Die G20 wird zwanzig: Zeit für eine Bilanz des Multilateralismus
Am 30. November 2018 treffen sich Staats- und Regierungschefs in Buenos Aires zum diesjährigen G20-Gipfel, um gemeinsame Lösungen für globale Herausforderungen zu diskutieren. Doch die internationale Zusammenarbeit steht momentan unter keinem guten Stern. Von den Pariser Klimaverträgen bis zum UN-Migrationspakt höhlen nationale Alleingänge zunehmend globale Zusammenarbeit aus. Eine internationale Umfrage zeigt jedoch: Die Mehrheit der Bürger fordert mehr Mut zum Multilateralismus.
Die internationale Zusammenarbeit steht unter Druck: Populisten in verschiedenen Ländern fordern eine Rückbesinnung auf das Nationale und den Rückzug aus internationalen Organisationen. Die Brexit-Kampagne, der Ruf „America First“ und die kontroversen Diskussionen um den UN Compact for Migration sind nur die bekanntesten Beispiele. Doch auf die Befürworter internationaler Zusammenarbeit formieren sich; so fordert der deutsche Außenminister Heiko Maas gemeinsam mit Kanada und Japan eine neue „Allianz der Multilateralisten“. Die politische Diskussion scheint polarisiert – doch wie schauen Bürger auf diese Frage? Wie wichtig ist Ihnen internationale Zusammenarbeit bei der Lösung gemeinsamer globaler Probleme? Wie präsent ist dieses Thema in der öffentlichen Debatte? Und wie stehen die Bürger der G20, als einem zentralen Forum der internationalen Koordination, gegenüber? Aufschluss gibt eine international vergleichende Umfrage in Argentinien, Deutschland, Großbritannien, Russland und den USA.
Zusammen ist man weniger allein: Hohe Zustimmung zu internationaler Zusammenarbeit
Von einem Ende des Zeitalters des Multilateralismus ist zumindest bei den Bürgern nichts zu spüren. Es gibt eine sehr hohe grundsätzliche Zustimmung zu internationaler Zusammenarbeit: 83 Prozent der Bürger fordern von ihren Regierungen, bei der Lösung gemeinsamer globaler Problemen zusammenzuarbeiten. Klimawandel, Migration und (Cyber‑)Terrorismus – kein Staat allein kann wirksame Antworten auf diese und viele andere grenzüberschreitende Herausforderungen finden. Selbst in den USA, dem Land mit der niedrigsten Zustimmung zu dieser Aussage, sind sich knapp drei Viertel (73 Prozent) sicher, dass Staaten gemeinsam handeln sollten. In Großbritannien und Deutschland schließen sich über 80 Prozent dieser Meinung an: in Großbritannien 82 Prozent und in Deutschland 85 Prozent. In Argentinien und Russland übertrifft die Zustimmung sogar die 90-Prozent-Marke.
Diese Unterstützung kehrt sich auch dann nicht ins Gegenteil, wenn das eigene Land einmal nicht auf der Gewinnerseite steht, sondern stattdessen Opfer bringen muss. Die Zustimmung ist zwar niedriger, aber die Mehrheit ist sich im Klaren, dass man bereit sein muss, kurzfristige Nachteile für das eigene Land in Kauf zu nehmen. Mehr als die Hälfte (58 Prozent) der Befragten äußern ihre Unterstützung für das (temporäre) Zurückstecken des eigenen Landes zugunsten eines „globalen Gemeinwohls“.
Die Unterstützung für die Idee des Multilateralismus ist also hoch. Doch kann diese Idee auch mit Leben gefüllt werden und ebenso hohe Zustimmungswerte erlangen? Wie sieht es mit der G20 als einem der zentralen internationalen Koordinationsgremien aus? Die G20 steht kurz vor ihrem zwanzigsten Geburtstag – Grund genug, Bilanz zu ziehen.
Verhaltene Unterstützung für die G20
Insgesamt haben die Bürger ein eher positives Bild von der G20: Etwas weniger als die Hälfte (45 Prozent) ist ihr gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt. Nur bei jedem Fünften (20 Prozent) überwiegt das Negative. Die Bilder von Protestaktionen bei den Gipfeltreffen zeigen also nur einen kleinen, wenn auch lauten Ausschnitt der Gesellschaft. Bemerkenswert ist jedoch, dass ein Drittel der Bürger unsicher ist, was sie von der G20 halten. Sie haben sich noch keine Meinung gebildet.
Ein ähnliches Bild entsteht, fragt man nach der Einschätzung zur Qualität der Arbeitsergebnisse der G20: Erfüllt sie tatsächlich das Versprechen, globale Probleme zu lösen? 41 Prozent sind davon überzeugt, dass die G20 tatsächlich zur Lösung globaler Probleme beiträgt; nur gut ein Viertel (27 Prozent) glaubt das nicht. Doch auch hier hat sich fast ein Drittel noch keine Meinung gebildet und kann zu der Frage keine Einschätzung abgeben.
Die Analyse zeigt deutlich: Die stärksten Befürworter internationaler Zusammenarbeit und der G20 sind diejenigen Befragten, die der Meinung sind, dass Globalisierung einen positiven Effekt auf das eigene Leben hat. Je stärker diese Überzeugung, desto stärker auch die Unterstützung für Multilateralismus und je positiver die Bewertung der G20.
„G20 … wer?“ Geringe Präsenz der G20 und Fragezeichen bei der Akzeptanz
Eine Abfrage zum Wissen über und zur Bekanntheit der G20 ist ernüchternd, dürfte aber nicht überraschen. Das Wissen der Bürger zur G20 ist verschwindend gering. Zwar geben drei Viertel (74 Prozent) an, schon einmal von der G20 gehört zu haben, und mehr als ein Drittel (36 Prozent) glaubt sogar, sie erklären zu können.
Doch würden sie es versuchen, so würden viele straucheln. Gleicht man die Selbsteinschätzung mit dem Faktenwissen ab, tritt ein großes Missverhältnis zutage. Nur etwas mehr als einer von hundert (1,4 Prozent) ist in der Lage, vier Faktenfragen zur G20 richtig zu beantworten. Auch wenn man den Kreis größer zieht, kehrt sich das Bild nicht grundlegend um: Nur ein Viertel (26 Prozent) kennt die G20 so gut, dass drei von vier Fragen richtig beantwortet werden. Ein Viertel aller Befragten hat noch nie von der G20 gehört; in den USA ist diese Gruppe sogar in der Mehrheit (58%).
Kein Wunder, denn die G20 ist kaum präsent in den Medien, und es findet kaum eine öffentliche Meinungsbildung zu ihr oder eine Auseinandersetzung mit ihrer Arbeit statt. Das zeigen die Ergebnisse einer Medienresonanzanalyse in 18 der 19 Mitgliedsländer der G20 für das Jahr 2017: Nur 0,35 Prozent aller Artikel in G20-Ländern hat sich mit der G20 auseinandergesetzt – ein mikroskopisch kleiner Anteil an der Gesamtberichterstattung. Deutschland, das 2017 die Präsidentschaft innehatte, und Argentinien, das ihm 2018 darin folgte, verzeichnen die höchsten Werte. In den USA und Großbritannien hingegen, wo viele Menschen sich noch keine Meinung zur G20 gebildet haben, ist die Präsenz der G20 in den Medien weit unterdurchschnittlich (USA: 0,20 Prozent, Großbritannien: 0,19 Prozent).
Es bleibt festzuhalten: Das Faktenwissen der Bürger zur G20 ist gering, die Berichterstattung in den Medien zur G20 noch geringer. Weder die geringe Bekanntheit noch die geringere öffentliche Sichtbarkeit der G20 stehen in angemessenem Verhältnis zu der Bedeutung der Probleme, die in der G20 bearbeitet werden.
So verblüfft es auch nicht, dass die Bürger unentschlossen sind, ob ihre Regierung den Empfehlungen der G20 folgen soll – ganz unabhängig davon, ob es im Interesse des eigenen Landes wäre. Diese Frage gibt wichtige Hinweise darauf, ob der G20 als Institution Legitimität zugeschrieben wird und ob sie von den Bürgern akzeptiert wird. Doch wer wenig über die Prozesse, Strukturen und Verfahren weiß, wer auch in der öffentlichen Debatte kaum etwas von der G20 hört, der kann sich schwer eine Meinung darüber bilden, ob es dabei fair zugeht und gute Ergebnisse erarbeitet werden. Die Ergebnisse spiegeln die Gespaltenheit der Bürger wider: Während ein Drittel (34 Prozent) sich dafür ausspricht, den Empfehlungen der G20 ganz unabhängig von den eigenen nationalen Interessen zu folgen, ist ein Drittel dagegen (33 Prozent) oder unsicher (33 Prozent).
Was nun?
Diskurse stärken. Präsenz zeigen. Die Medienresonanzanalyse hat eindrücklich gezeigt, wie gering die Berichterstattung über die G20 und anderen internationale Organisationen ist. Bürger sind mit ihnen kaum vertraut. Internationale Organisationen sollten daran arbeiten, präsenter in den öffentlichen Debatten zu sein. Sie sollten ihre Ziele und Arbeitsweisen selbst in die Öffentlichkeit tragen. Tun sie das nicht, so bleiben die Bürger entweder unsicher, ob sie die Organisationen akzeptieren sollen, oder sie werden anfällig für populistische Rufe nach dem Rückzug ins Nationale, obwohl die große Mehrheit überzeugt davon ist, dass sich globale Probleme nicht im Alleingang lösen lassen. Internationale Organisationen und Regierungen der darin vertretenen Staaten sollten die Debatten über sich, ihre Arbeitsweisen, ihre Ziele und Wirksamkeit nicht anderen überlassen, sondern selbst aktiver werden.
Globalisierung fairer gestalten. Wer von den Vorteilen internationaler Zusammenarbeit überzeugt ist, wer sie direkt erfährt, ist eher Unterstützer des Multilateralismus. Nationalstaaten und internationale Organisationen sollten dafür sorgen, dass Globalisierung sich nicht nur für die Kosmopoliten rechnet, sondern für möglichst viele in der Bevölkerung. Die Abschlusserklärung der Staats- und Regierungschefs nach dem Gipfel in Hamburg 2017 zeigt, dass auch die G20 das erkennt: sie ist „entschlossen, die Globalisierung zum Wohl aller Menschen zu gestalten. Vor allem müssen wir unsere Bürger besser in die Lage versetzen, die Chancen, die sie bietet, zu nutzen.“