Berichten auch entsetzliche Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung gab. Der Schauplatz Rakhine zeigt, wie die zunehmende Verwendung schwerer Waffen auf Seite der Rebellen die Kriegsführung in Myanmar verändert hat. Während sich die bewaffneten Oppositionskräfte traditionell auf Guerilla-Operationen stützten, hat die Eroberung und der Einsatz schwerer Waffen, einschließlich Artillerie und gepanzerter Fahrzeuge, die aktuellen Offensiven der Rebellen um ein Element der konventionellen Landkriegsführung erweitert.  

Dies gilt auch für den hohen Norden des Landes, wo die Kachin Independence Army (KIA) ihre Kontrolle über den strategisch wichtig gelegenen und rohstoffreichen Kachin-Staat zwischen Indien und China ausgeweitet hat. Dazu gehören Grenzübergänge zu China, die lukrativen Jade-Minen von Hpakant und Myanmars größte Abbaustätten für Seltenerdmetalle in einer Region, die zuvor von einer mit der Junta verbündeten Miliz kontrolliert wurde. Myanmar hat sich schnell zu einer der weltweit größten Quellen für schwere Seltenerdmetalle entwickelt, deren Export nach Schätzungen von Global Witness im Jahr 2023 einen Wert von 1,4 Milliarden US-Dollar hatte. Diese unregulierte und umweltschädliche Industrie wird durch die weltweite Nachfrage nach grüner Energie angekurbelt und ist auch für Chinas Wirtschaft von zentraler Bedeutung. Es bleibt abzuwarten, wie die KIA diese Standorte verwalten wird. Zweifelsohne erhöht diese Entwicklung aber den Druck auf China, sich stärker in den Konflikt einzumischen. 

Zunehmende chinesische Interventionen 

Im vergangenen Jahr hat sich China den Vorstößen der Rebellen an seiner Grenze nicht widersetzt, obwohl es die Militärjunta offiziell unterstützt. Die Drei-Brüder-Allianz pflegt seit langem Beziehungen zu China und hat geschworen, chinesische Interessen zu schützen. So nahm sie auch einen Cyberkriminalitätskomplex ins Visier, der sich gegen chinesische Bürger richtet. Ein Jahr später änderte China aus Sorge um seine strategischen Investitionen wie die Gas- und Ölpipeline, die die geostrategisch wichtige Straße von Malakka umgeht, seinen Kurs. Jetzt versucht es, den Vormarsch der Rebellen zu stoppen. Peking bekräftigte die diplomatischen Beziehungen zu Naypyidaw, erhöhte die Waffenlieferungen an die Junta, schloss die Grenzübergänge, um die Nachschubwege der Rebellen zu unterbrechen, und verhandelte über den möglichen Einsatz privater Militärunternehmen zur Sicherung seiner Investitionen. Chinesische Beamte üben gegenwärtig Druck auf die Allianz und die KIO aus, um diese zur Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen mit der Junta zu bewegen. Alle vier Gruppen haben im Dezember hochrangige Delegationen nach China entsandt. In den 1990er und 2000er Jahren brachten Waffenstillstände in dieser Region Stabilität, wirtschaftliche Vorteile für die Eliten aller Seiten und ein gewisses Maß an politischer Autonomie, ohne jedoch die eigentlichen Ursachen des Konflikts zu beseitigen. Stattdessen ermöglichten sie eine zunehmende Territorialisierung des militärischen Staatsapparats und die ungezügelte Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Dies führte in den 2010er-Jahren zu einem erneuten Kriegsausbruch. 

Die Ausgangssituation für Verhandlungen ist jetzt eine andere: Das Militär verhandelt aus einer Position der Schwäche. Die TNLA, die MNDAA, die AA und die KIA haben wiederum alle Trümpfe in der Hand. Dass könnte zu günstigeren Ergebnissen für die EAOs führen und somit in ihrem Interesse sein. Die Dynamik auf dem Schlachtfeld deutet jedoch nicht darauf hin, dass die Zeit für sinnvolle Verhandlungen bereits reif ist. Während hochrangige KIA-Führer sich derzeit mit chinesischen Beamten treffen, haben KIA-Verbände Berichten zufolge eine Offensive in Bhamo, der zweitgrößten Stadt des Kachin-Staates, gestartet. Dies könnte ein Vorgriff auf einen künftigen Waffenstillstand sein. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob China genügend Druck ausüben kann, um künstlich eine für beide Seiten unzufriedenstellende Pattsituation herbeizuführen. Ohne diese ist eine dauerhafte Lösung am Verhandlungstisch unwahrscheinlich. Chinesische Sicherheitskräfte haben den MNDAA-Kommandeur Peng Daxun buchstäblich entführt, um die Gruppe zu Gesprächen zu zwingen. Dieser Ansatz zur Erzwingung von Verhandlungen und das Scheitern eines anderen, von China vermittelten Waffenstillstands Anfang dieses Jahres erwecken kaum Vertrauen. Ohne grundlegende Zugeständnisse seitens der Junta scheint es vor diesem Hintergrund eher unwahrscheinlich, dass Chinas neue Initiative mehr als einen vorübergehenden und regional begrenzten Waffenstillstand bewirken kann.  

Die derzeitigen Gespräche zwischen den EAOs und chinesischen Beamten werden sich daher nicht nur um Waffenstillstandsverhandlungen zugunsten der Junta drehen. Gegebenenfalls kann Peking die MNDAA zur Rückgabe von Lashio zwingen, die vielen weitergehenden Gebietsverluste der Junta wird man jedoch nicht alle rückgängig machen können. Das verschafft den EAOs wiederum auch ein Druckmittel gegenüber China. So stellte die KIA zuletzt etwa als Reaktion auf die chinesische Grenzschließung die Exporte seltener Erden nach China ein. Derweil nähern sich die Streitkräfte der AA Kyaukphyu, wo Peking Milliarden von US-Dollar in einen strategischen Tiefseehafen im Golf von Bengalen investiert hat. Nachforschungen haben ergeben, dass die AA die chinesische Megaprojekte im Bundesstaat Rakhine nicht grundsätzlich ablehnt, sondern chinesische Interessen pragmatisch gegenübersteht. Immerhin ist die Zusammenarbeit zwischen EAOs und China bei vielen Wirtschaftsprojekten und mit Blick auf andere grenzübergreifende Belange bereits seit langem Realität. Bei den Gesprächen in China dürfte es daher auch darum gehen, gegenseitige Vereinbarungen über die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen China und den EAOs zu entwickeln. Es sieht deshalb nicht so aus, als ob sich Peking, wie von einigen Beobachtern argumentiert, nun endgültig hinter die Junta gestellt hat. Wahrscheinlicher ist es, dass China sich in einer Situation, die es nicht unter Kontrolle hat, weiterhin versucht nach allen Seiten abzusichern. 

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