Transatlantischer Dialog VI – Globale wirtschaftliche Unsicherheit: Den Corona-Schock bewältigen

Die sechste Veranstaltung der transatlantischen Dialogreihe „Troubling Trends in Transformation“ des BTI-Projekts, die von der Bertelsmann Foundation North America (BFNA) mitveranstaltet wurde, beschäftigte sich mit den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der COVID-19-Pandemie und mit der Frage, wie Regierungen und die internationale Gemeinschaft reagieren sollten, um diesen Schock abzufedern.

Die Ergebnisse des Transformationsindex BTI 2020 zur wirtschaftlichen Transformation waren schon vorher düster. Hauke Hartmann (BTI) bezeichnete die Ergebnisse des BTI als „eine notwendige Erinnerung daran, wie angeschlagen viele Volkswirtschaften in den Entwicklungsländern bereits waren, wie hoch verschuldet viele Staaten bereits vor der Pandemie waren und wie anhaltend soziale Ungleichheit in vielen Gesellschaften große Teile der Bevölkerung an den Rand drängt“.  Eine im weltweiten Durchschnitt unzureichende Wirtschaftsleistung, gepaart mit einer drohenden Schuldenkrise in vielen Ländern, ging einher mit nur teilweise freien und oft unfairen Markt- und Wettbewerbsbedingungen. Diese Kombination hatte wenig Hoffnung gelassen, dass die sozioökonomische Marginalisierung großer Teile der Bevölkerung aufgrund von Armut und Ungleichheit rasch überwunden werden könnte.

Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Ausbreitung von COVID-19 treffen somit viele Entwicklungs- und Schwellenländer, die völlig unvorbereitet sind, mit einem so großen Schock fertig zu werden. Hauke Hartmann kam zu dem Schluss, dass „das Ausmaß, in dem den Regierungen vor der Krise jeglicher finanzieller Spielraum fehlte, auch ihre begrenzte Fähigkeit zu einem wirksamen Management in der Krise verdeutlicht.“

In diesem Sinne bezeichnete Rolf Langhammer (Kieler Institut für Weltwirtschaft) die Pandemie als eine „erschreckende Kombination globaler Nachfrage- und Angebotsschocks, die die Lebensbedingungen aller Menschen in den Entwicklungsländern verschlechtern werden, jedoch in sehr unterschiedlichem Ausmaß.“ Für ihn ist die übergeordnete Bedrohung eine „große soziale Kluft“ als wahrscheinliche Folge der Krise. Er differenzierte, indem er an die Kluft zwischen Freizeitindustrien / kundenorientierten Dienstleistungen und der landwirtschaftlichen / verarbeitenden Produktion (letztere weniger betroffen), die Kluft zwischen denjenigen, die in globalen Lieferketten arbeiten, und denjenigen, die in der binnenorientierten Produktion tätig sind (letztere wiederum weniger betroffen), sowie an die wachsende „digitale Kluft“ erinnerte. Er warnte davor, zu viel von China zu erwarten (anders als nach 2008) und merkte an, dass Geschwindigkeit und Zeitspanne der Erholung bisher ungewiss sind. „Zurück an die Arbeit“ (Produktion) werde wahrscheinlich früher kommen als „Zurück zum Spiel“ (Konsum), mutmaßte er. Als Gegenmaßnahmen forderte er einen Schuldenerlass, eine Reduzierung protektionistischer Maßnahmen durch die G-20 und eine stärkere Konzentration der Entwicklungszusammenarbeit auf Systeme der primären Gesundheitsversorgung. Als eine langfristige Folge der Krise sagte er die Rückkehr des starken Staates voraus.

Ebenso hielt Carmen Reinhart (Weltbank) eine V-förmige Wirtschaftserholung für unwahrscheinlich und warnte davor, „Entlastungen mit Genesung zu verwechseln“. Sie stimmte der düsteren Vor-Korona-Diagnose des BTI 2020 zu, indem sie die sich entfaltende Krise als „doppelten Schock“ bezeichnete, nämlich einen Rohstoffpreisschock und einen Pandemie-Schock, und erinnerte daran, dass „die Ausgangsbedingungen vor dieser Krise in vielen Ländern sehr viel schwächer waren als die Ausgangsbedingungen vor der Krise 2008/2009“. Sie lobte mehrere Krisenmaßnahmen und stellte fest, dass „der IWF und die Weltbank eine Rekord-Kreditvergabe in über 100 Ländern durchgeführt haben“, billigte antizyklische geldpolitische Maßnahmen, die zum ersten Mal in mehreren Schwellenländern ergriffen wurden, warnte aber dennoch davor, dass „mit dem Fortbestehen des Schocks unser Instrumentarium begrenzter wird“. Sie stellte fest, dass die Armut nach den Angaben der Weltbank zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder zunimmt, und bezeichnete dies als „einen großen Rückschlag“ und dass in der Tat „dieses Mal wirklich alles anders ist“.

Teilnehmer

Rolf J. Langhammer
Fellow und ehemaliger Vizepräsident, Kieler Institut für Weltwirtschaft

Carmen M. Reinhart
Vizepräsidentin für Entwicklungsökonomie und Chefökonomin der Weltbankgruppe

Hauke Hartmann (Einführung)
Senior Expert, Transformationsindex BTI, Bertelsmann Stiftung

Anthony Silberfeld (Moderator)
Director, Transatlantic Relations, Bertelsmann Foundation North America

Über die Dialogreihe:

Die Dialogreihe „Troubling Trends in Transformation“, die gemeinsam von der Bertelsmann Foundation North America (BFNA) und der Bertelsmann Stiftung ausgerichtet wird, will die Erkenntnisse eines unruhigen Jahrzehnts sowohl regional als auch thematisch vertiefen. In Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Institutionen und gut vernetzten Think Tanks in der ganzen Welt diskutieren wir die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen für politische und wirtschaftliche Transformation. Die Ergebnisse des BTI dienen als Ausgangspunkt für eine breitere Debatte darüber, wie Demokratie, Marktwirtschaft und gute Regierungsführung in einer Welt nach der Corona-Pandemie gestärkt werden können.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert