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Globalisierungsreport 2020 – Wo stehen die Länder des BTI?

Der Globalisierungsreport der Bertelsmann Stiftung berechnet im Abstand von zwei Jahren für 45 Industrie- und Schwellenländer, wie stark diese Länder von der voranschreitenden Globalisierung seit 1990 profitiert haben. 22 der im „Globalisierungsreport 2020“ betrachteten Länder werden auch im internationalen Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung (BTI) untersucht.

 

Entwicklung der Globalisierung zwischen 1990 und 2018

Das Ausmaß der Verflechtungen eines Landes mit dem Rest der Welt wird mit einem Index gemessen, der sich sehr eng an dem etablierten KOF Globalisierungsindex der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich orientiert. Er umfasst Indikatoren zur wirtschaftlichen Verflechtung sowie zur sozialen und politischen Globalisierung. Der betrachtete Zeitraum des „Globalisierungsreports 2020“ reicht von 1990 bis 2018. Aus den damit zur Verfügung stehenden Daten lässt sich für jedes Land und jedes Jahr ein Globalisierungsindex entwickeln, der Werte zwischen 0 und 100 annehmen kann. Je höher der Indexwert ist, desto größer ist die Verflechtung dieses Landes mit dem Rest der Welt.

Abbildung 1 zeigt, dass – mit Ausnahme einiger osteuropäischer Staaten – die meisten im Globalisierungsreport enthaltenen BTI-Länder den geringsten Grad der internationalen Verflechtung ausweisen. Das bedeutet, dass diese Länder noch über erhebliche Potenziale zur Steigerung ihrer ökonomischen, sozialen und politischen Globalisierung verfügen.

Ein Blick auf die Veränderung der internationalen Verflechtung der 45 Länder mit dem Rest der Welt zwischen 1990 und 2018 zeigt, dass viele BTI-Länder jedoch überdurchschnittliche Zuwächse bei der Globalisierung erzielen konnten (siehe Abbildung 2). Für den überdurchschnittlich starken Anstieg der internationalen Verflechtung Osteuropas mit dem Rest der Welt gibt es zwei zentrale Gründe: den Fall des Eisernen Vorhangs und die EU-Osterweiterung.

 

Globalisierung und Wachstum

Ausgangspunkt der Untersuchung zum Einfluss der voranschreitenden Globalisierung auf das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist die Überlegung, dass eine Intensivierung der ökonomischen, sozialen und politischen Globalisierung das BIP einer Volkswirtschaft steigert. Das BIP entspricht dem Wert aller Sachgüter und Dienstleistungen, die innerhalb eines Jahres in einem Land hergestellt werden. Es gibt damit Auskunft über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes.

Um zu vergleichen, welches Land die größten ökonomischen Vorteile aus der zunehmenden Globalisierung seit 1990 ziehen konnte, wird berechnet, wie groß der absolute – also in Euro ausgedrückte – globalisierungsbedingte durchschnittliche BIP-Zuwachs je Einwohner und Jahr über den betrachteten Zeitraum war. Das BIP je Einwohner ist als Indikator gewählt, weil es für den Wohlstand der Bürger aussagekräftiger ist als das BIP der gesamten Volkswirtschaft.

Um den Einfluss der voranschreitenden Globalisierung auf das reale BIP je Einwohner zu berechnen, sind drei Schritte erforderlich:

  1. Zunächst wird mithilfe des Globalisierungsindexes die internationale Verflechtung der 45 betrachteten Länder zwischen 1990 und 2018 gemessen.
  2. Anschließend wird mithilfe statistischer Verfahren untersucht, ob es einen systematischen Zusammenhang zwischen der Veränderung des Globalisierungsindexes und der Wachstums­rate des realen BIP je Einwohner gibt und wie groß dieser Zusammenhang ist. Bezogen auf den Zeitraum von 1990 bis 2018 und die 45 betrachteten Volkswirtschaften kommen die Berechnungen zu folgendem Ergebnis: Steigt der Wert des Globalisierungsindexes um einen Punkt, führt dies im Durchschnitt zu einer Zunahme der Wachstumsrate des realen BIP je Einwohner um rund 0,3 Prozentpunkte.
  3. Schließlich wird eine hypothetische Entwicklung berechnet, bei der der Wert des Globalisierungsindexes für alle 45 Länder zwischen 1990 und 2018 auf dem Niveau von 1990 eingefroren bleibt. Dies bedeutet, dass die globalisierungsinduzierten Wachstumsgewinne, die sich aus dem tatsächlichen Fortschreiten der Globalisierung ergeben haben, herausgerechnet werden.

Die jährlichen globalisierungsbedingten BIP-Zuwächse, die ein Land zwischen 1990 und 2018 erzielen konnte, werden summiert und anschließend gleichmäßig auf alle 28 Jahre des Betrachtungszeitraums verteilt. Der daraus resultierende Wert gibt an, wie hoch die absoluten globalisierungsbedingten durchschnittlichen BIP-Zuwächse pro Jahr und Einwohner sind.

 

Absolute globalisierungsinduzierte BIP-Zuwächse

Die Werte für die globalisierungsbedingten durchschnittlichen jährlichen Zuwächse beim realen BIP je Einwohner fallen für die 45 Länder sehr unterschiedlich aus (siehe Abbildung 3): Die größten durchschnittlichen Einkommensgewinne je Einwohner und Jahr verzeichnen Japan (rund 1.790 Euro), Irland (rund 1.610 Euro) und die Schweiz (rund 1.580 Euro). Schlusslichter dieser Form der Messung von Globalisierungsgewinnen sind die großen Schwellenländer.

Für diese Unterschiede gibt es im Kern drei Ursachen:

  1. Ausgangsniveau des BIP je Einwohner: Bei einem Ausgangswert von nur 2.000 Euro (dies entspricht in etwa dem Wert Rumäniens im Jahr 1990) führt selbst ein zehnprozentiger globalisierungsbedingter Einkommenszuwachs zu einem Plus von lediglich 200 Euro. Selbst wenn bei einem BIP pro Kopf in Höhe von 40.000 Euro (dies ist der Ausgangswert der Schweiz) der Zuwachs nur zwei Prozent beträgt, ergibt sich mit 800 Euro ein größerer absoluter Zuwachs.
  2. Veränderung der Globalisierung im betrachteten Zeitraum: Je stärker der Globalisierungsindex im Zeitablauf ansteigt, desto größer fallen die globalisierungsbedingten Wachstumsgewinne aus. Länder, die 1990 bereits mit einem hohen Indexwert starten, haben nur noch wenig Spiel­raum für weitere Globalisierungszuwächse. Damit fallen auch die durch die voranschreitende Globalisierung verursachten BIP-Zuwächse relativ gering aus.
  3. Zeitpunkt der Globalisierungsindexzuwächse: Wenn ein Land seinen Indexwert erst im letzten Jahr des Betrachtungszeitraums steigert, kann es nur in diesem einen Jahr einen globalisierungsinduzierten Wachstumsanstieg realisieren. Falls das Land hingegen im ersten Jahr des untersuchten Zeitraums seine Globalisierung erhöht, hebt dies das BIP je Einwohner auf ein höheres Niveau, das dann auch in allen nachfolgenden Jahren gehalten werden kann.

 

Relative globalisierungsinduzierte BIP-Zuwächse

Der Umstand, dass die absoluten globalisierungsinduzierten BIP-Zuwächse der meisten BTI-Länder im internationalen Vergleich relativ gering sind, bedeutet jedoch keinesfalls, dass die Globalisierung für diese Länder unwichtig ist. Im Gegenteil: Werden die in Euro ausgedrückten kumulierten Zuwächse in Relation zum Ausgangsniveau des realen BIP je Einwohner gesetzt, verändert sich die Rangliste massiv (siehe Abbildung 4). Dies lässt sich am Beispiel von China verdeutlichen:

  • Die kumulierten globalisierungsbedingten Zuwächse des realen BIP je Einwohner zwischen 1990 und 2018 betragen für China rund 2.660 Euro. Im Vergleich zu allen 45 Ländern belegt China damit lediglich den 42. Rang.
  • Wird dieser Betrag jedoch mit dem chinesischen realen BIP je Einwohner des Jahres 1990 verglichen – das waren 430 Euro –, so macht der kumulierte monetäre Vorteil aus der Globalisierung fast 620 Prozent des BIP-Niveaus des Jahres 1990 aus. Das ist der mit Abstand höchste Wert aller 45 Länder. Auf Platz 2 folgt Südkorea mit rund 370 Prozent.

Unter den Top-Ten-Ländern der Abbildung 4 befinden sich neun BTI-Länder. In der ersten Hälfte dieser Rangliste sind es 16 von 22 Ländern. Dies verdeutlicht, wie groß die Bedeutung der voranschreitenden Globalisierung für diese Länder ist.

 

Wirtschaftspolitische Implikationen

Damit die Globalisierung ihre wohlfahrtssteigernden Effekte entfaltet, sind bestimmte Standards bei der Gestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen für den grenzüberschreitenden Austausch von Gütern, Dienstleistungen, Produktionsfaktoren und Technologien einzuhalten. Dazu gehört u. a., dass die Importbeschränkungen, die lediglich dem Schutz inländischer Unternehmen dienen, abgebaut werden. Beschränkungen, die dem Schutz der heimischen Verbraucher dienen, sind hingegen beizubehalten. Um einen Wettbewerb nach unten zu verhindern, ist es darüber hinaus erforderlich, dass erreichte Standards beim Arbeits-, Sozial- und Umweltschutz und anderen Schutznormen nicht aufgegeben werden.

Wichtig ist zudem eine faire Verteilung der durch die Globalisierung hervorgerufenen Erhöhungen des globalen materiellen Wohlstands zwischen den Ländern. Der „Globalisierungsreport 2020“ hat – so wie auch die Vorgängerstudien – gezeigt, dass die entwickelten Industrienationen bisher am stärksten von der Globalisierung profitiert haben, sofern die absolute Höhe des realen BIP pro Kopf als Indikator herangezogen wird. Damit die Schwellen- und Entwicklungsländer stärker an den wirtschaftlichen Vorteilen der internationalen Arbeitsteilung beteiligt werden, wäre es z. B. hilfreich, dass Industrieländer ihre Märkte für weiterverarbeitete Produkte aus Entwicklungsländern öffnen, ohne im Gegenzug zu verlangen, dass die Entwicklungsländer das Gleiche tun (weil Entwicklungs­länder in der Regel der Konkurrenz aus den Industrieländern unterlegen sind). Industrieländer sollten zudem ihre Subventionen für Agrarprodukte senken bzw. sogar abschaffen, um damit die Wettbewerbsverzerrung gegenüber den stark von der Agrarwirtschaft abhängenden Entwicklungsländern zu beseitigen. Schließlich ist daran zu denken, dass reiche Industriestaaten den wenig entwickelten Volkswirtschaften Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen, damit diese Länder notwendige Infrastruktur, Bildungsmaßnahmen und Produktionsanlagen finanzieren können.

Die Schwellen- und Entwicklungsländer sind dabei nicht aus der Pflicht zu nehmen. Eine zentrale Voraussetzung für eine bessere Integration dieser Volkswirtschaften in die Weltwirtschaft sind ausländische Direktinvestitionen. Mit ihnen lassen sich die Investitionen finanzieren, die für einen wirtschaftlichen Aufschwung erforderlich sind. Damit ausländische Investoren die erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, benötigen sie Rechtssicherheit im Zielland der Investitionen. Insofern gilt es, privat- und marktwirtschaftliche Strukturen, die einen freien und fairen Wettbewerb im Sinne einer auch binnenwirtschaftlich inklusiven Wirtschaftsentwicklung ermöglichen, von staatsdirigistischen, marktverzerrenden oder klientelistischen Strukturen abzugrenzen, die sich lediglich bestimmte Aspekte des kapitalistischen Wirtschaftens zu eigen machen, um deren Effizienzgewinne in den Dienst eines geschlosseneren politischen Systems zu stellen.

 

Hinweis: Dieser Blogpost basiert auf der Publikation „Globalisierungsreport 2020 – Wo stehen die Entwicklungs- und Schwellenländer?“.

 

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