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Photo: CIAT via flickr.com.

Kenias Regierung unter Druck: Ausgangssperren verstärken Hunger und Unruhen

Die kenianische Regierung reagierte mit Ausgangssperren und Versammlungsverboten auf die Covid-19-Pandemie und setzt diese rigoros durch. Gleichzeitig verschärfen diese Maßnahmen die Lebenssituation von Millionen Menschen. Eine Hungerkrise greift um sich. Es kommt zu Unruhen und Polizeigewalt. Kriminelle Gangs fordern die Regierung Kenyatta mitten in den Millionenstädten Mombasa und Nairobi heraus.

Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) leiden derzeit rund 820 Millionen Menschen auf der ganzen Welt an chronischem Hunger. Die FAO ist besonders besorgt über die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf gefährdete Gemeinschaften, die mit Hunger oder anderen Krisen zu kämpfen haben. Nach aktuellen Zahlen des Welternährungsprogrammes (WFP) werden zusätzlich bis Ende des Jahres mehr als eine Viertelmilliarde Menschen aufgrund der Covid-19-Auswirkungen an akutem Hunger leiden. Am 21. April verkündete WFP-Chef David Beasley gegenüber dem UN-Sicherheitsrat, dass 300.000 Menschen über einen langen Zeitraum hinweg jeden Tag sterben könnten – und zwar nicht an einem Virus, sondern an Hunger.

In Kenia steigt die Nahrungsmittelknappheit aufgrund von klimatischen Bedingungen, der Heuschreckenplage am Horn von Afrika und verstärkt durch Covid-19. Die FAO hat der Regierung Empfehlungen für den Umgang mit der Krise gegeben. Weil die Regierung aber strikte Ausgangssperren verhängt hat, können viele Menschen kein Geld mehr verdienen, um sich zu ernähren. Da Felder brachliegen und Lieferketten zusammengebrochen sind, werden Nahrungsmittel teuer und Kriminalität nimmt zu.

Das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) wird sich voraussichtlich von durchschnittlich 5,7% pro Jahr (2015-2019) auf 1,5% im Jahr 2020 verlangsamen. Dauern die Ausgangssperren jedoch länger als erwartet, um die Covid-19-Pandemie unter Kontrolle zu bringen, könnte das BIP bis Ende des Jahres um 1,0% schrumpfen und die prognostizierte Erholung auf 5,2% Wachstum im Jahr 2021 würde verzögert. Das vorherrschende Schreckensszenario ist eine langanhaltende globale Rezession, die Kenias Exportwirtschaft, den Tourismussektor und den bedeutende Zuflüsse privater Rücküberweisungen untergräbt, die inländische Wirtschaftstätigkeit stört sowie zu fiskalischen Fehlentwicklungen führt.

Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizei

Verstärkte Hungersnöte und verschlechterte sozioökonomische Bedingungen bedrohen den sozialen Frieden in Kenia. Es wurden Ausgangssperren verhängt. Unternehmen wurden geschlossen, ohne dass klare Maßnahmen ergriffen wurden, um den betroffenen Eigentümern, Arbeitern und ihren Familien zu helfen. Für Menschen, die nicht den Luxus von Bankersparnissen haben, stellen die Einschränkung sozialer Kontakte und Ausgangssperren eine existenzielle Bedrohung dar. Dies hat in Kenia zu Unruhen geführt, auf die die Regierung mit Gewalt reagierte. Viele Menschen missachten eher das Gesetz, als zu Hause zu bleiben und zu hungern.

Obwohl die Verfassung der Republik Kenia ihren Bürgern ausdrücklich das Recht auf angemessene Nahrung garantiert, wurde bisher noch keine Hilfe gewährt. Darüber hinaus setzt die Regierung die Polizei als Mittel ein, um die Ausgangssperren durchzusetzen. Die Brutalität der Polizei, die von Präsident Kenyatta als Instrument der Einschüchterung genutzt wird, nimmt zu. Vor allem im Zusammenhang mit der Pandemie zeigt sich die Polizeibrutalität deutlich. In der Hauptstadt Nairobi hat die Polizei Berichten zufolge am 1. Juni einen Obdachlosen wegen Verletzung der Ausgangssperre erschossen; etwa 300 Demonstranten gingen in dieser Nacht auf die Straße, um ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen; in der westlichen Stadt Lesos tötete die Polizei am 25. Juni bei Zusammenstößen drei Demonstranten, die die Verhaftung eines Taxifahrers wegen Missachtung der Pandemie-Beschränkungen angeprangert hatten.

Die kenianischen Bürger fürchten, dass die Regierung Covid-19 nutzt, um die Opposition zu überwachen, die Medienfreiheit einzuschränken sowie den Sicherheitsapparat als Mittel der Einschüchterung und Unterdrückung zu instrumentalisieren. Der Bertelsmann-Transformationsindex (BTI) betont, dass sich der Zustand von Demokratie und politischer Teilhabe in den letzten Jahren verschlechtert hat. Auch die Staatlichkeit hat gelitten: Während Kenia hier 2010 noch einen Wert von 7,0 erzielte, ist dieser im BTI 2020 auf 6,3 gefallen. Wenngleich die innerstaatliche politische und soziale Ordnung durch diese Unruhen und Ausschreitungen noch nicht in ihren Grundfesten erschüttert wurde, wird dennoch deutlich, dass der innergesellschaftliche Frieden fragil ist.

Anti-Covid-Maßnahmen funktionieren in Slums nicht

Dies zeigt sich insbesondere in den Slums in Mombasa und Nairobi, die am stärksten von der Pandemie, den eingeführten Präventivmaßnahmen sowie von den sozialen Folgen betroffen sind. Kibera, eine informelle Siedlung im Herzen von Nairobi, hat eine Bevölkerungsdichte von schätzungsweise 90.000-100.000 Einwohnern pro Quadratkilometer. Kontaktbeschränkungen und Abstandsgebote sind praktisch kaum einzuhalten. Die meisten Menschen sind selbständig, arbeiten im informellen Sektor oder finden Tag für Tag neu Arbeit. Keine dieser Arbeitsmöglichkeiten bietet ein regelmäßiges Einkommen. Fast alle Haushalte können als gefährdet und arm bezeichnet werden. Diese Situation ist auch im Slum von Mathare die gleiche.

Covid-19 hat den Slumbewohnern von Kibera, die auf ein tägliches Einkommen angewiesen sind, das Leben noch qualvoller gemacht. Die meisten von ihnen haben in den letzten Wochen eine Mahlzeit ausgelassen oder weniger gegessen, weil sie nicht genug Geld hatten, um Lebensmittel zu kaufen. Bei der Verteilung von Lebensmitteln durch ein Bezirksbüro kam es zu Tumulten und Gewaltausbrüchen zwischen den Bewohnern Kiberas und der Polizei. Bei dem Vorfall wurden viele Menschen verletzt und ins Krankenhaus eingeliefert, zwei Personen sind darüber hinaus gestorben. Dies spiegelt die katastrophale Situation wieder, die nicht nur in Kibera, sondern auch in anderen Elendsvierteln in Kenia herrscht, da die Bewohner dringend Nahrungsmittelhilfe benötigen.

In den Slums von Nairobi und Mombasa nimmt der Unmut gegenüber dem Staat zu. Kriminelle Gangs haben es geschafft, lokale Machtzentren zu gründen und diese sukzessiv auszubauen. Diese kriminellen Gangs verfügen inzwischen über Kleinwaffen. Schon in der Vergangenheit wurden diese Kleingruppen für politische Zwecke manipuliert. Zwar ist der derzeitige Mobilisierungsgrad außerhalb der Slums gering, aber aufgrund der Verschlechterung der sozioökonomischen Situation und der zunehmenden politischen Repressionen im Vorfeld der anstehenden Präsidentschaftswahlen in 2022 kann sich dies aber auch schnell ändern und von lokalen Politikern genutzt werden, um die soziale und politische Ordnung zu gefährden und die fragile Stabilität zu untergraben.

Um den Armen in den Städten zu helfen, sollte die kenianische Regierung der Befriedigung von Grundbedürfnissen, einschließlich frischem Wasser und Nahrungsmitteln, Vorrang einräumen. Es besteht die Notwendigkeit, mit den bestehenden kommunalen Führungskräften und Nichtregierungsorganisationen zusammenzuarbeiten, um Notfallplanungsausschüsse zu bilden, die die angemessene Reaktion auf die Pandemie planen. Schließlich sollte die kenianische Regierung Ressourcen mobilisieren, um ihre sozialen Sicherheitsnetze auszubauen, insbesondere um die Auswirkungen auf die am stärksten gefährdete Bevölkerung in städtischen Gebieten zu lindern.

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