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President Cyril Ramaphosa, 21/10/2022. Photo: Jairus Mmutle/GCIS. CC BY-ND 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/

Politik in Südafrika: Afrikanischer Nationalkongress steht vor Zeitenwende

Seit 28 Jahren wird Südafrika vom Afrikanischen Nationalkongress (ANC) regiert. Derzeit laufen die Vorbereitungen für den Wahlparteitag im Dezember 2022. Vor dem Hintergrund interner Querelen und wirtschaftlicher Probleme wird er zeigen, wer die Partei in den Wahlkampf vor den Parlamentswahlen 2024 führen wird. Kann sich die Partei an der Macht halten?

Seit den ersten demokratischen Wahlen in Südafrika im Jahr 1994 beherrscht der Afrikanische Nationalkongress (ANC) das politische Leben des Landes. Nach fast dreißig Jahren an der Macht befindet sich die Partei nun jedoch an einem Scheideweg. Ihre unangefochtene Machtposition bei Wahlen steht auf dem Spiel. Schuld daran ist die jahrelange schlechte Regierungsführung: wiedersprüchliche Politik, Missstände in der Verwaltung und Korruption im großen Stil, gestützt von einem gierigen klientelistischen Netzwerk.

Infolgedessen könnte sich der Parteitag im Dezember, der alle fünf Jahre zur Wahl der Parteiführung zusammentritt, als entscheidender Moment für die Zukunftsaussichten der ältesten Befreiungsbewegung Afrikas erweisen. Angesichts einer zunehmenden Desillusionierung der Wähler und der Tatsache, dass der ANC laut jüngsten Umfragen landesweit weniger als 50 Prozent Unterstützung genießt, ist eine Kurskorrektur dringend erforderlich. Schon bei den Kommunalwahlen 2021 gab es ein erstes böses Erwachen für den ANC, als die Kontrolle über wichtige Gemeinden im ganzen Land verloren ging. Koalitionen der Opposition regieren nun fünf der acht größten Ballungsgebiete des Landes.

Kein Neuanfang mit Ramaphosa

Auf dem letzten Wahlparteitag des ANC im Jahr 2017 setzte sich das derzeitige Staatsoberhaupt Cyril Ramaphosa mit seinen Anhängern gegen eine Fraktion durch, welche die katastrophale Regierung des ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma unterstützte. Geworben hatte Ramaphosa mit Erneuerung und dem Kampf gegen Korruption.

Aus dem versprochenen Neuanfang wurde jedoch nichts. Der ANC wird nach wie vor von internen Kämpfen beherrscht, die häufig bis in die Staatsführung hineinwirken. Noch immer sind die Grenzen zwischen Partei und Staat verschwommen. Statt sich um die schwächelnde Wirtschaft des Landes zu kümmern, die darum kämpft, sich von den Folgen der COVID-Pandemie zu erholen, ist die Regierung mit Fraktionskämpfen innerhalb der Patronage-Netzwerke im Öffentlichen Dienst beschäftigt. Millionen von Südafrikanern kämpfen darum, über die Runden zu kommen. Die Armut nimmt zu, die Lebenshaltungskosten steigen und die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei über 34 Prozent.

Reformen im angeschlagenen Energiesektor und erste Versuche, die Vereinnahmung des Staates durch private Interessen strafrechtlich zu verfolgen, sind kleinere Erfolge, die Ramaphosa vorweisen kann. Doch beides kam zu spät und erst unter dem Druck der drohenden Krise zustande. Nun verdunkelt auch noch der lange Schatten eines Korruptionsvorwurfs Ramaphosas Chancen im Kampf um die Führung – wenn er denn überhaupt antritt. Das Parlament richtet gegenwärtig einen Ausschuss ein, der über ein mögliches Amtsenthebungsverfahren beraten soll. Der Auslöser dafür waren Enthüllungen über die rätselhaften Umstände eines Diebstahls von 600.000 US-Dollar. Das in einer Couch auf Ramaphosas Wildfarm versteckte Geld war den Behörden nicht ordnungsgemäß gemeldet worden. Auch wenn der zeitliche Ablauf dieses Verfahrens noch unklar ist, hat es das Potenzial, Ramaphosas Wiederwahl zu verhindern.

In den Startlöchern bereit steht die Zuma-nahe Fraktion Radical Economic Transformation (RET). Sie wird versuchen, die Kontrolle über die Partei wiederzuerlangen, um der Strafverfolgung aufgrund der Vereinnahmung des Staates durch private Interessen zu entgehen und das eigene Patronage-Netzwerk weiter auszubauen. In Anbetracht der vergangenen Zuma-Präsidentschaft bedeutet die Wiederauferstehung dieser Fraktion eine Katastrophe zu einer Zeit, in der sie sich das Land am wenigsten leisten kann.

Die demokratische Glaubwürdigkeit Südafrikas schwindet

Die parteiinternen Querelen haben destabilisierende Auswirkungen auf die Qualität der demokratischen Regierungsführung in Südafrika. Seit der Einführung des Bertelsmann Transformation Index (BTI) im Jahr 2006 hat sich die Leistung des Landes bei allen wichtigen Indikatoren des BTI kontinuierlich verschlechtert. Die Bewertung der Governance fiel von 7,01 Punkten im Jahr 2006 auf 6,10 Punkte im Jahr 2022. Bei einem maximal erreichbaren Wert von 10 Punkten bedeutet dieses Ergebnis, dass Südafrika aus der Kategorie „sehr gute Regierungsführung“ in die Kategorie „gute Regierungsführung“ abgerutscht ist. Der Status-Wert, eine kombinierte Bewertung von Demokratie und Widerstandsfähigkeit der Marktwirtschaft, sank ebenfalls. Im Vergleich der Schwellen- und Entwicklungsländer wird der Status des südafrikanischen Transformationsprozesses nicht mehr als „fortgeschritten“ beschrieben, sondern nur noch als „limitiert“.

Obwohl Südafrika nicht die einzige Demokratie ist, deren Werte sich im BTI-Ranking verschlechtert haben, unterscheidet sich dieser Abwärtstrend von dem anderer Demokratien wie Indien, Brasilien, Polen oder Ungarn. Während sich in diesen Ländern die Rückschritte mit bestimmten Ereignissen erklären lassen, beispielsweise dem Sturz einer amtierenden Regierung, der zu neuen politischen und ideologischen Orientierungen führte, war dies in Südafrika nicht der Fall. Die seit fast drei Jahrzehnten andauernde Verschmelzung von Partei und Staat hat hier für den stetigen Niedergang der Demokratie gesorgt.

Wie sehr der ANC öffentliche Institutionen in den Würgegriff genommen hat und damit den Staat aushöhlte, haben die BTI-Berichte der vergangenen Jahre aufgezeigt. Die gesamte südafrikanische Öffentlichkeit, anfällig für innerparteiliche Fraktionsbildung und individuelle Bereicherungsagenden, war involviert. Die staatliche Kontrolle des ANC, verfestigt und aufrechterhalten durch Patronage-Netzwerke, die sich krebsartig im öffentlichen Sektor und in wichtigen Institutionen ausgebreitet haben, hat zu einer Governance-Ethik geführt, die hochrangige Beamte im Konfliktfall ausnahmslos die Interessen der Parteien über die des Staates stellen lassen. Wer Widerstand leistet, wird ausgegrenzt. Manche erleben noch Schlimmeres: Immer häufiger werden Whistleblower und ihre Familien verfolgt.

Die Aussicht, auf nationaler Ebene im Jahr 2024 an Macht verlieren zu können, sollte die Aufmerksamkeit der Partei auf interne Reformen lenken. Ob dies jedoch im Sog anderer Interessen geschieht, bleibt abzuwarten. Beispielsweise ist die Zuma-nahe Fraktion auf das Überleben ihres Patronage-Netzwerks und die Erlösung von strafrechtlicher Verfolgung ausgerichtet. Paradoxerweise könnten sich Ramaphosa und seine Fraktion bald in einer ähnlichen Lage wiederfinden, sollte sich der Arm des Gesetzes auch in seine Richtung ausstrecken. Wenn dieses Szenario eintritt, kann ohnehin nur ein kompromittierter Gewinner aus den Parteiwahlen hervorgehen, der die Aussichten des ANC über 2024 hinaus trüben würde. Bis dahin wird die südafrikanische Öffentlichkeit die Belastungen durch die Machtspiele des ANC ausbaden müssen.

Übersetzt aus dem Englischen von Karola Klatt.

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