Argentinien: Im Takt des Internationalen Währungsfonds
Das Jahr 2019 könnte für Argentinien zum Schicksalsjahr werden. Um weitere Finanzhilfen vom Internationalen Währungsfonds zu erhalten, muss die Regierung im Vorfeld der Wahlen im Oktober drastische Maßnahmen ergreifen und unpopuläre Reformen anstoßen. Präsident Mauricio Macri bewegt sich auf sehr dünnem Eis.
Gerade erst hat der Internationale Währungsfonds (IWF) seine zweite Überprüfung der dreijährigen Bereitschaftskreditvereinbarung mit Argentinien abgeschlossen und weitere 7,6 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt. Damit stiegen die Hilfszahlungen für das Land im Süden Lateinamerikas 2018 auf 28,3 Milliarden US-Dollar, das sind fast die Hälfte der insgesamt zugesagten 57 Milliarden US-Dollar, der umfangreichsten Kreditlinie in der Geschichte des Fonds.
Im zweiten Quartal des letzten Jahres geriet Argentinien durch das Zusammenwirken von anhaltender Inflation, einer schlechten Ernte und Verunsicherung auf den internationalen Finanzmärkten in eine Wechselkurskrise. Das frühere Vorzeigeland der internationalen Anleihemärkte konnte plötzlich kein Kapital mehr aufnehmen. Deshalb bat die wirtschaftsnahe Regierung von Präsident Mauricio Macri, trotz der schlechten Erfahrungen des IWF mit Hilfen für Argentinien im Zuge der Krise von 2001, den Fonds um ein Kreditabkommen. Doch die Erhöhung des Zinsniveaus und der Handelsstreit zwischen den USA und China haben international zu wirtschaftlichen Spannungen geführt, die die finanzielle Unsicherheit noch steigerten. Das spiegelt sich in Argentiniens Wirtschaftsindikatoren wieder. Laut JPMorgan kletterte das Länderrisiko gegen Ende Dezember 2018 auf 837 Punkte, die Währung verlor gegenüber dem US-Dollar 50 Prozent ihres Wertes und die Inflation stieg rasant an. Um das Vertrauen von Investoren zu stärken, hat der IWF seine Auflagen für haushaltspolitische Anpassungen verschärft und vorzeitige Auszahlungen getätigt, damit das Land bis Ende 2019, wenn Präsident Macri sich der Wiederwahl stellen muss, seinen Kreditverpflichtungen nachkommen kann.
Weitreichende Auflagen in der Wirtschaftspolitik
Das überarbeitete Hilfsprogramm beinhaltet klassische strenge finanz- und haushaltspolitische Anpassungen, die die Wirtschaft stabilisieren und das gegenwärtige Haushaltsdefizit verringern sollen. Der zweite Prüfbericht des IWF stellte eine Stabilisierung der Währung – im letzten Quartal blieb der nominale Wechselkurs fast unverändert – und die sich abzeichnende Verlangsamung der Inflation fest, die trotz allem bezogen auf das Jahr über 45 Prozent lag. Die Regierung erfüllte alle Bedingungen, zu denen sie sich im Rahmen des konventionellen Programms verpflichtet hatte. Dazu gehören strenge finanzpolitische Anpassungen, die sich auf Kürzungen der Beihilfen für die Provinzen sowie der öffentlichen Ausgaben und Gehälter konzentrieren, die Beibehaltung einer Mindestgrenze für Währungsreserven, ein Ende der Staatsfinanzierung durch die Zentralbank und die Senkung des Haushaltsdefizits bis Ende 2019 auf null. Aufrechterhalten werden zudem das höchste Zinsniveau der Welt (derzeit bei 60 Prozent) und ein Nullwachstum der Geldmengenaggregate.
Der Abbau des Leistungsbilanzdefizits soll Argentinien wieder Zugang zu privaten internationalen Finanzierungsquellen ermöglichen, erfolgt jedoch auf Kosten der Importe, die aufgrund des starken Rückgangs der Handelsaktivitäten kollabierten. Die Währungsabwertung, der Rückgang der durchschnittlichen Jahresverdienste um 13 Prozent und das steigende Zinsniveau sind Anzeichen einer tiefen Rezession. Für das Jahr 2018 rechnet der IWF mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 2,8 Prozent, der besonders die Bereiche Industrie und Handel betrifft. Erst für 2020 erwartet der Fonds wieder ein Wachstum, das von Exporten und Investitionen getragen werden soll. Es mag wenig verwundern, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Kennzahlen erheblich verschlechtert haben. Nach offiziellen Angaben sind Investitionen und private Konsumausgaben im Vergleich zum Vorjahr um 11,2 beziehungsweise 4,5 Prozentpunkte zurückgegangen und 27,3 Prozent der Bevölkerung gelten als arm, das entspricht einem Anstieg im letzten Jahr um 6,2 Prozent. Im Rettungsprogram des IWF ist auch eine Absicherung der Sozialausgaben enthalten. Die Verschlechterung der sozialen Lage fiel deshalb vergleichsweise moderat aus.
Die argentinische Regierung muss ihre Reformbemühungen intensivieren
Der IWF mahnt für 2019 weitere strukturelle Reformen an. Seit langem besteht er auf der Notwendigkeit, den Arbeitsmarkt zu deregulieren, um die Senkung von Einstellungskosten zu erleichtern. Verzerrungen im Steuersystem sollen abgebaut und das Rentensystem reformiert werden. Nach Ansicht des IWF zielen diese Vorhaben darauf ab, Investitionen und Produktivität anzuregen, mehr Arbeitsplätze für Frauen, junge Menschen und Niedrigverdiener zu schaffen und den institutionellen Rahmen für eine verantwortungsvolle Politik zu festigen. Bezogen auf den letzten Punkt verlangt der IWF zudem, bis zur nächsten Prüfung, dem Kongress eine Neufassung der Satzung der Zentralbank zur Beratung und Abstimmung vorzulegen, die ihre operationelle Eigenständigkeit sicherstellt, die Aufgabe der Geldpolitik bekräftigt, Entscheidungsstrukturen verbessert und Transparenz und Rechenschaftspflicht fördert.
Für die argentinische Regierung wird die dritte Prüfung, die für März 2019 anberaumt ist, eine besondere politische Herausforderung. Im Wahljahr und inmitten einer ausgeprägten Rezession muss sie ohne Mehrheit in den Kammern unpopuläre Vorhaben verabschieden, die Vorgabe des Null-Haushaltsdefizits erfüllen und Fortschritte in der Vorbereitung von Strukturreformen machen. Dabei kann die Regierung die öffentliche Stimmung nicht durch das Inaussichtstellen von staatlichen Beihilfen beeinflussen. Was das bedeutet, hat schon der Länderbericht des Bertelsmann Transformation Index (BTI) aus dem letzten Jahr vorhergesehen: „Wenn die Regierung in den Tarifverhandlungsrunden nicht auf die Forderungen der Gewerkschaften eingeht, könnte es zu einer Destabilisierung des Landes durch Proteste kommen.“ Tut sie es doch, riskiert sie jedoch, dass der IWF seine Unterstützung drosselt. Dieses Dilemma ist nur schwer zu lösen.
Von der nächsten Prüfung der internationalen Geldgeber hängt die Auszahlung von 10,8 Milliarden US-Dollar ab. Das sind fast 50 Prozent der für dieses Jahr geplanten Hilfsgelder. Eine Verzögerung könnte die politische und finanzielle Unsicherheit noch weiter steigern, die durch die wachsende Popularität der peronistischen Präsidentschaftskandidatin Christina Kirchner ohnehin schon zunimmt. Nach jüngsten Umfragen wollen 36,7 Prozent der Wähler für die frühere Präsidentin stimmen und nur noch 34,5 Prozent für Macri. Dieses Jahr verspricht für Argentinien ein turbulentes zu werden.
Übersetzt aus dem Englischen von Karola Klatt.