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Taiwan-Wahlen 2024: Zwischen chinesischer Einmischung und demokratischer Resilienz

Im Januar 2024 wählen die Taiwaner einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament. China, das Taiwan als abtrünnige Provinz betrachtet, versucht, das Ergebnis durch politischen, militärischen und ökonomischen Druck sowie Meinungsmache zu beeinflussen. Wie widerstandsfähig sind die staatlichen Behörden und zivilgesellschaftlichen Akteure Taiwans?

Am 13. Januar 2024 werden 19 Millionen Taiwaner zu den Urnen gehen, um einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament zu wählen. Die amtierende Präsidentin Tsai Ing-wen von der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) kann nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. Der Kandidat der DPP, William Lai, tritt gegen zwei Mitbewerber an: Hou You-yi von der Kuomintang (KMT) und Ko Wen-je von der Taiwanischen Volkspartei.

Seit der Demokratisierung des Landes in den 1990er Jahren hat sich Taiwan zu einer „sich konsolidierenden Demokratie“ entwickelt. Wie der Bertelsmann Transformation Index (BTI) 2022 für Taiwan festhält, erfreut sich das Land „stabiler demokratischer Institutionen und einer lebendigen Zivilgesellschaft und schneidet bei der Gewährleistung der politischen Rechte und bürgerlichen Freiheiten seiner Bürger besonders gut ab“; bei der politischen Transformation nimmt das Land unter 137 Ländern den dritten Platz ein. Der Bericht hebt insbesondere die Qualität der „regelmäßigen, allgemeinen und geheimen Mehrparteienwahlen in Taiwan hervor, die in der Regel unumstritten sind und über die in den Medien ausführlich berichtet wird“. Der Bericht betont jedoch auch, dass die Volksrepublik China (VRC) eine Reihe von Aktivitäten und Strategien verfolgt, um die Wahlen in Taiwan zu beeinflussen.

Chinas Einmischungsversuche in die bevorstehenden Wahlen

Dass Peking sich für die Wahlen in Taiwan interessiert, liegt daran, dass die Insel nach Ansicht der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) ein integraler Bestandteil Chinas ist. Freie und faire Wahlen in Taiwan stellen diese Position in Frage, weil sie Ausdruck der De-facto-Souveränität des Inselstaates sind. Um die taiwanischen Wähler zu beeinflussen, verfolgt China eine dreigleisige Strategie, die politischen und militärischen Druck, wirtschaftliche Mittel und Meinungsmache umfasst. Diese Strategie soll insbesondere die Unterstützung für Lai und die DPP schwächen, die von Peking des Hinwirkens auf die rechtliche Unabhängigkeit Taiwans verdächtigt werden, und die Wahlchancen von Hou und der KMT stärken, deren Grundsatzprogramm versöhnlichere Beziehungen auf den beiden Seiten der Taiwanstraße verspricht. Kos Position zu den Beziehungen zwischen den beiden Seiten der Straße ist weniger klar, aber er ist für Peking von Bedeutung, weil seine Kandidatur eine Aufspaltung der Stimmen der Opposition bedeutet, was die Chancen auf einen Sieg der DPP erhöhen könnte. Frühere Pläne von Hou und Ko, auf einer gemeinsamen Liste zu kandidieren, scheiterten daran, dass sie sich nicht auf einen Präsidentschaftskandidaten einigen konnten.

Auf der politischen Bühne verhindert China, dass Taiwan sich an internationalen Organisationen beteiligt, die die formelle Anerkennung als Staat voraussetzen; zudem setzt China Länder unter Druck bzw. ködert sie, damit sie auf zwischenstaatliche Beziehungen zu Taipeh verzichten. Im März letzten Jahres entschied sich beispielsweise Honduras, die diplomatischen Beziehungen zu Taiwan abzubrechen und sich China zuzuwenden, sodass es weltweit nur noch 13 Länder gibt, die Taiwan diplomatisch anerkennen. Darüber hinaus führt die chinesische Volksbefreiungsarmee (PLA) weiterhin Militärübungen zu Wasser und zu Luft in der Taiwanstraße durch. Diese politischen und militärischen Maßnahmen sollen bei den Taiwanern eine Atmosphäre des Defätismus schaffen und die Unausweichlichkeit einer, wenn nötig, erzwungenen Vereinigung mit dem Festland verdeutlichen.

Peking bedient sich außerdem einer Mischung aus wirtschaftlichem Druck und ökonomischen Anreizen und nutzt die tiefgreifende wirtschaftliche Verflechtung Taiwans mit dem Festland aus. Seit die DDP 2016 an die Macht kam, hat China den Marktzugang für taiwanische Unternehmen wiederholt beschränkt und Agrarimporte verboten, wobei es vor allem Produzenten aus Südtaiwan ins Visier nimmt, den Hochburgen der DDP. Zugleich bietet China bei einem Wahlsieg der KMT präferenzielle Handelsabkommen, Marktzugang und Investitionszusagen und versucht so, Taiwans Wähler zu Peking-freundlichen Alternativen zu bewegen.

Schließlich wird China verdächtigt, die taiwanische Öffentlichkeit und das Wahlergebnis durch Desinformationskampagnen im Internet, elektronische Kriegsführung und Manipulationsversuche lokaler Medien zu beeinflussen. Wie taiwanische Behörden berichten, versuchen chinesische Content-Farmen und staatliche Trolle, Dissens zu schüren und unwahre Gerüchte zu streuen, zum Beispiel über illegale Aktivitäten der DDP-geführten Regierung oder das Zögern der USA, Taiwan im Falle eines chinesischen Angriffs zu unterstützen. Chinafreundliche taiwanische Influencer und Internet-Persönlichkeiten sprechen sich im Gegenzug für die Wiedervereinigung aus. Im Rahmen ihrer so genannten „Einheitsfront“-Arbeit sponsert die Kommunistische Partei Chinas Reisen von taiwanischen Lokalpolitikern und Leitern von Kultureinrichtungen nach China. Diese Taktik soll das Vertrauen in den Wahlprozess, die Medien, die politischen Parteien und die einzelnen Kandidaten untergraben und gleichzeitig für die Unterstützung von Kandidaten werben, die Pekings Präferenzen entsprechen.

Taiwans Gegenmaßnahmen und seine demokratische Resilienz

Die taiwanische Regierung und die Zivilgesellschaft sind sich dieser Bemühungen durchaus bewusst und ergreifen Maßnahmen, um den Einmischungsversuchen entgegenzuwirken. Die staatlichen Behörden haben die Cybersicherheit verstärkt und Maßnahmen zur Verbesserung der Wahlinfrastruktur ergriffen. Taiwans Nachrichtendienste und Strafverfolgungsbehörden wurden in höchste Alarmbereitschaft versetzt, und das Justizministerium verspricht Geldprämien für Hinweise auf Wahlbeeinflussung. Die Streitkräfte reagieren schnell auf Provokationen in der Taiwanstraße, und das Verteidigungsministerium berichtet regelmäßig über Aktionen der chinesischen Volksbefreiungsarmee sowie die Reaktionen des taiwanischen Militärs, um das Vertrauen der taiwanischen Öffentlichkeit zu stärken. Auch andere staatliche Stellen, darunter Bildungseinrichtungen, sind an der Stärkung der öffentlichen Widerstandsfähigkeit beteiligt, beispielsweise durch die Entwicklung und Bekanntmachung von Zivilschutzmaßnahmen.

Ergänzt werden diese Maßnahmen durch Bemühungen zur Bekämpfung von Desinformation. Dank einer großen, offenen und vielfältigen Medienlandschaft kommt eine Vielzahl von Perspektiven und Meinungen zu Wort, und zahlreiche Presseorgane hinterfragen politische Narrative und entlarven Desinformation. Akteure der Zivilgesellschaft, darunter ehrenamtliche Fact-Checking-Kollektive und technikaffine Individuen, gehen gegen Fake News und Propaganda vor und fördern die Medienkompetenz, während Basisinitiativen die Widerstandsfähigkeit der Öffentlichkeit gegen Manipulationen von außen zu stärken versuchen. All dies geschieht vor dem Hintergrund einer lebendigen demokratischen politischen Kultur, gekennzeichnet durch ein kompetitives und vielfältiges politisches Umfeld und engagierte Bürger, die sich gegenüber äußerem Druck und offenkundigen Fehlinformationen als widerstandsfähig erwiesen haben.

Somit scheinen Chinas Versuche, die öffentliche Meinung Taiwans zu beeinflussen, zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Berichts nicht besonders erfolgreich gewesen zu sein. Die meisten Umfragen sehen Lai als wahrscheinlichen Gewinner des Präsidentschaftsrennens, selbst wenn die DPP ihre Mehrheit im Parlament verlieren könnte. Dies würde Lai zwar bei der Umsetzung seiner innenpolitischen Agenda einschränken, doch dürfte ein solches Szenario keine größeren Veränderungen in den Beziehungen zu China mit sich bringen, da die Außenpolitik und die Politik in der Taiwanstraße hauptsächlich vom Präsidenten bestimmt wird. Allerdings ist zu erwarten, dass China seine Aktivitäten in den Wochen vor den Wahlen weiter verstärken wird, sodass die staatlichen Behörden und die taiwanische Zivilgesellschaft weiter unermüdlich auf der Hut sein müssen. Der Ausgang der Parlamentswahlen 2024 wird die taiwanische Politik und die Beziehungen über die Taiwanstraße hinweg in den kommenden Jahren prägen. Im Falle eines Sieges von Lai wird erwartet, dass er die Politik seiner Vorgängerin fortsetzen und Taiwans internationalen Handlungsspielraum vergrößern und die Beziehungen zu demokratischen Verbündeten intensivieren wird. Sollte Hou gewinnen, hat er versprochen, die Spannungen über die Meerenge hinweg durch eine stärkere wirtschaftliche Integration abzubauen. Unabhängig vom Wahlausgang wird sich die Haltung Pekings jedoch ebenso wenig ändern wie der in Taiwan herrschende Unwille, Kompromisse in Bezug auf seine De-facto-Souveränität einzugehen.

 

Aus dem Englischen übersetzt von Dr. Claudia Kotte

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