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Presidential candidate and comedian Vladimir Zelensky. Photo by Ярослав Бурдовицин via commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0

Ukraine vor den Wahlen: Ein Land, das weiter Reformen braucht

Mit der Rekordzahl von 42 Kandidaten für das höchste Amt bleibt spannend, wer das Rennen um die ukrainische Präsidentschaft macht und ob die einheimischen Akteure und ihre internationalen Partner das Land auch nach den Wahlen weiter werden modernisieren können.

Je näher die ukrainische Präsidentschaftswahl am 31. März rückt, um so größer werden die Sorgen, wie ihr Ausgang den Reformkurs beeinflussen wird. In den amtierenden Präsidenten Petro Poroschenko setzten die Ukrainer bei seiner Wahl im Mai 2014 die Hoffnung, er würde der militärischen Aggression Russlands widerstehen können und gleichzeitig Reformen umsetzen, die von den Bürgerprotesten des sogenannten Euromaidan, der in der Ukraine rückblickend „Revolution der Würde“ genannt wird, gefordert worden waren und international auf Zustimmung stießen.

Justiz- und Antikorruptionsreformen standen für die internationalen Verbündeten und die ukrainische Zivilgesellschaft an vorderster Stelle. Trotz Widerstands und mancher Rückschläge sind auf diesen Gebieten bedeutende Fortschritte gemacht worden. Beispiele für den Erfolg sind die Umstrukturierung des größten Staatskonzerns der Ukraine Naftogaz, die Sanierung des Steuersystems, des Bankensektors und des Beschaffungswesens. Alleine im Gesundheitswesen konnten 39 Prozent der Ausgaben eingespart werden, weil die Beschaffung von Medikamenten aus den Händen der ukrainischen Behörden in die Verantwortung internationaler Organisationen überging.

Als Teil der Reformen in der öffentlichen Verwaltung und im öffentlichen Dienst wurden im Kabinett und den Ministerien Stellen für Spezialisten eingerichtet und mit im Westen ausgebildeten Professionellen besetzt, die eine hohe Integrität besitzen. Außerdem wurden Institutionen geschaffen, um die Korruption auf höchster Ebene zu bekämpfen, insbesondere das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine. Beamte und Regierungsmitglieder wurden gesetzlich gezwungen, in einer Online-Datenbank Angaben zu ihrem Privatvermögen zu machen. Und es wurde ein Anti-Korruptions-Gericht geschaffen, bei dem gesetzlich sichergestellt ist, dass Integrität die Auswahl der Richter leitet. Welche Bedeutung diese wichtigen Errungenschaften haben, zeigt sich, wenn hochrangige Beamte in Korruptionsverfahren angeklagt werden.

Hilfe durch die Europäische Union und den Internationalen Währungsfonds

Nach der Revolution der Würde 2014 verstärkten die internationalen Partner der Ukraine ihre Anreize für Reformen. Die EU engagierte sich von 2014 an mit Finanzhilfen durch das Europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument in einer Höhe von jährlich 200 Millionen Euro und verdoppelte damit in etwa die Mittel der Jahre 2005 bis 2013. Zu diesem deutlichen Anstieg der Finanzhilfen kam es, obwohl von 2014 bis 2016 auch die Summe der Kredite laut einer Studie von Chatham House auf 7,1 Milliarden Euro stieg. Weitere Hilfen sind bis 2020 in Aussicht gestellt. Die EU initiierte zudem wichtige Innovationen, beispielsweise die Einrichtung der engagierten Support Group for Ukraine sowie die Schaffung von längerfristigen und umfassenderen Unterstützungsangeboten, von Stabsstellen extra für die Reformvorhaben und von umfangreichen Makrofinanzhilfen. Mit der Genehmigung und Gewährung neuer Makrofinanzhilfe-Maßnahmen im letzten November beläuft sich die gesamte seit 2014 von der EU geleistete Makrofinanzhilfe für die Ukraine auf 3,3 Milliarden Euro. Das ist der größte Hilfsbetrag dieser Art, der in ein Nicht-EU-Land fließt.

Der Internationale Währungsfonds spielte zwischenzeitlich auch eine wichtige Rolle und genehmigte eine Reihe von Kreditprogrammen. Auf Seiten der internationalen Partner wurden finanzielle und andere Anreize, wie die Liberalisierung von Visabestimmungen, an Bedingungen geknüpft. Die oben beschriebenen Reformen konnten hauptsächlich durch diese Kombination aus Druck und Anreiz unter aktiver Beteiligung der ukrainischen Zivilgesellschaft erreicht werden.

Angesichts der 44 Kandidaten, die sich für das höchste Amt der Ukraine zur Wahl stellen – die höchste Bewerberzahl in der Geschichte des Landes – fragen sich viele, wie es um die Zukunft der Reformen bestellt ist. Welche der Kandidaten, sollten sie gewinnen, würden die Reformen weiter entschlossen vorantreiben?

Die Verfassungsänderungen, die nach der Revolution der Würde 2014 verabschiedet wurden, etablierten in der Ukraine ein parlamentarisch-präsidentielles System, in dem der vom Parlament ernannte Ministerpräsident fast so viel Macht hat wie der direkt gewählte Präsident. In diesem Kontext ist auch die Zusammensetzung des nächsten Parlaments, dass im Oktober 2019 gewählt werden wird, sowie die dann ans Regieren kommende Koalition, die die Minister ernennen wird, von hoher Bedeutung. Doch der ukrainische Präsident hat ebenso erheblichen Einfluss auf den Fortgang der Reformen.

Ein Komiker führt in den Umfragen

Nach den letzten Meinungsumfragen liegt der Komiker und Vorsitzende der Partei Diener des Volkes Wladimir Selenski mit 25 Prozent Zustimmung weit vor den anderen Kandidaten. Der amtierende Präsident Petro Poroschenko und die frühere Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, die auch schon 2010 Präsidentschaftskandidatin war, liegen, je nach Umfrage, mit etwa 16 Prozent auf dem zweiten beziehungsweise dritten Platz. Weniger aussichtsreich sind der frühere stellvertretende Ministerpräsident und unter Präsident Viktor Janukowitsch zum Minister für Brennstoff und Energiewirtschaft berufene Jurij Boiko, der Ex-Verteidigungsminister Anatolij Hrizenko, der als ein Kandidat des von Oligarchen unabhängigen demokratischen Lagers angesehen werden könnte, und Oleh Ljaschko von der Radikalen Partei. Nach den Umfragen pendeln sie sich zwischen 6 und 10 Prozent Zustimmung ein.

Auf die Justizreform und den Kampf gegen die Korruption gehen diese Kandidaten in ihren Wahlprogramme und öffentlichen Äußerungen kaum näher ein. Vor diesem Hintergrund hat ein Bündnis von zivilgesellschaftlichen Organisationen eine „Agenda für die Justizreform“ veröffentlicht und mit einer Liste von Fragen versehen, die die Präsidentschaftskandidaten auffordern, ihre Visionen und Pläne darzulegen.

Bezeichnenderweise hat die Mehrzahl der Kandidaten nicht offengelegt, wer ihren Wahlkampf finanziert. Dabei behaupten Fachleute, dass die aussichtsreichsten Kandidaten 80 bis 90 Millionen US-Dollar (ca. 70 bis 80 Millionen Euro) investieren, wobei die Hälfte dieses Geldes nicht im Wahlkampfbudget auftaucht, weil es aus dunklen Quellen stammt. Gleichzeitig gibt es Hinweise darauf, dass Oligarchen hinter einigen Kandidaten stehen. Selenski wird mit Ihor Kolomoisky in Verbindung gebracht, während Timoschenko wiederholt mit Viktor Pintschuk gesehen worden ist; Poroschenko finanziert sich selbst und Boiko hat Beziehungen zu Dmytro Firtasch. Bis auf den letzten sind diese Oligarchen unter den zehn reichsten Männern der Ukraine. Analysen der Berichterstattung von wichtigen TV-Sendern, die diesen Oligarchen gehören, bestätigen die Verbindungen zwischen bestimmten Kandidaten und Oligarchen.

Es ist mit anderen Worten unwahrscheinlich, dass wir in diesem Wahlzyklus eine Erneuerung des politischen Systems durch Politiker, die eigenständig ihre Reformagenda verfolgen, statt mächtige wirtschaftliche Interessen zu vertreten, erleben werden. Doch die Zukunft des Reformkurses wird weniger von einem bestimmten siegreichen Kandidaten abhängen als vielmehr von der nachhaltigen Kontrolle der Zivilgesellschaft und dem Druck des Westens. Im Länderbericht des Bertelsmann Transformationsindex (BTI) 2018 heißt es dazu: „Auch wenn die Ukraine, dank des anhaltenden Drucks von unten, aus den eigenen Reihen und aus dem Ausland, wichtige Durchbrüche in ihrem Reformprozess erreicht hat, sind die Errungenschaften bislang nicht nachhaltig und müssen Tag für Tag verteidigt werden.“ Auch der neue Präsident wird nur durch weiteres Drängen und die harte Arbeit reformfreudiger Akteure dazu gebracht werden, die Modernisierung ernst zu nehmen.

Aus dem Englischen von Karola Klatt.

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