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The town hall in Svidník. Photo by Peter Zelizňák via commons.wikimedia.com, CC0 (public domain)

Wahlen zum Europäischen Parlament: Das Land der Nichtwähler

Besteht Hoffnung, dass die bevorstehende Europawahl den Slowaken positive Veränderungen bringen wird? Die Chancen dafür stehen gut.

Zum fünfzehnten Mal jährt sich 2019 der EU-Beitritt der Slowakei, doch die Menschen in Svidník, im Nordosten des Landes, kümmert das wenig. Die Stadt Svidník ist das Zentrum einer der ärmsten und strukturschwächsten Regionen des Landes. Nur hier konnte der Rechtspopulist Štefan Harabin in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen. In die Stichwahl schaffte er es dennoch nicht, hier traten zwei proeuropäische Kandidaten, Zuzana Čaputová und Maroš Šefčovič, gegeneinander an. Die Rechtsanwältin und Bürgerrechtlerin Čaputová machte schließlich das Rennen gegen den Vizepräsident der Europäischen Kommission Šefčovič. Von Mitte Juni an wird sie die erste weibliche Präsidentin des Landes sein und mit ihren 45 Jahren auch die jüngste.

Die Wahlbeteiligung bei den Europawahlen wird in Svidník voraussichtlich unter 15 Prozent liegen. Nicht nur hier, sondern in der ganzen Slowakei bleiben die Menschen seit Langem schon den Wahlurnen fern. Bei allen drei Wahlen zum Europäischen Parlament in den Jahren 2004, 2009 und 2014 blieb die Slowakei mit Wahlbeteiligungen von 17, 20 beziehungsweise 13 Prozent weit hinter den anderen EU-Ländern zurück. Selbst an der diesjährigen Stichwahl zur Präsidentschaft haben nur rund 42 Prozent der Bürger teilgenommen.

Zweckentfremdung von EU-Mitteln

Dafür gibt es keine einfache Erklärung. Ein Grund ist, dass die Slowakei in Korruption versunken ist – und daran ist die EU nicht ganz unschuldig. Theoretisch sollen EU-Mittel dazu dienen, regionale Entwicklungsunterschiede abzumildern. Doch wie die Praxis zeigt, hat sich ein klientelistisches System verfestigt: Politiker dirigieren Mittel an Unternehmen, die sich später bei der Mobilisierung von Wahlunterstützung als nützlich erweisen können. Skandale über Zweckentfremdung von Fördermitteln sind in der Slowakei so verbreitet, dass ein neues Wort dafür erfunden wurde: „tunelovanie“ (deutsch: „untertunneln“) – was soviel bedeutet, wie das Geld der Steuerzahler umzulenken.

An Orten wie Svidník ist die EU Teil des Problems und nicht der Lösung. In der gesamten nordöstlichen Region gibt es kein Schienennetz und der größte Arbeitgeber der Stadt ist das Krankenhaus. Von 2007 bis 2016 verbesserte sich der Anteil des Pro-Kopf-BIP der Region am EU-Durchschnitt nur leicht von 46 auf 52 Prozent. Das ist viel weniger als in anderen Regionen des Landes. Jedes Jahr verlassen einige hundert Bewohner Svidník, um woanders gut bezahlte Anstellungen zu finden.

Fast ein Drittel der jungen Generation ist euroskeptisch

Viele vermuten auch einen Generationenkonflikt. Die ältere Generation, die den Kommunismus noch erlebt hat, neigt zur Ansicht, dass es der Wirtschaft, die Löhne und Renten der Slowaken unter dem EU-Durchschnitt hält, vor dem Beitritt besser ging. Aber dass die Jugend die EU fast ausnahmslos positiv sieht, ist ein Mythos. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung fand 2017 heraus, dass fast 30 Prozent der jungen Slowaken zwischen 15 und 24 die Mitgliedschaft ihres Landes für eine schlechte Sache halten. Viele davon sympathisieren mit der neofaschistischen Volkspartei Unsere Slowakei, für die die NATO eine kriminelle Vereinigung ist und die den Austritt der Slowakei aus der EU fordert.

Auftrieb bekommen die Euroskeptiker durch eine Fülle innenpolitischer Probleme, die ihnen besonders die Landbevölkerung in die Arme treibt: ein krankes Staatswesen, das von einer elitären Politikerclique und finsteren Geschäftsleuten beherrscht wird; um sich greifende Korruption; miserable öffentliche Dienstleistungen; Frustration und Perspektivlosigkeit. Das traurige Paradox ist, dass alle diese Auswüchse mit der europafreundlichsten Partei im Parlament im Zusammenhang stehen: der Smer-SD, die wirtschaftlich eher links steht, sozial eher konservativ ist und seit den Nationalratswahlen 2006, abgesehen von einer kurzen zweijährigen Unterbrechung, durchgehend an der Macht war.

„Anfangs hat die Smer-SD als Partei neuen Typs Hoffnungen geweckt. Sie galt als anders, frei von Skandalen“, erzählt Radovan Olejár, ein Geschäftsmann aus Svidník, der früher Parteimitglied war. „Doch dann hat sich schnell herausgestellt, dass die Partei von windigen Geschäftsleuten beeinflusst wird und nicht wirklich an einem Wandel interessiert ist.“

Die Slowakei hat einen gewaltigen Schritt vorwärts gemacht

Bei allem Ernst der gegenwärtigen Lage lohnt es sich, ein bisschen weiter zu blicken. Die Ausgangslage war in der Slowakei eine deutlich andere als in Polen, Ungarn oder der Tschechischen Republik. In den 1990er-Jahren lenkte Ministerpräsident Vladimir Mečiar mit harter Hand Wirtschaft und öffentliche Institutionen, pflegte obskure Kontakte zur lokalen Mafia und bediente sich einer nationalistischen Rhetorik. Die Slowakei bekam das Image eines „schwarzen Lochs im Herzen Europas“ – wie die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright es ausdrückte.

In den darauffolgenden Jahren hat sich das Land sehr gewandelt. Es scheiterte nicht daran, sich in westlicher Richtung zu entwickeln, wie viele befürchtet hatten, die es mit der Ukraine oder Serbien gleichsetzten. Seit dem EU-Beitritt 2004 ist die Wirtschaft insgesamt stark gewachsen und der Lebensstandard stieg kontinuierlich. Heute ist die Slowakei das einzige Land der Visegrad-Staaten, das der Eurozone beigetreten ist, und im Gegensatz zum euroskeptischen Ungarn oder Polen möchte die Mehrheit seiner Bürger noch näher an den „Kern der EU“ heranrücken.

Auch wenn das für die Menschen in Svidník nur ein schwacher Trost sein mag, insgesamt ist die Slowakei einen gewaltigen Schritt vorwärtsgekommen. Diesen Fortschritt untermauern die guten Werte des Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung (BTI): Für seine politische und wirtschaftliche Transformation erhält das Land im Ranking 8,60 beziehungsweise 8,57 von 10 möglichen Punkten.

Fortschrittliche Kräfte gewinnen an Einfluss

Immer noch weht Aufbruchsstimmung durch die Slowakei, ausgelöst durch die Massendemonstrationen nach der Ermordung des Enthüllungsjournalisten Ján Kuciak sowie den überwältigenden Sieg von Čaputová bei den Präsidentschaftswahlen. Čaputová präsentiert sich als Gesicht einer neuen politischen Führungsgeneration. In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage stieg die Zustimmung für die beiden außerparlamentarischen Parteien Progressive Slowakei (PS) und ZUSAMMEN –Bürgerdemokratie, die Heimat dieser neuen Politikergeneration sind und Čaputová aufgestellt hatten, sprunghaft von 7,5 auf 14,4 Prozent an. Damit liegt das Parteienbündnis in den Umfragen zur Europawahl auf dem zweiten Platz.

„Die Sehnsucht nach Veränderung ist groß“, meint die stellvertretende Parteivorsitzende der PS Irena Bihariová. „Das kann Anti-Elite-Bewegungen zugutekommen oder, wie in unserem Fall, solchen, die eine konstruktive Alternative anbieten zu denjenigen, die den Status quo aufrechterhalten wollen.“

Wenn sich dieser Trend fortsetzt, könnte die Slowakei zum Bollwerk gegen die Ausbreitung des Rechtspopulismus in Mitteleuropa werden. Anders als in Ungarn oder Polen sind hier die europafreundlichen Eliten auf dem Vormarsch. Die erste Aufgabe für diese neuen Eliten besteht darin, die Landbevölkerung, die sich von allen demokratisch gewählten Regierungen weitgehend ignoriert fühlt, in die Mitte der Gesellschaft zurückzuholen und Europa wieder sexy zu machen – im ganzen Land.

Übersetzt aus dem Englischen von Karola Klatt.

Photo: The town hall in Svidník. Photo by Peter Zelizňák via commons.wikimedia.com, public domain: https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.de

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