Gott, Glück und Orbán – eine kurze Geschichte der Bestechlichkeit in Ungarn
Korruption ist im politischen System Ungarns tief verankert. Premierminister Viktor Orbán wird von einer Gruppe reicher Unternehmer mit besten Beziehungen in die Regierungsspitze gestützt. Wie stehen die Chancen für ein großes Reinemachen?
Im Jahr 2014 erklärte der Unternehmer Lőrinc Mészáros, ein Jugendfreund von Premierminister Viktor Orbán, seinen beispiellosen wirtschaftlichen Erfolg mit folgendem Satz: „Gott, Glück und Viktor Orbán haben zweifellos ihren Anteil an dem, was ich bisher erreicht habe.“ Drei Jahre später erregte er international Aufsehen, als sein Vorzeigekonzern dank kontinuierlicher Gewinne aus einer Flut von Regierungsaufträgen mit der weltweit besten Aktie Schlagzeilen machte.
Bis zum Jahr 2020 stieg der einst glücklose Gasinstallateur aus dem 1.800-Einwohner-Städtchen Felcsút, der Heimatstadt Viktor Orbáns, zur reichsten Person Ungarns auf, mit einem Vermögen, das nach Schätzung von Forbes Ungarn 1,3 Milliarden Euro beträgt. Er ist zum Symbol geworden für eine Entwicklung, die der Premierminister „das Widererstarken der nationalistisch-kapitalistischen Klasse“ nennt, die Bildung eines Netzwerks neureicher, regierungsfreundlicher Unternehmer mit engen persönlichen und geschäftlichen Verbindungen zu den Familien hochrangiger Politiker aus dem rechten Lager.
Mészáros antwortete einmal einem Journalisten, der nach dem Geheimnis seines Erfolgs fragte, dass er möglicherweise klüger sei als Facebook-Gründer und CEO Mark Zuckerberg. Oppositionelle und Experten halten Mészáros dagegen für einen Strohmann, der für Orbán auftritt, eine Behauptung, die beide vehement abstreiten. Enthüllungsjournalisten konnten jedoch nachweisen, dass öffentliche Gelder über Mészáros‘ Unternehmen an Orbáns Familie flossen.
Der Ungarn-Bericht 2020 des Transformation Index (BTI) der Bertelsmann Stiftung, der im März erscheinen wird, urteilt: „Im Gegensatz zur klassischen Vereinnahmung des Staates, bei der wirtschaftliche Interessen eine schwache Exekutive übernehmen, arbeitet in Ungarn eine mächtige Exekutive in undurchsichtiger Weise mit selbst geschaffenen Wirtschaftskreisen zusammen. Die Regierungselite und die Wirtschaftsakteure um sie herum regieren nach ihren privaten Interessen.“ Dieses eigentümliche politisch-ökonomische System ist jedoch ein relativ neues Phänomen im Land.
Korruption im Wandel
Nach dem Übergang zur Demokratie 1989 bis 1990 war die Korruption in Ungarn mindestens zwei Jahrzehnte lang vorwiegend in regionale Strukturen eingebettet. Die jüngste Geschichte der Verflechtung von politischen und wirtschaftlichen Kreisen lässt sich in mindestens drei Zeitabschnitte unterteilen.
In den 2000er-Jahren, als Ungarn im Grunde ein Zwei-Parteien-System war, bekamen die heimlichen Absprachen zwischen Regierungsparteien und Oppositionsblock den berüchtigten Beinamen „siebzig-dreißig“. Wer auch immer an der Macht war, bekam den größten Teil der illegalen Gewinne (aus zwielichtigen öffentlichen Beschaffungen und Verträgen) und stellte gleichzeitig sicher, dass die Geschäftsleute, die die Oppositionsparteien unterstützten, auch aus öffentlichen Geldern schöpfen konnten.
Einer der Hauptarchitekten dieses Gleichgewichts war Lajos Simicska, ehemaliger Parteischatzmeister von Fidesz und Eigentümer des größten rechtsgerichteten Medienkonzerns. Orbán kannte Simicska aus der Oberschule, die beiden waren enge Freunde und politische Verbündete und unterstützten sich gegenseitig uneingeschränkt.
Durch erdrutschartige Siege von Fidesz, Orbáns rechter Partei, bei Parlaments- und Kommunalwahlen wurden die sozialistischen und liberalen Parteien Ungarns bis 2010 fast gänzlich aus allen mächtigen Positionen gedrängt und verloren ihren Einfluss. Damit wurden die früheren Siebzig-dreißig-Vereinbarungen obsolet. Obwohl er nie gewählt worden war, bekam Simicska große Ambitionen, die Geschicke der Republik Ungarn zu bestimmen, nachdem er zwei Jahrzehnte lang für das wirtschaftliche Umfeld von Fidesz verantwortlich gewesen war.
Die zweite Periode von 2010 bis 2014 umfasst die Jahre, in denen Simicska tatsächlich zur einflussreichsten Person Ungarns wurde, was in eine immer noch klassische Art der Vereinnahmung des Staates mündete. Er hatte genug Macht, Kabinettsminister auszuwählen oder zu entlassen und die Gesetzgebung zu beeinflussen, indem er einzelne Fidesz-Abgeordnete kontrollierte und sie dazu brachte, ihm neue Gesetzesvorlagen vorzulegen. Allmählich jedoch geriet er dadurch auf Kollisionskurs mit Orbán.
Von 2015 bis 2018 kam es zwischen Simicska und dem Premierminister zum offenen Schlagabtausch. Simicska setzte auf die rechtsextreme Oppositionspartei Jobbik, die er massiv unterstützte, – und ging damit unter. Lajos Simicska, ein bis 2018 offen regierungsfeindlicher Oligarch, schloss nach den Wahlen von 2018 zwei Zeitungen und einen Radiosenders, was als Eingeständnis seiner Niederlage gegen den Ministerpräsidenten gewertet werden kann. Damit begann die dritte Phase.
Das Zeitalter der „nationalistisch-kapitalistischen Klasse“
Über Simicska sagte der junge Orbán in einem frühen Interview Anfang der 1980er-Jahre: „Der war schlauer als wir alle.“ Lőrinc Mészáros, der die meisten ehemaligen Betriebe von Simicska übernahm, nachdem sich der Oligarch 2018 zum Rückzug entschieden hatte, ist wie die anderen Mitglieder der neu gegründeten „nationalistisch-kapitalistischen Klasse“ aus anderem Holz geschnitzt. Vermutlich wird niemand aus der Riege so mächtig und unabhängig wie einst Simicska.
Die völlige Unterordnung unter den politischen Willen der Orbán-Regierung zeigt sich vor allem daran, dass Mészáros und alle anderen rechtsgerichteten Geschäftsleute und Unternehmen, die im Besitz einflussreicher Medien waren, gleichermaßen auf ihr Medienvermögen in Millionenhöhe verzichtet haben. Sie übertrugen die Eigentumsrechte an ihren Medien auf eine neu gegründete gemeinnützige Stiftung, die von einem Leitungsgremium beaufsichtigt wird, das aus treuen Gefolgsleuten Orbáns besteht. Im BTI-Länderbericht heißt es dazu: „Mehr als 400 Titel, darunter die meisten Flaggschiffmedien des Fidesz-Imperiums, wurden im November 2018 an die Zentrale Europäische Presse- und Medienstiftung (KESMA) übertragen. Zu dieser Verschmelzung kam es, weil die mit Fidesz verbundenen Oligarchen ihre Medienanteile in rascher Folge an die Stiftung abtraten.“
Im Jahr 2020 umfasst das breit gefächerte Imperium von Mészáros und seinen Handlangern – teilweise übergelaufene Manager ehemaliger Simicska-Unternehmen – Geschäftsfelder in so unterschiedlichen Branchen wie Bauwesen, Landwirtschaft, Energie, Medien, Finanzen, Immobilien und Tourismus. Gemeinsam ist allen, dass ihr Erfolg stark von staatlichen Aufträgen, Subventionen und günstigen Regelungen abhängt. Folglich kann sich keiner der „nationalen Kapitalisten“ gegen den Willen der Exekutive stellen, ohne alles zu riskieren, was er besitzt. Eine weitere Rebellion wie die von Simicska ist deshalb wenig wahrscheinlich.
Darüber hinaus fehlt den regierungsfreundlichen Unternehmern die Fähigkeit, hochwertige Produkte für den Export herzustellen, die auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig sind. Deshalb stellt sich die Frage, welchen Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg Ungarns sie eigentlich leisten.
Übersetzt aus dem Englischen von Karola Klatt.