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Government Buildings set on fire in Nepal protest, Kathmandu, nepal on september 10th 2025. © YESHWANTH – stock.adobe.comLizenziert am 20.11.2025 in einer KONZERN-Lizenz für ST-DZ ID-2895 | BTI-Blog Nepal-Blogartikel, in dem es um die Jugendproteste und Absetzung der Regierung

Die Retter einer zerbrochenen Demokratie? Was die „Gen Z”-Proteste für Nepal bedeuten

In Nepal hat eine Jugendrevolte einen digitalen Widerstand im ganzen Land ausgelöst, den Premierminister gestürzt, und die erste von einer Frau geführte Übergangsregierung des Landes ins Amt gebracht. Die Zukunft der Nation ist aber noch längst nicht besiegelt: Sie hängt von den bevorstehenden Wahlen im Januar ab – und davon, ob die Widerstandsbewegung es von der Straße ins Parlament schafft.

In der ersten Septemberwoche 2025 war Kathmandu nicht die ruhige Hauptstadt im Himalaya, die sich die Welt gerne ausmalt. Stattdessen versammelten sich auf den Straßen Zehntausende junge Menschen, die statt Fahnen ihre Smartphones in die Höhe streckten. Verstärkt durch Livestreams erreichten ihre Sprechchöre bald jeden Winkel des Landes. Von Pulchowk bis Maitighar Mandala, von Pokhara bis Dharan entlud sich der Zorn der jüngsten Bürger des Landes – nicht nur gegen ihre Regierung, sondern gegen ein politisches System, das sie seit Jahrzehnten im Stich gelassen hatte.

Schnell breiteten sich die Proteste über den digitalen Raum hinaus aus und schwappten auf die Straßen. Die staatlich verhängten Internetbeschränkungen – ursprünglich dazu gedacht, abweichende Meinungen zu zensieren – befeuerten das Wachstum der Bewegung nur noch zusätzlich. Was folgte, war ein Wendepunkt in der politischen Geschichte Nepals nach der Monarchie: der Sturz der Regierung von Premierminister K.P. Sharma Oli am 9. September. Zum ersten Mal zwang eine von Jugendlichen getragene Bewegung, die sich hauptsächlich über dezentrale Online-Plattformen organisierte, eine amtierende Regierung zum Rücktritt.

Das Reformversprechen ist verblasst

Der Aufstand – heute oft als „Gen-Z”-Revolution bezeichnet – war mehr als nur ein Protest. Er war ein öffentliches Urteil über die Korruption, die Arbeitslosigkeit und die staatlichen Versäumnisse einer fragilen Demokratie. In einem Land, in dem über die Hälfte der Bevölkerung unter 30 Jahre alt ist, deckte er die Widersprüche auf zwischen einer global vernetzten Jugend und einer Elite, die mit veralteten analogen Regierungsformen verwachsen ist.

In den letzten Jahren und Monaten war das Versprechen der Verfassung von 2015 – einst als fortschrittlicher Entwurf für eine neue föderale Demokratie gepriesen – zusehends verblasst. Stattdessen entwickelte sich ein immer stärkeres föderales Gerangel um Ressourcen und die Politik der großen Parteien – die Kommunistische Partei Nepals, der Nepalesische Kongress und das Maoistische Zentrum – drehte sich immer mehr um sich selbst und die Eliten des Landes. Wie der Bertelsmann Transformation Index (BTI) zeigt, hat Nepal in dieser Zeit bei Indikatoren wie „Parteiensystem“, „Leistungsfähigkeit demokratischer Institutionen“ und „Verfolgung von Amtsmissbrauch“ kaum oder keine Fortschritte erzielt. Politische Rechenschaftspflicht gab es etwa kaum und Vorwürfe wegen Amtsmissbrauchs wurden nur selten konsequent untersucht oder gar strafrechtlich verfolgt.

Das Resultat dieser Entwicklungen: die gebildete, technikaffine und global vernetzte Generation Z in Nepal war zunehmend desillusioniert. Die Jugend sah sich mit einem zusammenbrechenden Arbeitsmarkt, grassierender Korruption und einem Bildungssystem konfrontiert, das von Politisierung und veralteten Lehrplänen geprägt ist.Doch Gen Z verfügt über Mittel, die keine Generation vor ihr besaß.Anfang 2025 hatte die Internetdurchdringung in Nepal laut der nationalen Telekommunikationsbehörde bereits 73 Prozent erreicht, mit über 14,3 Millionen aktiven Nutzern sozialer Medien. Und die jungen Nepalesen nutzten ihre neu gewonnene Macht. Im digitalen Bereich bauten sie Gemeinschaften auf, die über Parteigrenzen und Provinzgrenzen hinweg funktionierten, und in denen Ideen von Rechenschaftspflicht und Transparenz florierten.

Ausgangssperren, Menschenmengen und Olis Rücktritt

Der unmittelbare Auslöser für die Eskalation kam Ende August 2025, als die Oli-Regierung Änderungen an der Gesetzgebung zu Informationstechnologie und Cybersicherheit ankündigte. Der Gesetzesentwurf gewährte dem Staat weitreichende Befugnisse zur Überwachung von Online-Aktivitäten, zur Sperrung „anti-nationaler Inhalte“ und zur Inhaftierung von Personen wegen „Verbreitung von Falschinformationen“. Kritiker sahen darin einen drakonischen Versuch, im Vorfeld geplanter Proteste gegen Arbeitslosigkeit und Inflation abweichende Meinungen zu unterdrücken.

Als die Regierung dann am 4. September den Zugang zu 26 Social-Media-Plattformen – darunter Facebook, YouTube und X – einschränkte, begann der Hashtag #FreeTheNetNepal zu trenden. Die virtuelle Empörung schwappte auf die Straßen über, wo Demonstranten Plakate mit der Aufschrift „Digitale Freiheit ist unsere Demokratie“ schwenkten. Bis zum 8. September wurden mehr als 400 Demonstranten festgenommen, und Videos von Polizisten, die Studenten schlugen, verbreiteten sich viral. Noch in derselben Nacht entstand eine dezentrale Koalition, die zwar ohne Anführer, aber dennoch koordiniert war und sich über VPNs und private Server organisierte.

Einen Tag später glich Kathmandu einer belagerten Stadt. Es wurden Ausgangssperren verhängt, doch die Menschenmassen widersetzten sich. Die Demonstrationen breiteten sich auf Pokhara, Biratnagar, Nepalgunj und Dhangadhi aus, und die Regierung Oli, die zunächst die Bereitschaftspolizei einsetzte, erkannte bald, dass sie einen aussichtslosen Kampf führte. Drei Kabinettsminister traten zurück, und die Oppositionsparteien demonstrierten seltene Einigkeit, indem sie den Rücktritt des Premierministers forderten. Selbst die nepalesische Armee wandte sich von der Regierung ab, indem sie ein Eingreifen ablehnte, und bestand darauf, dass die Proteste keine „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ darstellten.

Am 9. September trat Oli zurück. Drei Tage später löste Präsident Ram Chandra Paudel das Kabinett auf und ernannte nach Konsultationen mit politischen Führern und Vertretern der Zivilgesellschaft die ehemalige Oberste Richterin Sushila Karki zur Leiterin einer technokratischen Übergangsregierung.

Eine Anti-Korruptions-Aktivistin tritt ihr Amt an

Sushila Karki ist die erste Premierministerin Nepals. Schon vor ihrer Ernennung wurde sie für ihre Unabhängigkeit und ihre Arbeit gegen Korruption respektiert. Ihr überparteiliches gutes Image machte sie sowohl für die politische Elite als auch für die jungen Demonstranten zu einer akzeptablen Kandidatin.

Einmal an der Spitze machte Karki direkt deutlich, dass sie ihr Mandat als dreiteilige Aufgabe versteht. Sie kündigte entsprechend an, dass ihre Aufgabe darin bestehen werde, das Land zu stabilisieren, staatliche Gewalt und Korruption zu untersuchen und bis zum 5. März 2026 freie und faire Wahlen zu organisieren. Als eine ihrer ersten Maßnahmen hob sie die Änderungen des Cybersicherheitsgesetzes auf und ordnete die Freilassung inhaftierter Demonstranten an. Der Internetzugang wurde vollständig wiederhergestellt, und ihre Regierung richtete die Digital Accountability Commission ein, eine Behörde, die mit der transparenten Regulierung des digitalen Raums betraut ist.

In ihrer ersten nationalen Ansprache erklärte Karki: „Wir werden die Ordnung durch Recht und Gesetz wiederherstellen, nicht durch Angst. Wir werden mit Transparenz wiederaufbauen, nicht mit Korruption.“

Der Wiederaufbau eines zerbrochenen Staates

Bislang hat Karki dieses Versprechen gehalten und regiert eher durch Dialog als durch Dekrete. Sie hat sich mit den Ministerpräsidenten aller sieben Provinzen getroffen, um die Zusammenarbeit für die bevorstehenden Wahlen sicherzustellen, und sie hat einen historischen Dreiparteiendialog zwischen etablierten politischen Parteien, Vertretern der Generation Z und Regierungsbeamten einberufen, in dem dreizehn Jugenddelegierte Vorschläge für Bildungsreformen, Transparenz in der digitalen Regierungsführung und Programme zur Jugendbeschäftigung vorstellen konnten.

Unterdessen hat der Wiederaufbau auf lokaler Ebene begonnen. Mehr als 90 Prozent der in den Protesten zerstörten Polizeiposten wurden unter Beteiligung der Bevölkerung wieder aufgebaut, und zivilgesellschaftliche Gruppen haben Freiwilligenaktionen gestartet, um die beschädigten Stadtteile von Kathmandu und Pokhara wieder instand zu setzen. Karkis Regierung hat außerdem eine nationale Integritätsprüfung eingeleitet, um den Missbrauch von Entwicklungsgeldern unter der vorherigen Regierung zu untersuchen, und mehrere hochrangige Beamte suspendiert. Schätzungen zufolge hat die Korruption unter Oli Schäden in Höhe von mehr als 150 Billionen nepalesischen Rupien verursacht – eine Summe, die rund viermal so hoch ist wie der jährliche Staatshaushalt Nepals.

Auch mit Blick auf die Wahlen wurden Fortschritte erzielt: Zuletzt bestätigte die nepalesische Wahlkommission, dass die Vorbereitungen für die Parlamentswahlen am 5. März 2026 fast abgeschlossen seien. Berichten zufolge sind über 90 Prozent der Wahlvorbereitungen getroffen, allerdings bleibt die Einbeziehung der im Ausland lebenden Nepalesen aufgrund technischer Schwierigkeiten ungeklärt.

Schmerzhafte Erneuerung statt Tod der Demokratie

Dennoch wird der Weg, der vor Karki – und vor dem Land – liegt, mit politischen und praktischen Herausforderungen gepflastert sein. Seit den Protesten ist die Arbeitslosigkeit, die bereits zuvor mit 17 Prozent einen Rekordwert erreicht hatte, weiter gestiegen, da viele Unternehmen schließen mussten. Die Nationale Planungskommission hat gewarnt, dass das Land ohne rasche Reformen mit einer Abwanderung von einer Million Arbeitnehmern pro Jahr konfrontiert sein könnte, von denen viele zunehmend eine bessere Zukunft im Ausland suchen.

Die größere Herausforderung ist jedoch die politische Legitimität. Während die traditionellen nepalesischen Parteien das Vertrauen der Menschen verloren haben, bleibt die Gen-Z-Bewegung politisch unstrukturiert. Ob sie die Energie der Straßenproteste in organisierte Machtstrukturen umsetzen kann, bleibt ungewiss. Ein positives Zeichen ist, dass Karki die Bewegung bereits selbst zur Institutionalisierung ermutigt hat. Derzeit finden entsprechende Gespräche über die Bildung einer neuen Allianz, der „Citizen Justice Front”, statt. Sie soll digitale Aktivisten, Studentenführer und unabhängige Bürgermeister zusammenbringen. Wenn das gelingt, könnte diese Koalition zum ersten Mal seit Jahrzehnten ein echter Herausforderer der großen Parteien werden.

Bereits heute ist klar, dass die Wahlen 2026 die folgenreichsten Wahlen Nepals seit 1990 sein werden – nicht nur ein Kampf um die Macht im Land, sondern eine Entscheidung über die Zukunft der Nation. Wenn es der Regierung Karki gelingt, einen transparenten Wiederaufbau und faire Wahlen zu gewährleisten, könnte Nepal gestärkt daraus hervorgehen. Wenn sie jedoch in alte Gewohnheiten verfällt, könnte sich der selbstzerstörerische Kreislauf der Vergangenheit wiederholen.

Im November 2025 steht Nepal an einem Scheideweg – angeschlagen, ärmer, aber politisch erwacht. Es liegt nun an der Übergangsregierung und der Zivilgesellschaft, eine Zukunft zu gestalten, in der der Aufstand von 2025 nicht als Ende der Demokratie, sondern als Beginn einer Erneuerung in Erinnerung bleibt – als notwendiges Feuer, durch das eine desillusionierte Nation wieder begann, von Fairness, Würde und Reformen zu träumen.

Zuerst veröffentlicht auf The Asia Live

 

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